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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Literarische Rundschau

und so könnte der schon in Jahren stehende eigentlich sein ganzes Lebenswerk
benamsen. Die zarte Uncrufdringlichkeit und dabei die volle Gegenständlichkeit
seiner Darstellung sind Kröger auch in diesem Bande treu geblieben. Diese
"Skizzen aus einem Leben" geben wirkliches Leben, das immer wieder an der
Brust der Natur ruht und deshalb immer blutvoll, nie papieren vor uns seine
Straße geht. Man möchte die Feinheit dieser Stimmungen nicht durch rauhes
Bcfasseu stören, nicht durch zu viel Zerlegung den Eindruck beeinträchtigen
der oft durch bloße Andeutung, wie durch einen leisen Stoß mit dem Finger
heraufgezaubert wird. Wie erlebt Kröger die Natur! Wie weiß seine merk¬
würdige Sprache -- bald fließend, bald gehackt -- ihr nachzukommen! Und
wenn die Kreatur oder das Hausgerät an der Unterhaltung teilnehmen, wirds
gar warm und heimelig (in der alten, verkannten Bedeutung des Worts). In
der Dämmerstunde sollte mau Kröger lesen und lange Pausen nach jedem Ab¬
schnitt machen und aus dem runden Lichtkreis der Öllampe nachdenklich ins
Halbdunkel schauen.

Ein sehr viel unruhigeres Temperament und sehr viel ungeduldigere
Nerven offenbart Krögers jüngere Landsgenossin Helene Voigt-Diederichs in
ihrem mit Recht preisgekrönten Roman "Dreiviertel Stund vor Tag" (Jena
und Leipzig, Eugen Diederichs). "Roman aus dem niedersüchsischen Volksleben"
lautet -- wieder mit einer Konzession an die Heimatkunst -- der Untertitel,
trifft aber nicht den Kern der Nuß. Denn dieses Werk einer feinen, nachdenk¬
lichen und suchsameu Frau ist die psychologische Darstellung einer spröden,
sehnsüchtig nach Wärme und Liebe flatternden Mädchennatur, die von ihrer
niedersächsischen Umgebung genug mitbekommen hat, aber auch in einem weitern
Kreise als poetische Gestalt ihr berechtigtes Dasein führen würde. Ich bitte,
mich nicht mißzuverstehn. Ich weiß sehr gilt, daß jeder Mensch ein Glied
seines Volkes und dadurch in vielem bestimmt (die Mode sagt: bedingt) ist.
Aber es gibt Menschen, im Leben so gut wie in der Kunst, die völlig in der
Eigenart des engern Stammes stecken bleiben und ohne sie nicht verstündlich
sind, und andre, die, ohne deshalb Luftwurzeln zu haben, die Stammesart nur
wie einen aparten Faltenwurf noch unbewußt mitführen, sonst aber ganz im
großen Charakter der Nation aufgegangen sind. Beispielsmäßig zu sprechen,
erscheint Uhland immer als Schwabe gegen Schiller, Klaus Groth als Schleswig-
Holsteiner im spezifischen Sinne gegenüber Hebbel, bei dem die dithmarsischen
Elemente herausgeholt werden können, aber nicht Maßstab sind. So sind auch zum
Beispiel Timm Krögers Gestalten nur in Holstein denkbar, die Karen Nebendahl
in dem Roman der Frau Voigt-Diederichs nicht. Sie hat eine nahe Verwandte
in Carl Hauptmanns "Mathilde", über die ich hier (in Heft 30) gesprochen
habe. Die Geschichte einer im Grunde einsamen Seele wird entrollt, die Traum
und Phantasie über die Enge ihrer Lage hinausführen, und die erst ein
wärmeres Genügen lernt, als Mutterhoffnung sie neue Welten ahnen läßt.
Wie Karens Haut weißer ist als die ihrer arbeitschweren Landsleute, so ist ihr


Literarische Rundschau

und so könnte der schon in Jahren stehende eigentlich sein ganzes Lebenswerk
benamsen. Die zarte Uncrufdringlichkeit und dabei die volle Gegenständlichkeit
seiner Darstellung sind Kröger auch in diesem Bande treu geblieben. Diese
„Skizzen aus einem Leben" geben wirkliches Leben, das immer wieder an der
Brust der Natur ruht und deshalb immer blutvoll, nie papieren vor uns seine
Straße geht. Man möchte die Feinheit dieser Stimmungen nicht durch rauhes
Bcfasseu stören, nicht durch zu viel Zerlegung den Eindruck beeinträchtigen
der oft durch bloße Andeutung, wie durch einen leisen Stoß mit dem Finger
heraufgezaubert wird. Wie erlebt Kröger die Natur! Wie weiß seine merk¬
würdige Sprache — bald fließend, bald gehackt — ihr nachzukommen! Und
wenn die Kreatur oder das Hausgerät an der Unterhaltung teilnehmen, wirds
gar warm und heimelig (in der alten, verkannten Bedeutung des Worts). In
der Dämmerstunde sollte mau Kröger lesen und lange Pausen nach jedem Ab¬
schnitt machen und aus dem runden Lichtkreis der Öllampe nachdenklich ins
Halbdunkel schauen.

Ein sehr viel unruhigeres Temperament und sehr viel ungeduldigere
Nerven offenbart Krögers jüngere Landsgenossin Helene Voigt-Diederichs in
ihrem mit Recht preisgekrönten Roman „Dreiviertel Stund vor Tag" (Jena
und Leipzig, Eugen Diederichs). „Roman aus dem niedersüchsischen Volksleben"
lautet — wieder mit einer Konzession an die Heimatkunst — der Untertitel,
trifft aber nicht den Kern der Nuß. Denn dieses Werk einer feinen, nachdenk¬
lichen und suchsameu Frau ist die psychologische Darstellung einer spröden,
sehnsüchtig nach Wärme und Liebe flatternden Mädchennatur, die von ihrer
niedersächsischen Umgebung genug mitbekommen hat, aber auch in einem weitern
Kreise als poetische Gestalt ihr berechtigtes Dasein führen würde. Ich bitte,
mich nicht mißzuverstehn. Ich weiß sehr gilt, daß jeder Mensch ein Glied
seines Volkes und dadurch in vielem bestimmt (die Mode sagt: bedingt) ist.
Aber es gibt Menschen, im Leben so gut wie in der Kunst, die völlig in der
Eigenart des engern Stammes stecken bleiben und ohne sie nicht verstündlich
sind, und andre, die, ohne deshalb Luftwurzeln zu haben, die Stammesart nur
wie einen aparten Faltenwurf noch unbewußt mitführen, sonst aber ganz im
großen Charakter der Nation aufgegangen sind. Beispielsmäßig zu sprechen,
erscheint Uhland immer als Schwabe gegen Schiller, Klaus Groth als Schleswig-
Holsteiner im spezifischen Sinne gegenüber Hebbel, bei dem die dithmarsischen
Elemente herausgeholt werden können, aber nicht Maßstab sind. So sind auch zum
Beispiel Timm Krögers Gestalten nur in Holstein denkbar, die Karen Nebendahl
in dem Roman der Frau Voigt-Diederichs nicht. Sie hat eine nahe Verwandte
in Carl Hauptmanns „Mathilde", über die ich hier (in Heft 30) gesprochen
habe. Die Geschichte einer im Grunde einsamen Seele wird entrollt, die Traum
und Phantasie über die Enge ihrer Lage hinausführen, und die erst ein
wärmeres Genügen lernt, als Mutterhoffnung sie neue Welten ahnen läßt.
Wie Karens Haut weißer ist als die ihrer arbeitschweren Landsleute, so ist ihr


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[0546] Literarische Rundschau und so könnte der schon in Jahren stehende eigentlich sein ganzes Lebenswerk benamsen. Die zarte Uncrufdringlichkeit und dabei die volle Gegenständlichkeit seiner Darstellung sind Kröger auch in diesem Bande treu geblieben. Diese „Skizzen aus einem Leben" geben wirkliches Leben, das immer wieder an der Brust der Natur ruht und deshalb immer blutvoll, nie papieren vor uns seine Straße geht. Man möchte die Feinheit dieser Stimmungen nicht durch rauhes Bcfasseu stören, nicht durch zu viel Zerlegung den Eindruck beeinträchtigen der oft durch bloße Andeutung, wie durch einen leisen Stoß mit dem Finger heraufgezaubert wird. Wie erlebt Kröger die Natur! Wie weiß seine merk¬ würdige Sprache — bald fließend, bald gehackt — ihr nachzukommen! Und wenn die Kreatur oder das Hausgerät an der Unterhaltung teilnehmen, wirds gar warm und heimelig (in der alten, verkannten Bedeutung des Worts). In der Dämmerstunde sollte mau Kröger lesen und lange Pausen nach jedem Ab¬ schnitt machen und aus dem runden Lichtkreis der Öllampe nachdenklich ins Halbdunkel schauen. Ein sehr viel unruhigeres Temperament und sehr viel ungeduldigere Nerven offenbart Krögers jüngere Landsgenossin Helene Voigt-Diederichs in ihrem mit Recht preisgekrönten Roman „Dreiviertel Stund vor Tag" (Jena und Leipzig, Eugen Diederichs). „Roman aus dem niedersüchsischen Volksleben" lautet — wieder mit einer Konzession an die Heimatkunst — der Untertitel, trifft aber nicht den Kern der Nuß. Denn dieses Werk einer feinen, nachdenk¬ lichen und suchsameu Frau ist die psychologische Darstellung einer spröden, sehnsüchtig nach Wärme und Liebe flatternden Mädchennatur, die von ihrer niedersächsischen Umgebung genug mitbekommen hat, aber auch in einem weitern Kreise als poetische Gestalt ihr berechtigtes Dasein führen würde. Ich bitte, mich nicht mißzuverstehn. Ich weiß sehr gilt, daß jeder Mensch ein Glied seines Volkes und dadurch in vielem bestimmt (die Mode sagt: bedingt) ist. Aber es gibt Menschen, im Leben so gut wie in der Kunst, die völlig in der Eigenart des engern Stammes stecken bleiben und ohne sie nicht verstündlich sind, und andre, die, ohne deshalb Luftwurzeln zu haben, die Stammesart nur wie einen aparten Faltenwurf noch unbewußt mitführen, sonst aber ganz im großen Charakter der Nation aufgegangen sind. Beispielsmäßig zu sprechen, erscheint Uhland immer als Schwabe gegen Schiller, Klaus Groth als Schleswig- Holsteiner im spezifischen Sinne gegenüber Hebbel, bei dem die dithmarsischen Elemente herausgeholt werden können, aber nicht Maßstab sind. So sind auch zum Beispiel Timm Krögers Gestalten nur in Holstein denkbar, die Karen Nebendahl in dem Roman der Frau Voigt-Diederichs nicht. Sie hat eine nahe Verwandte in Carl Hauptmanns „Mathilde", über die ich hier (in Heft 30) gesprochen habe. Die Geschichte einer im Grunde einsamen Seele wird entrollt, die Traum und Phantasie über die Enge ihrer Lage hinausführen, und die erst ein wärmeres Genügen lernt, als Mutterhoffnung sie neue Welten ahnen läßt. Wie Karens Haut weißer ist als die ihrer arbeitschweren Landsleute, so ist ihr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/546>, abgerufen am 23.07.2024.