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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Aus der Zeit der "Herbstzeitlosen

ein ebenso straffes zentralistisches Regiment aufzurichten, wie es drüben in
Ungarn bestand und sich immer mehr befestigte, aber daß dieses Ziel vom
Standpunkte des vormärzlichen Liberalismus und mit der Technik des fran¬
zösischen Parlamentarismus niemals zu erreichen war, darüber ist sie sich auch
nach ihrem Falle nicht klar geworden. Wäre sie das gewesen, so hätte die
Verfassuugspartei den Sturz des unmöglichen slawischen Ministeriums Hohen-
wart als Glücksfall auffassen, die Einsetzung des Kabinetts Adolf Auersperg
hochhalten und nun wenigstens die Fehler vermeiden sollen, die die Krisen der
Jahre 1869 und 1870 hervorgerufen hatten. Statt dessen war aber ihre
Selbstüberschätzung und Verblendung so groß, daß sie gar nicht daran zu
glauben vermochte, Österreich könne auch ohne sie regiert werden, und annahm,
jedes Ministerium müsse so regieren, wie sie wollte. Die Episode Hohenwart
hatte sie nicht darüber belehrt, daß es auch andre als deutschlibcrale Ministerien
gebe" könne, und sie hielt darum einen Ersatz für das Kabinett Auersperg
nur aus ihren Reihen für möglich. Bloß ans solcher Verkennung der wirk¬
lichen Sachlage ist es erklärlich, daß die Methode des Miuisterstürzenwollens,
der faltiösen Opposition um dieses Zwecks willen und der liberalen Prinzipien¬
reiterei bei großen Staatsfragen, die keine Verzögerung ertrugen, als politische
Weisheit galt und ausschließlich geübt wurde. Daß das Ministerium Auersperg
das letzte deutsche sein könnte, ist sämtlichen "Staatsmännern" der Verfassungs¬
partei niemals in den Sinn gekommen und wurde selbst nach einem Jahrzehnt
der vollendeten Tatsache von ihnen noch nicht begriffen. Mit nur ein wenig
mehr politischer Voraussicht auf dieser Seite Hütte man einsehen müssen, daß
die Stärke des deutschliberalen Ministeriums weniger auf den liberalen Lehr¬
meinungen der Verfassungspartei als vielmehr in der Unterstützung beruhte,
die die zahlreiche Vertretung des einflußreichen Großgrundbesitzes dem Minister¬
präsidenten Adolf Auersperg zuführte. Diese erst brachte den Verfassungs¬
treuen die notwendige Mehrheit im Abgeordnetenhause, und diesem Einfluß
und Ansehen war es allein zuzuschreiben, daß am Hofe Klerikale und Feudale
Mu Gehör fanden. Als ob es aber darauf abgesehen gewesen wäre, das Ver¬
trauen der Krone und der der Hofburg nahestehenden Kreise so rasch wie
möglich zu verscherzen, überhäuften die Wiener Vorgeschritten diese wichtigste
und angesehenste Gruppe der verfassungstreuen Mehrheit bei jeder sich dar¬
bietenden Gelegenheit mit den feindseligsten Angriffen.

Wenn man in Österreich eine deutsche Vorherrschaft begründen wollte
wie drüben in Ungarn eine magyarische, so mußte man die liberalen Elemente
des österreichischen Adels um jeden Preis an sich fesseln. Statt dessen
schütteten die fortschrittlichen Redner alles, was die doktrinäre Opposition
gegen das eigne Ministerium an Gift und Galle noch übrig gelassen hatte,
gegen den Großgrundbesitz aus. Sie wollten ein Parlament von Advokaten
und Börsenmännern wie in Paris, sie kämpften nach der liberalen Schablone
wider "Junker und Pfaffen" und vergaßen, daß sie ohne die liberalen Junker


Aus der Zeit der „Herbstzeitlosen

ein ebenso straffes zentralistisches Regiment aufzurichten, wie es drüben in
Ungarn bestand und sich immer mehr befestigte, aber daß dieses Ziel vom
Standpunkte des vormärzlichen Liberalismus und mit der Technik des fran¬
zösischen Parlamentarismus niemals zu erreichen war, darüber ist sie sich auch
nach ihrem Falle nicht klar geworden. Wäre sie das gewesen, so hätte die
Verfassuugspartei den Sturz des unmöglichen slawischen Ministeriums Hohen-
wart als Glücksfall auffassen, die Einsetzung des Kabinetts Adolf Auersperg
hochhalten und nun wenigstens die Fehler vermeiden sollen, die die Krisen der
Jahre 1869 und 1870 hervorgerufen hatten. Statt dessen war aber ihre
Selbstüberschätzung und Verblendung so groß, daß sie gar nicht daran zu
glauben vermochte, Österreich könne auch ohne sie regiert werden, und annahm,
jedes Ministerium müsse so regieren, wie sie wollte. Die Episode Hohenwart
hatte sie nicht darüber belehrt, daß es auch andre als deutschlibcrale Ministerien
gebe» könne, und sie hielt darum einen Ersatz für das Kabinett Auersperg
nur aus ihren Reihen für möglich. Bloß ans solcher Verkennung der wirk¬
lichen Sachlage ist es erklärlich, daß die Methode des Miuisterstürzenwollens,
der faltiösen Opposition um dieses Zwecks willen und der liberalen Prinzipien¬
reiterei bei großen Staatsfragen, die keine Verzögerung ertrugen, als politische
Weisheit galt und ausschließlich geübt wurde. Daß das Ministerium Auersperg
das letzte deutsche sein könnte, ist sämtlichen „Staatsmännern" der Verfassungs¬
partei niemals in den Sinn gekommen und wurde selbst nach einem Jahrzehnt
der vollendeten Tatsache von ihnen noch nicht begriffen. Mit nur ein wenig
mehr politischer Voraussicht auf dieser Seite Hütte man einsehen müssen, daß
die Stärke des deutschliberalen Ministeriums weniger auf den liberalen Lehr¬
meinungen der Verfassungspartei als vielmehr in der Unterstützung beruhte,
die die zahlreiche Vertretung des einflußreichen Großgrundbesitzes dem Minister¬
präsidenten Adolf Auersperg zuführte. Diese erst brachte den Verfassungs¬
treuen die notwendige Mehrheit im Abgeordnetenhause, und diesem Einfluß
und Ansehen war es allein zuzuschreiben, daß am Hofe Klerikale und Feudale
Mu Gehör fanden. Als ob es aber darauf abgesehen gewesen wäre, das Ver¬
trauen der Krone und der der Hofburg nahestehenden Kreise so rasch wie
möglich zu verscherzen, überhäuften die Wiener Vorgeschritten diese wichtigste
und angesehenste Gruppe der verfassungstreuen Mehrheit bei jeder sich dar¬
bietenden Gelegenheit mit den feindseligsten Angriffen.

Wenn man in Österreich eine deutsche Vorherrschaft begründen wollte
wie drüben in Ungarn eine magyarische, so mußte man die liberalen Elemente
des österreichischen Adels um jeden Preis an sich fesseln. Statt dessen
schütteten die fortschrittlichen Redner alles, was die doktrinäre Opposition
gegen das eigne Ministerium an Gift und Galle noch übrig gelassen hatte,
gegen den Großgrundbesitz aus. Sie wollten ein Parlament von Advokaten
und Börsenmännern wie in Paris, sie kämpften nach der liberalen Schablone
wider „Junker und Pfaffen" und vergaßen, daß sie ohne die liberalen Junker


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/576>, abgerufen am 23.07.2024.