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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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den Gliedern, jetzt schwindet sie völlig vor der Wonne des Schaums. Wer
diese einmal genossen hat, den zieht leidenschaftliches Verlangen immer wieder
zu ihr zurück. Das ganze Rheinhessen liegt vor uns, halb rechts in reicher
Waldumgebnng Dnrmstadt. Schloß und Mathildenhöhe sind klar erkennbar.
Unmittelbar unter uns, mehr als zur Hälfte mit Wald bedeckt, und v'eien Tal¬
einschnitten die Höhen des Odenwaldes. an seinem obst- und weinreichen West-
abHange die Bergstraße, über ihr zwischen Melibocus und Jngenheun das
großherzogliche Hoflager bei Seeheim mit seinem Park und Schloß Heiligenberg,
viele Einzelheiten sind deutlich daran zu unterscheiden. Und jetzt - unsre
freudige Erregung steigert sich von Minute zu Minute -- erblicken wir die
gewaltigen Schlangenlinien des Rheines von Nierstein bis Gernshewi und den
ihn fliehenden, aber in langgezognem Bogen ihm wieder zufließenden, Werber
und Weiher bildenden Altrhein bei Erfelden. Wie oft, bei jeder Luftreise aufs
neue, hatte ich diesen Anblick ersehnt! Heute bietet auch er sich neben tausend
andern Schönheiten unerwartet dar. Die Windgeschwindigkeit ist viel großer
als am früher Morgen, wo wir, z. B. über der Hohen Rhön, bisweilen
glaubten, der Ballon stehe still. Darum jagen die überwältigenden Eindrucke
einander förmlich. Seit einer Stunde hatten sich hier und da leichte Wolken
unter uus gebildet, aber rasch waren sie wieder zerflossen. Dann umsäumte sich
nngs der Horizont mit einer immer massiger werdenden Stratuswand, und jetzt
strebt plötzlich ein ganzes Heer weißer Cumuli auf uns zu. Wie leichte Reiter
in breiten Schwadrvnsfronten rücken sie ans uns los. der Kommandeur und sem
Adjutant voran. Wir empfinden schon die kühlere Lust und bangen, daß wir
Ballastopfer bringen müssen. Aber sie scheinen uns zu fürchten, in ewiger
Entfernung von uns machen sie Halt und schwenken dann seitwärts ab nach
rechts und nach links. Auch zwischeu uns und die Sonne hat sich wahrend
der ganzen Fahrt noch keine einzige Wolke gedrängt. Abkühlung des Gases und
Verkürzung des Genusses wären die Folge gewesen.

Was wir beim Main beobachtet hatten, wiederholt sich noch in stärkeren
Maße beim Rhein: er weigert sich zunächst, uns nach dein andern Ufer zu wsien.
wieder müssen wir eine Strecke südwärts treiben, aber er meines väterlich und
uns. der gute Alte, er hat uns eine ganz besonders reizvolle, durch Sage und
geschichtliche Erinnerungen geweihte Stätte für den Übergang zugedacht.


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die alte Vurqundenresidenz im gepriesenen Wonnegau. der im Osten von den
eben überflognen dichten Waldungen, dem Jägersburger Forste, den ^"wern
von Lorsch, Lampertheim und Vieruheim begrenzt wird. Wenn der Ballon doch
jetzt verweilen wollte! Den Augen ists ja unmöglich, alles zu erschauen, was
sich ihnen hier bietet. Wir könnten denken, die letzten Regentage ha ten dem
Gan eine Überschwemmung gebracht, ein solcher Wasserreichtum leuchtet uns
entgegen. Aber ein Blick auf die Karte belehrt uns. daß alle diese heerartigen


den Gliedern, jetzt schwindet sie völlig vor der Wonne des Schaums. Wer
diese einmal genossen hat, den zieht leidenschaftliches Verlangen immer wieder
zu ihr zurück. Das ganze Rheinhessen liegt vor uns, halb rechts in reicher
Waldumgebnng Dnrmstadt. Schloß und Mathildenhöhe sind klar erkennbar.
Unmittelbar unter uns, mehr als zur Hälfte mit Wald bedeckt, und v'eien Tal¬
einschnitten die Höhen des Odenwaldes. an seinem obst- und weinreichen West-
abHange die Bergstraße, über ihr zwischen Melibocus und Jngenheun das
großherzogliche Hoflager bei Seeheim mit seinem Park und Schloß Heiligenberg,
viele Einzelheiten sind deutlich daran zu unterscheiden. Und jetzt - unsre
freudige Erregung steigert sich von Minute zu Minute — erblicken wir die
gewaltigen Schlangenlinien des Rheines von Nierstein bis Gernshewi und den
ihn fliehenden, aber in langgezognem Bogen ihm wieder zufließenden, Werber
und Weiher bildenden Altrhein bei Erfelden. Wie oft, bei jeder Luftreise aufs
neue, hatte ich diesen Anblick ersehnt! Heute bietet auch er sich neben tausend
andern Schönheiten unerwartet dar. Die Windgeschwindigkeit ist viel großer
als am früher Morgen, wo wir, z. B. über der Hohen Rhön, bisweilen
glaubten, der Ballon stehe still. Darum jagen die überwältigenden Eindrucke
einander förmlich. Seit einer Stunde hatten sich hier und da leichte Wolken
unter uus gebildet, aber rasch waren sie wieder zerflossen. Dann umsäumte sich
nngs der Horizont mit einer immer massiger werdenden Stratuswand, und jetzt
strebt plötzlich ein ganzes Heer weißer Cumuli auf uns zu. Wie leichte Reiter
in breiten Schwadrvnsfronten rücken sie ans uns los. der Kommandeur und sem
Adjutant voran. Wir empfinden schon die kühlere Lust und bangen, daß wir
Ballastopfer bringen müssen. Aber sie scheinen uns zu fürchten, in ewiger
Entfernung von uns machen sie Halt und schwenken dann seitwärts ab nach
rechts und nach links. Auch zwischeu uns und die Sonne hat sich wahrend
der ganzen Fahrt noch keine einzige Wolke gedrängt. Abkühlung des Gases und
Verkürzung des Genusses wären die Folge gewesen.

Was wir beim Main beobachtet hatten, wiederholt sich noch in stärkeren
Maße beim Rhein: er weigert sich zunächst, uns nach dein andern Ufer zu wsien.
wieder müssen wir eine Strecke südwärts treiben, aber er meines väterlich und
uns. der gute Alte, er hat uns eine ganz besonders reizvolle, durch Sage und
geschichtliche Erinnerungen geweihte Stätte für den Übergang zugedacht.


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die alte Vurqundenresidenz im gepriesenen Wonnegau. der im Osten von den
eben überflognen dichten Waldungen, dem Jägersburger Forste, den ^"wern
von Lorsch, Lampertheim und Vieruheim begrenzt wird. Wenn der Ballon doch
jetzt verweilen wollte! Den Augen ists ja unmöglich, alles zu erschauen, was
sich ihnen hier bietet. Wir könnten denken, die letzten Regentage ha ten dem
Gan eine Überschwemmung gebracht, ein solcher Wasserreichtum leuchtet uns
entgegen. Aber ein Blick auf die Karte belehrt uns. daß alle diese heerartigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/55>, abgerufen am 23.07.2024.