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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Literarischo Rundschau

Tendenz gibt wieder der Offizier Ompteda: Pflichttreue und Glück im kleinen
Kreise und seiner Arbeit. Aber es fehlt hier die Ausrichtung auf das Ganze, der
Blick ins Weite, die den "Geyer" und "Epheu" auszeichnen, es fehlt auch den
Persönlichkeiten jene Wärme, die den armen Sylvester oder die liebliche Simone
in der "Heimat des Herzens" umstrahlen und unvergeßlich machen. Man be¬
findet sich mit diesen Normalmenschen und dem Glücksjungen in guter Ge¬
sellschaft, vergißt aber nie das Gesellschaftliche über dem Menschlichen und
nimmt von den Persönlichkeiten mit demselben nicht nachhaltigen Gefühl guter
Unterhaltung Abschied wie von den Teilnehmern eines angeregten, aber durch
keine überragende Gestalt ausgezeichneten Zusammenseins beim Glase Wein und
der Zigarre.

Tiefer geht Julius R. Haarhaus, der den Liebhabern seines "Marquis von
Marigny", zu denen ich mich von Herzen rechne, mit seinem neuen Buch eine
freudige Überraschung bereitet hat. Es heißt: "Unter dem Krummstab. Rheinische
Novellen" (Leipzig, Fr. Wilh. Grunow). Nach dem "Marquis von Marigny",
der mit seinem leichten Humor so wohlig hinerzählt ist, war ich mir über
Haarhaus schriftstellerisches Wesen nicht ganz klar. Freilich bot jenes Buch auch
weniger Handhaben. Jetzt weiß ich, wohin er zu rechnen ist: zu jenen Künstlern,
die nach Art Hans Hoffmanns das Kleine lieben, ohne kleinlich zu werden, die
aus der Vergangenheit gern allerlei Humor herausholen, ohne des Großen und
Ernster zu vergessen. Haarhaus macht es sich nicht leicht und geht (wie bei
der Schilderung der roten nett im "Mönch von Weinfelder") ruhig bis zum
letzten. Aber immer wieder kommt der Humor zu seinem Rechte, der dann, zum
Beispiel im "Bopparder Krieg", auch wieder einmal herrschen darf. War im
"Marquis von Marigny" alles breit und läßlich gefaßt, so erweist hier, im
"Mönch von Weinfelder" vor allem. Haarhaus seine Kunst der Knappheit --
beides dem Stil und dem Stoff seiner jeweiligen Wahl durchaus gemäß. Ge¬
meinsam ist beiden Büchern die Leichtigkeit, mit der Haarhaus das geschichtliche
Milieu zeichnet -- echt und natürlich, aber ohne archäologische und kvstüm-
historische Schnörkel. So konnte ihm denn auch gelingen, in durchaus wahr
anmutenden Ton und Stil die Geschichte der "Se. Michaelskinder" durch einen
Stadtschreiber des Jahres 1552 aufzeichnen zu lassen. Über dem ganzen Buch
liegt viel Sonne und Liebe, es ist nichts verkritzelt und nichts verzogen, und --
es ist nirgends langweilig, was im Zeitalter des Entwicklungsromans auch
einmal extra hervorgehoben werden darf.

Von ähnlicher Kurzweiligkeit, aber für mein Empfinden nicht von gleich
starker Natürlichkeit sind die Skizzen, die Anna Croissant-Ruft unter dem Titel:
"Aus unseres Herrgotts Tiergarten. Geschichten von sonderbaren Menschen und
verwunderlichem Getier" gesammelt hat (Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlags¬
anstalt). Anna Croissant-Rust stellt uns darin allerlei seltsames Volk aus ihrer
oberpfälzischen Heimat vor. Armenhäusler und wunderliche Junggesellen, Stamm¬
tischgäste und Haustyrannen -- kurz der ganze Mikrokosmus einer Kleinstadt


Literarischo Rundschau

Tendenz gibt wieder der Offizier Ompteda: Pflichttreue und Glück im kleinen
Kreise und seiner Arbeit. Aber es fehlt hier die Ausrichtung auf das Ganze, der
Blick ins Weite, die den „Geyer" und „Epheu" auszeichnen, es fehlt auch den
Persönlichkeiten jene Wärme, die den armen Sylvester oder die liebliche Simone
in der „Heimat des Herzens" umstrahlen und unvergeßlich machen. Man be¬
findet sich mit diesen Normalmenschen und dem Glücksjungen in guter Ge¬
sellschaft, vergißt aber nie das Gesellschaftliche über dem Menschlichen und
nimmt von den Persönlichkeiten mit demselben nicht nachhaltigen Gefühl guter
Unterhaltung Abschied wie von den Teilnehmern eines angeregten, aber durch
keine überragende Gestalt ausgezeichneten Zusammenseins beim Glase Wein und
der Zigarre.

Tiefer geht Julius R. Haarhaus, der den Liebhabern seines „Marquis von
Marigny", zu denen ich mich von Herzen rechne, mit seinem neuen Buch eine
freudige Überraschung bereitet hat. Es heißt: „Unter dem Krummstab. Rheinische
Novellen" (Leipzig, Fr. Wilh. Grunow). Nach dem „Marquis von Marigny",
der mit seinem leichten Humor so wohlig hinerzählt ist, war ich mir über
Haarhaus schriftstellerisches Wesen nicht ganz klar. Freilich bot jenes Buch auch
weniger Handhaben. Jetzt weiß ich, wohin er zu rechnen ist: zu jenen Künstlern,
die nach Art Hans Hoffmanns das Kleine lieben, ohne kleinlich zu werden, die
aus der Vergangenheit gern allerlei Humor herausholen, ohne des Großen und
Ernster zu vergessen. Haarhaus macht es sich nicht leicht und geht (wie bei
der Schilderung der roten nett im „Mönch von Weinfelder") ruhig bis zum
letzten. Aber immer wieder kommt der Humor zu seinem Rechte, der dann, zum
Beispiel im „Bopparder Krieg", auch wieder einmal herrschen darf. War im
„Marquis von Marigny" alles breit und läßlich gefaßt, so erweist hier, im
„Mönch von Weinfelder" vor allem. Haarhaus seine Kunst der Knappheit —
beides dem Stil und dem Stoff seiner jeweiligen Wahl durchaus gemäß. Ge¬
meinsam ist beiden Büchern die Leichtigkeit, mit der Haarhaus das geschichtliche
Milieu zeichnet — echt und natürlich, aber ohne archäologische und kvstüm-
historische Schnörkel. So konnte ihm denn auch gelingen, in durchaus wahr
anmutenden Ton und Stil die Geschichte der „Se. Michaelskinder" durch einen
Stadtschreiber des Jahres 1552 aufzeichnen zu lassen. Über dem ganzen Buch
liegt viel Sonne und Liebe, es ist nichts verkritzelt und nichts verzogen, und —
es ist nirgends langweilig, was im Zeitalter des Entwicklungsromans auch
einmal extra hervorgehoben werden darf.

Von ähnlicher Kurzweiligkeit, aber für mein Empfinden nicht von gleich
starker Natürlichkeit sind die Skizzen, die Anna Croissant-Ruft unter dem Titel:
„Aus unseres Herrgotts Tiergarten. Geschichten von sonderbaren Menschen und
verwunderlichem Getier" gesammelt hat (Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlags¬
anstalt). Anna Croissant-Rust stellt uns darin allerlei seltsames Volk aus ihrer
oberpfälzischen Heimat vor. Armenhäusler und wunderliche Junggesellen, Stamm¬
tischgäste und Haustyrannen — kurz der ganze Mikrokosmus einer Kleinstadt


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[0548] Literarischo Rundschau Tendenz gibt wieder der Offizier Ompteda: Pflichttreue und Glück im kleinen Kreise und seiner Arbeit. Aber es fehlt hier die Ausrichtung auf das Ganze, der Blick ins Weite, die den „Geyer" und „Epheu" auszeichnen, es fehlt auch den Persönlichkeiten jene Wärme, die den armen Sylvester oder die liebliche Simone in der „Heimat des Herzens" umstrahlen und unvergeßlich machen. Man be¬ findet sich mit diesen Normalmenschen und dem Glücksjungen in guter Ge¬ sellschaft, vergißt aber nie das Gesellschaftliche über dem Menschlichen und nimmt von den Persönlichkeiten mit demselben nicht nachhaltigen Gefühl guter Unterhaltung Abschied wie von den Teilnehmern eines angeregten, aber durch keine überragende Gestalt ausgezeichneten Zusammenseins beim Glase Wein und der Zigarre. Tiefer geht Julius R. Haarhaus, der den Liebhabern seines „Marquis von Marigny", zu denen ich mich von Herzen rechne, mit seinem neuen Buch eine freudige Überraschung bereitet hat. Es heißt: „Unter dem Krummstab. Rheinische Novellen" (Leipzig, Fr. Wilh. Grunow). Nach dem „Marquis von Marigny", der mit seinem leichten Humor so wohlig hinerzählt ist, war ich mir über Haarhaus schriftstellerisches Wesen nicht ganz klar. Freilich bot jenes Buch auch weniger Handhaben. Jetzt weiß ich, wohin er zu rechnen ist: zu jenen Künstlern, die nach Art Hans Hoffmanns das Kleine lieben, ohne kleinlich zu werden, die aus der Vergangenheit gern allerlei Humor herausholen, ohne des Großen und Ernster zu vergessen. Haarhaus macht es sich nicht leicht und geht (wie bei der Schilderung der roten nett im „Mönch von Weinfelder") ruhig bis zum letzten. Aber immer wieder kommt der Humor zu seinem Rechte, der dann, zum Beispiel im „Bopparder Krieg", auch wieder einmal herrschen darf. War im „Marquis von Marigny" alles breit und läßlich gefaßt, so erweist hier, im „Mönch von Weinfelder" vor allem. Haarhaus seine Kunst der Knappheit — beides dem Stil und dem Stoff seiner jeweiligen Wahl durchaus gemäß. Ge¬ meinsam ist beiden Büchern die Leichtigkeit, mit der Haarhaus das geschichtliche Milieu zeichnet — echt und natürlich, aber ohne archäologische und kvstüm- historische Schnörkel. So konnte ihm denn auch gelingen, in durchaus wahr anmutenden Ton und Stil die Geschichte der „Se. Michaelskinder" durch einen Stadtschreiber des Jahres 1552 aufzeichnen zu lassen. Über dem ganzen Buch liegt viel Sonne und Liebe, es ist nichts verkritzelt und nichts verzogen, und — es ist nirgends langweilig, was im Zeitalter des Entwicklungsromans auch einmal extra hervorgehoben werden darf. Von ähnlicher Kurzweiligkeit, aber für mein Empfinden nicht von gleich starker Natürlichkeit sind die Skizzen, die Anna Croissant-Ruft unter dem Titel: „Aus unseres Herrgotts Tiergarten. Geschichten von sonderbaren Menschen und verwunderlichem Getier" gesammelt hat (Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlags¬ anstalt). Anna Croissant-Rust stellt uns darin allerlei seltsames Volk aus ihrer oberpfälzischen Heimat vor. Armenhäusler und wunderliche Junggesellen, Stamm¬ tischgäste und Haustyrannen — kurz der ganze Mikrokosmus einer Kleinstadt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/548>, abgerufen am 23.07.2024.