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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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vor vierzig Jahren

von Wagen mit Lebensmitteln, die billig zu haben seien. Alle Wege und
Stege lägen noch voll von Pferdekadavern, die einen unerträglichen Geruch
verbreiteten und die Luft weithin verpesteten, auch in dem hohen Korn fänden
sich noch Tote, und die Felder seien mit Waffen und Uniformstücken bedeckt.
Der Mann war bei Münchengrätz verwundet worden. Als man ihm sagte,
die Württemberger hätten sein Heimatland besetzt, lachte er nur spöttisch.

Der erste Zug, den ich mit verpflegte, war am 4. Juli für acht Uhr Abends
gemeldet, aber inzwischen ging ein endloser Zug mit einem Pontontrain von
Löbau durch, der auf der eingleisigen Bahn manchen Aufenthalt an den
Ausweichstationen veranlassen mußte, und erst als es schon dunkelte, gegen
neun Uhr, traf der erwartete Zug bei strömendem Regen ein. Er brachte
Verwundete von Gitschin, alles durcheinander, überwiegend Österreicher, von
denen weitaus die meisten Slawen, Ungarn und Italiener waren, wenige
Sachsen, aber einen ganzen Wagen mit Offizieren. Einer von den Preußen
erzählte, er habe von sechs Uhr Abends die ganze Nacht bis früh gegen
vier Uhr auf dem Schlachtfelde gelegen, ehe er geholt worden sei. Daß es
auch nach Gitschin vorwärts gegangen sei, wurde aus so manchem klar; brachte
der Zug doch die Nachricht mit, daß die Preußen die Festung Josephstadt
erstürmt Hütten. Das war falsch, aber am Nachmittage war eine Depesche
durch die Station Zittau gegangen, die noch nicht veröffentlicht war, die
Preußen hätten einen neuen großen Sieg erfochten. Es war die erste Kunde
von Königgrätz. Daß der Übergang über die Elbe vorbereitet werde, zeigte
schon der eben beförderte Pontontrain und ein zweiter, der in der Nacht
eintraf und auf dem Markte auffuhr. Bei diesem siegreichen Fortschreiten der
preußischen Waffen befremdete es, daß am 5. Juli die Bürgerschaft durch
Anschlag aufgefordert wurde, ihre Waffen an eine aus städtischen Beamten
und Offizieren gebildete Kommission auf dem Bahnhofe abzuliefern, die gegen
die Preußen zu gebrauchen noch keinem Menschen eingefallen war. Doch
kam eine Menge guter Gewehre, denn es gab viele Jagdliebhaber und eifrige
Schützen in Zittau. Mein Vater freilich, der auch einige Zeit bei der Jnger-
kompagnie, der Elitetruppe der Kommunalgarde, gestanden hatte -- ich war als
kleiner Junge sehr stolz darauf gewesen, denn er sah in der kleidsamen dunkel¬
grünen Uniform in hohem Tschako mit weißem Federstutz, schwarzem Leder¬
zeug, Hirschfänger und Büchse sehr stattlich aus --, hatte diese Ausrüstung
längst verkauft und verfügte nur noch über eine harmlose alte Flinte großen
Kalibers aus dem Erbe meines Großvaters und über einige stumpfe Rapiere,
dazu die Nachbildung eines römischen Plinins. Als ich mit diesem Waffen¬
magazin antrat, wurden mir die Rapiere als unschädlich -- das waren sie
wirklich -- zurückgegeben, die Flinte dagegen behalten und ebenso das Plinn,
denn es erschien mit seinem langen Eisen und den Widerhaken seiner Spitze
als eine gefährliche Waffe und wurde als "römischer Spieß" in die Liste ein¬
getragen. Also geschah es 1390 Jahre nach dem Untergange des weströmischen


vor vierzig Jahren

von Wagen mit Lebensmitteln, die billig zu haben seien. Alle Wege und
Stege lägen noch voll von Pferdekadavern, die einen unerträglichen Geruch
verbreiteten und die Luft weithin verpesteten, auch in dem hohen Korn fänden
sich noch Tote, und die Felder seien mit Waffen und Uniformstücken bedeckt.
Der Mann war bei Münchengrätz verwundet worden. Als man ihm sagte,
die Württemberger hätten sein Heimatland besetzt, lachte er nur spöttisch.

Der erste Zug, den ich mit verpflegte, war am 4. Juli für acht Uhr Abends
gemeldet, aber inzwischen ging ein endloser Zug mit einem Pontontrain von
Löbau durch, der auf der eingleisigen Bahn manchen Aufenthalt an den
Ausweichstationen veranlassen mußte, und erst als es schon dunkelte, gegen
neun Uhr, traf der erwartete Zug bei strömendem Regen ein. Er brachte
Verwundete von Gitschin, alles durcheinander, überwiegend Österreicher, von
denen weitaus die meisten Slawen, Ungarn und Italiener waren, wenige
Sachsen, aber einen ganzen Wagen mit Offizieren. Einer von den Preußen
erzählte, er habe von sechs Uhr Abends die ganze Nacht bis früh gegen
vier Uhr auf dem Schlachtfelde gelegen, ehe er geholt worden sei. Daß es
auch nach Gitschin vorwärts gegangen sei, wurde aus so manchem klar; brachte
der Zug doch die Nachricht mit, daß die Preußen die Festung Josephstadt
erstürmt Hütten. Das war falsch, aber am Nachmittage war eine Depesche
durch die Station Zittau gegangen, die noch nicht veröffentlicht war, die
Preußen hätten einen neuen großen Sieg erfochten. Es war die erste Kunde
von Königgrätz. Daß der Übergang über die Elbe vorbereitet werde, zeigte
schon der eben beförderte Pontontrain und ein zweiter, der in der Nacht
eintraf und auf dem Markte auffuhr. Bei diesem siegreichen Fortschreiten der
preußischen Waffen befremdete es, daß am 5. Juli die Bürgerschaft durch
Anschlag aufgefordert wurde, ihre Waffen an eine aus städtischen Beamten
und Offizieren gebildete Kommission auf dem Bahnhofe abzuliefern, die gegen
die Preußen zu gebrauchen noch keinem Menschen eingefallen war. Doch
kam eine Menge guter Gewehre, denn es gab viele Jagdliebhaber und eifrige
Schützen in Zittau. Mein Vater freilich, der auch einige Zeit bei der Jnger-
kompagnie, der Elitetruppe der Kommunalgarde, gestanden hatte — ich war als
kleiner Junge sehr stolz darauf gewesen, denn er sah in der kleidsamen dunkel¬
grünen Uniform in hohem Tschako mit weißem Federstutz, schwarzem Leder¬
zeug, Hirschfänger und Büchse sehr stattlich aus —, hatte diese Ausrüstung
längst verkauft und verfügte nur noch über eine harmlose alte Flinte großen
Kalibers aus dem Erbe meines Großvaters und über einige stumpfe Rapiere,
dazu die Nachbildung eines römischen Plinins. Als ich mit diesem Waffen¬
magazin antrat, wurden mir die Rapiere als unschädlich — das waren sie
wirklich — zurückgegeben, die Flinte dagegen behalten und ebenso das Plinn,
denn es erschien mit seinem langen Eisen und den Widerhaken seiner Spitze
als eine gefährliche Waffe und wurde als „römischer Spieß" in die Liste ein¬
getragen. Also geschah es 1390 Jahre nach dem Untergange des weströmischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/594>, abgerufen am 23.07.2024.