Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.Maszgol'liebes u>,i) Arni^ßg^blieb^s In derselben Rede, in der das Ausland einen ruhigen und stolzen Ernst sah, Dieser Unterschied der Urteilsfähigkeit ist an und für sich nicht erfreulich. Ehe man der deutschen Presse Mangel an politischer Begabung vorwirft, Es sind also doch wohl keine zeitungstechnischen sondern innere Gründe. Kritik- Das alles reicht aber nicht aus. Trotz cilledem muß von Mangel an poli¬ Maszgol'liebes u>,i) Arni^ßg^blieb^s In derselben Rede, in der das Ausland einen ruhigen und stolzen Ernst sah, Dieser Unterschied der Urteilsfähigkeit ist an und für sich nicht erfreulich. Ehe man der deutschen Presse Mangel an politischer Begabung vorwirft, Es sind also doch wohl keine zeitungstechnischen sondern innere Gründe. Kritik- Das alles reicht aber nicht aus. Trotz cilledem muß von Mangel an poli¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301009"/> <fw type="header" place="top"> Maszgol'liebes u>,i) Arni^ßg^blieb^s</fw><lb/> <p xml:id="ID_2101" prev="#ID_2100"> In derselben Rede, in der das Ausland einen ruhigen und stolzen Ernst sah,<lb/> fanden inländische Blätter nur den frühern „rosigen Kanzler" wieder und seinen<lb/> „ausschweifenden Optimismus". Wer sich die Mühe nimmt, die Presse des Jn-<lb/> und des Auslands daraufhin zu vergleichen, wird finden — sofern er mit einigem<lb/> politischen Sinn begabt ist —, daß die Presse des Auslands nicht nnr besser<lb/> sondern auch richtiger, die des Inlands nicht nur schlechter sondern auch unrichtiger<lb/> geurteilt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_2102"> Dieser Unterschied der Urteilsfähigkeit ist an und für sich nicht erfreulich.<lb/> Er ist es in diesem Falle um so weniger, als er Praktisch für die deutsche Politik<lb/> vom größten Nachteil ist. Unter der Rückwirkung der Beurteilung, die die Rede<lb/> im Inlande erfahren hat, wurde der günstige Eindruck, den die Rede im Aus¬<lb/> lande hat hervorrufen können, zwar nicht vernichtet, aber doch stellenweise ver¬<lb/> wischt. Auch die Redakteure der deutscheu oppositionellen Presse werden die Frage<lb/> entscheiden können, ob es vorteilhaft für die deutsche Politik ist, wenn der Ein¬<lb/> druck, daß die öffentliche Meinung des Volkes nicht hinter den Aktionen seiner<lb/> leitenden Staatsmänner steht, diesen Aktionen einen wesentlichen Teil ihres Nach¬<lb/> drucks zu nehmen vermag. Wer sich genauer vou dieser Rückwirkung überzeugen<lb/> will, der lese zuerst die Leitartikel der Pariser Abendblätter voni 15. und<lb/> 16. November — und mache sich dann das für einen Patrioten zweifelhafte Ver¬<lb/> gnügen, nachzusehen, in welcher Richtung — um einen speziellen Fall zu geben —<lb/> der Artikel der Frankfurter Zeitung ini Abendblatt des 15. November den Leit¬<lb/> artikel des Temps vom 19. beeinflußt hat. Und dabei ist die Frankfurter Zeitung<lb/> eins der deutschen Blätter, das sich noch immer durch einen gewissen Sinn für<lb/> politische Möglichkeiten ausgezeichnet hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_2103"> Ehe man der deutschen Presse Mangel an politischer Begabung vorwirft,<lb/> könnte man versuchen, den Grund schlechten Urteilens in der Schnelligkeit zu sehen,<lb/> die das Zeitungswesen von dem Urteilenden verlangt. Die große Rede, die bei¬<lb/> nahe zwei volle Stunden in Anspruch nahm, war um vier Uhr beendet. Um acht<lb/> Uhr liegt der Text der Rede den Berliner Redaktionen vor. Die Rede flüchtig<lb/> zu lesen, fordert anderthalb Stunden; da der für das Morgenblatt bestimmte<lb/> Artikel um Mitternacht geschrieben sein muß, bleiben höchstens zweieinhalb Stunden<lb/> für Überlegung und Niederschrift. Das Halbgesagte zu interpretieren, das Be¬<lb/> deutsame herauszufinden, verschwiegne Intentionen richtig zu ahnen, bleibt sehr wenig<lb/> oder gar keine Zeit. Daher merkt man den Morgenblättern an, daß die Rede<lb/> niemals überdacht, oft gar nicht gelesen, sondern nur beurteilt worden ist — schlimmer<lb/> noch, daß das Urteil im wesentlichen vorher schon feststand. Diese Begründung ist<lb/> nicht stichhaltig: die Urteile der spätern Abendblätter waren nicht gescheiter, der<lb/> erste allzuflüchtige Eindruck wurde selten, wie es Wohl hätte geschehen müssen,<lb/> korrigiert, und schließlich haben die Londoner und Pariser Blätter anch nicht viel<lb/> mehr Zeit gehabt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2104"> Es sind also doch wohl keine zeitungstechnischen sondern innere Gründe. Kritik-<lb/> sncht und Doktrinarismus siud altbekannte Eigenschaften des deutschen Volks. Aus<lb/> Doktrinarismus resultiert Voreingenommenheit. Auch aus diesem Grunde, nicht bloß<lb/> infolge der erwähnten Zeitungsschnelligkeit, waren die Urteile früher fertig als die<lb/> Rede. Jeder Deutsche weiß es von vornherein besser. Man könnte auch geltend<lb/> mache», daß die Presse ja nicht das Volk ist, ja daß hie und da in den Redaktionen<lb/> Leute sitzen, die innerlich mit dem Deutschtum nicht allzu enge zusammenhängen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2105"> Das alles reicht aber nicht aus. Trotz cilledem muß von Mangel an poli¬<lb/> tischer Begabung, enger: von Mangel an Sinn für auswärtige Politik gesprochen<lb/> werden.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0510]
Maszgol'liebes u>,i) Arni^ßg^blieb^s
In derselben Rede, in der das Ausland einen ruhigen und stolzen Ernst sah,
fanden inländische Blätter nur den frühern „rosigen Kanzler" wieder und seinen
„ausschweifenden Optimismus". Wer sich die Mühe nimmt, die Presse des Jn-
und des Auslands daraufhin zu vergleichen, wird finden — sofern er mit einigem
politischen Sinn begabt ist —, daß die Presse des Auslands nicht nnr besser
sondern auch richtiger, die des Inlands nicht nur schlechter sondern auch unrichtiger
geurteilt hat.
Dieser Unterschied der Urteilsfähigkeit ist an und für sich nicht erfreulich.
Er ist es in diesem Falle um so weniger, als er Praktisch für die deutsche Politik
vom größten Nachteil ist. Unter der Rückwirkung der Beurteilung, die die Rede
im Inlande erfahren hat, wurde der günstige Eindruck, den die Rede im Aus¬
lande hat hervorrufen können, zwar nicht vernichtet, aber doch stellenweise ver¬
wischt. Auch die Redakteure der deutscheu oppositionellen Presse werden die Frage
entscheiden können, ob es vorteilhaft für die deutsche Politik ist, wenn der Ein¬
druck, daß die öffentliche Meinung des Volkes nicht hinter den Aktionen seiner
leitenden Staatsmänner steht, diesen Aktionen einen wesentlichen Teil ihres Nach¬
drucks zu nehmen vermag. Wer sich genauer vou dieser Rückwirkung überzeugen
will, der lese zuerst die Leitartikel der Pariser Abendblätter voni 15. und
16. November — und mache sich dann das für einen Patrioten zweifelhafte Ver¬
gnügen, nachzusehen, in welcher Richtung — um einen speziellen Fall zu geben —
der Artikel der Frankfurter Zeitung ini Abendblatt des 15. November den Leit¬
artikel des Temps vom 19. beeinflußt hat. Und dabei ist die Frankfurter Zeitung
eins der deutschen Blätter, das sich noch immer durch einen gewissen Sinn für
politische Möglichkeiten ausgezeichnet hat.
Ehe man der deutschen Presse Mangel an politischer Begabung vorwirft,
könnte man versuchen, den Grund schlechten Urteilens in der Schnelligkeit zu sehen,
die das Zeitungswesen von dem Urteilenden verlangt. Die große Rede, die bei¬
nahe zwei volle Stunden in Anspruch nahm, war um vier Uhr beendet. Um acht
Uhr liegt der Text der Rede den Berliner Redaktionen vor. Die Rede flüchtig
zu lesen, fordert anderthalb Stunden; da der für das Morgenblatt bestimmte
Artikel um Mitternacht geschrieben sein muß, bleiben höchstens zweieinhalb Stunden
für Überlegung und Niederschrift. Das Halbgesagte zu interpretieren, das Be¬
deutsame herauszufinden, verschwiegne Intentionen richtig zu ahnen, bleibt sehr wenig
oder gar keine Zeit. Daher merkt man den Morgenblättern an, daß die Rede
niemals überdacht, oft gar nicht gelesen, sondern nur beurteilt worden ist — schlimmer
noch, daß das Urteil im wesentlichen vorher schon feststand. Diese Begründung ist
nicht stichhaltig: die Urteile der spätern Abendblätter waren nicht gescheiter, der
erste allzuflüchtige Eindruck wurde selten, wie es Wohl hätte geschehen müssen,
korrigiert, und schließlich haben die Londoner und Pariser Blätter anch nicht viel
mehr Zeit gehabt.
Es sind also doch wohl keine zeitungstechnischen sondern innere Gründe. Kritik-
sncht und Doktrinarismus siud altbekannte Eigenschaften des deutschen Volks. Aus
Doktrinarismus resultiert Voreingenommenheit. Auch aus diesem Grunde, nicht bloß
infolge der erwähnten Zeitungsschnelligkeit, waren die Urteile früher fertig als die
Rede. Jeder Deutsche weiß es von vornherein besser. Man könnte auch geltend
mache», daß die Presse ja nicht das Volk ist, ja daß hie und da in den Redaktionen
Leute sitzen, die innerlich mit dem Deutschtum nicht allzu enge zusammenhängen.
Das alles reicht aber nicht aus. Trotz cilledem muß von Mangel an poli¬
tischer Begabung, enger: von Mangel an Sinn für auswärtige Politik gesprochen
werden.
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