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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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vor vierzig Jahren

über die Jser gekommen; er hatte den Eindruck eines schweren, blutigen, aber
für die Preußen siegreichen Kampfes und war voll Bewunderung für die
"prächtige Armee", die er im Biwak gesehen hatte. Zugleich trafen die ersten
noch unklaren und unvollständigen Nachrichten von siegreichen Gefechten der
schlesischen Armee bei Nachod (27. Juni) und Skalitz (28. Juni) ein; also waren
die Preußen auch von Osten her in Böhmen einmarschiert. Demgegenüber
machten die Nachrichten vom österreichischen Siege bei Custoza (24. Juni), die
wir am 29. hatten, und von der preußischen Niederlage gegen die Hannoveraner
bei Langensalza (27. Juni), die am 30. eintraf, keinen großen Eindruck, denn
die Entscheidung lag weder dort noch hier.

Und nun kam die Anzeige, daß König Wilhelm mit dem Großen Haupt¬
quartier, gegen 1100 Menschen und 800 Pferde, am 30. (Sonnabends) die
Stadt passieren werde, um persönlich den Oberbefehl in Böhmen zu über¬
nehmen. Das bedeutete unzweifelhaft: die Preußen waren dort im raschen,
allenthalben siegreichen Vordringen, und die große Entscheidung nahte heran.
Am Vormittag ritt die Stabswache an der Stadt vorbei, eine glänzende, bunt¬
farbige Truppe aus allen Reiterregimentern der Armee gebildet; Nachmittags
3 Uhr 20 Minuten traf von Görlitz her über Löbau der königliche Zug ein,
von zwei Lokomotiven gezogen. Da weder der Bahnhof noch der Bahn¬
steig abgesperrt war, sondern nur eine Ehrenkompagnie dort stand, so waren
die Zittauer zu Hunderten hinausgeeilt, um in einem Gemisch von Groll
und Ehrfurcht den greisen Kriegsherrn zu sehen; im Namen der Stadt be¬
grüßten ihn der Bürgermeister Haberkorn und der Stadtverordnetenvorsteher
Rechtsanwalt Döring, auch der Amtshauptmann war anwesend. Vom be¬
geisterten Hurra seiner Truppen empfangen stieg der König in Überrock und
Feldmütze aus und schritt ihre Front ab; er sah sehr frisch aus und war
offenbar guten Mutes. Auch Bismarck (in der Uniform des Halberstädter
Kürassierregiments) verließ den Wagen und ging ein paar Minuten auf und
^> ich habe ihn damals zum erstenmale gesehen, doch stand er mir zu fern,
daß ich einen klaren Eindruck von ihm hätte gewinnen können; Moltke
War nicht sichtbar. Nach etwa zehn Minuten ging der Zug nach Reichenberg
weiter, wo der König im Schlosse des Grafen Clam-Gallas sein Hauptquartier
nahm. Von Kohlfurt aus hatte Moltke 12 Uhr 45 Minuten den drei in
Böhmen stehenden Armeen den Vormarsch auf Königgrätz befohlen, in Reichen-
berg traf noch am späten Abend das Telegramm des Prinzen Friedrich Karl
über den Sieg bei Gitschin (29. Juni) ein.

Uns kam von Gitschin zunächst am 1. Juli nur eine dunkle Kunde, aber doch
schon die Nachricht, daß dort auch die Sachsen im Feuer gewesen seien (Brigade
Kronprinz) und schwer gelitten Hütten. Dagegen wurden nun die amtlichen
Depeschen über die Siege bei Nachod und Skalitz und über die Kapitulation
der Hannoveraner am 29. Juni bekannt. Mißmutig schrieb damals mein Vater:
"Wie lange wird das fast beispiellose Vertrauen auf Benedek noch standhalten?


Grenzboten IV 1906 7S
vor vierzig Jahren

über die Jser gekommen; er hatte den Eindruck eines schweren, blutigen, aber
für die Preußen siegreichen Kampfes und war voll Bewunderung für die
„prächtige Armee", die er im Biwak gesehen hatte. Zugleich trafen die ersten
noch unklaren und unvollständigen Nachrichten von siegreichen Gefechten der
schlesischen Armee bei Nachod (27. Juni) und Skalitz (28. Juni) ein; also waren
die Preußen auch von Osten her in Böhmen einmarschiert. Demgegenüber
machten die Nachrichten vom österreichischen Siege bei Custoza (24. Juni), die
wir am 29. hatten, und von der preußischen Niederlage gegen die Hannoveraner
bei Langensalza (27. Juni), die am 30. eintraf, keinen großen Eindruck, denn
die Entscheidung lag weder dort noch hier.

Und nun kam die Anzeige, daß König Wilhelm mit dem Großen Haupt¬
quartier, gegen 1100 Menschen und 800 Pferde, am 30. (Sonnabends) die
Stadt passieren werde, um persönlich den Oberbefehl in Böhmen zu über¬
nehmen. Das bedeutete unzweifelhaft: die Preußen waren dort im raschen,
allenthalben siegreichen Vordringen, und die große Entscheidung nahte heran.
Am Vormittag ritt die Stabswache an der Stadt vorbei, eine glänzende, bunt¬
farbige Truppe aus allen Reiterregimentern der Armee gebildet; Nachmittags
3 Uhr 20 Minuten traf von Görlitz her über Löbau der königliche Zug ein,
von zwei Lokomotiven gezogen. Da weder der Bahnhof noch der Bahn¬
steig abgesperrt war, sondern nur eine Ehrenkompagnie dort stand, so waren
die Zittauer zu Hunderten hinausgeeilt, um in einem Gemisch von Groll
und Ehrfurcht den greisen Kriegsherrn zu sehen; im Namen der Stadt be¬
grüßten ihn der Bürgermeister Haberkorn und der Stadtverordnetenvorsteher
Rechtsanwalt Döring, auch der Amtshauptmann war anwesend. Vom be¬
geisterten Hurra seiner Truppen empfangen stieg der König in Überrock und
Feldmütze aus und schritt ihre Front ab; er sah sehr frisch aus und war
offenbar guten Mutes. Auch Bismarck (in der Uniform des Halberstädter
Kürassierregiments) verließ den Wagen und ging ein paar Minuten auf und
^> ich habe ihn damals zum erstenmale gesehen, doch stand er mir zu fern,
daß ich einen klaren Eindruck von ihm hätte gewinnen können; Moltke
War nicht sichtbar. Nach etwa zehn Minuten ging der Zug nach Reichenberg
weiter, wo der König im Schlosse des Grafen Clam-Gallas sein Hauptquartier
nahm. Von Kohlfurt aus hatte Moltke 12 Uhr 45 Minuten den drei in
Böhmen stehenden Armeen den Vormarsch auf Königgrätz befohlen, in Reichen-
berg traf noch am späten Abend das Telegramm des Prinzen Friedrich Karl
über den Sieg bei Gitschin (29. Juni) ein.

Uns kam von Gitschin zunächst am 1. Juli nur eine dunkle Kunde, aber doch
schon die Nachricht, daß dort auch die Sachsen im Feuer gewesen seien (Brigade
Kronprinz) und schwer gelitten Hütten. Dagegen wurden nun die amtlichen
Depeschen über die Siege bei Nachod und Skalitz und über die Kapitulation
der Hannoveraner am 29. Juni bekannt. Mißmutig schrieb damals mein Vater:
"Wie lange wird das fast beispiellose Vertrauen auf Benedek noch standhalten?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/591>, abgerufen am 23.07.2024.