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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Luftreisen

er brachte in der Tat ein Wetter, wie es köstlicher nicht gedacht werden konnte,
mit nördlichen und nordöstlichen Winden.

Die so wohlgelungne Nachtfahrt Mittwoch nach Ostern über Harz und
Weserlande bis zur Hase*) hatte mirs angetan, eine Nachtfahrt sollte es auch
diesesmal wieder werden, und nunmehr wirklich im Vollmondscheine. Für Mitter¬
nacht war der Aufstieg geplant, damit die Fahrt möglichst weit in den nächsten
Tag hinein ausgedehnt werden könnte. Aber der Ballonführer denkt, und die
Gasanstalt lenkt. Die Arbeiter vom Werke Elektron II in Bitterfeld wollten
ihren Feierabend haben und waren bis auf einige nicht länger zu halten. Das
kleine Kommando vom Luftschifferbataillon, das auch für Vereinsfahrten liebens¬
würdigerweise zur Verfügung gestellt wird, bestehend aus einem Unteroffizier
und einem Gefreiten, wußte sich jedoch zu helfen. Zuschauer hatten sich in Menge
eingefunden, diese wurden angestellt, die Taue des längst gefüllten Ballons zu
halten und den vor Ungeduld stöhnenden Korb auf den Boden niederzudrücken.

Noch fehlte ja einer der beiden Reisegefährten, der von der Höhe des
Plossen kommend dem Führer neuestes, Allerneuestes aus der Heimat bringen
sollte. Punkt halb elf Uhr rollte ein Zweispänner mit ihm heran. Nun ohne
Zögern heraus aus dem Wagen, hinein in den Korb, und fort gings in die
wundervolle Mondnacht hinaus, hinauf, kaum daß ihm Zeit gelassen wurde,
einen Blick auf den guten "Ernst" zu werfen, ehe er sich von ihm in die Lüfte
entführen ließ. Und das war Dr. Reichels erste Luftreise!

Neun Sack Ballast haben wir mit, aber der Sand ist ziemlich feucht ge¬
worden, sodaß sie einem Gewicht von mindestens zehn Säcken entsprechen, im
ganzen also etwa 150 Kilo. Wir geizen mit jedem Körnchen und halten uns
so niedrig wie möglich über dem Erdboden. Die Muldenauen um Bitterfeld
sind uns längst vertraut, aber wirklich reizvoll erscheinen sie uns erst heute im
Mondenschein mit ihren sanft beleuchteten Gefilden, den tiefen Schatten der
Bäume und der Gebäude, den silberglänzenden Windungen der Mulde. So
hell ist die Nacht, daß wir mit einiger Anstrengung die Apparate ohne künst¬
liches Licht ablesen und Aufzeichnungen machen tonnen.

Bei Fahrten im Sonnenschein entzückt es den Luftschiffer, den auf der
Erdoberfläche dahingleitenden Schatten des Ballons, oder wenn sich Ballon
und Korb in den Wolken spiegeln, das Bild des ganzen Fahrzeuges von einer
Aureole in den Negenbogenfarben umgeben zu sehen. Noch entzückender aber
ist die Wirkung, die klarer Mondenschein hervorbringt, sie ist geheimnisvoller,
zauberhaft: ein weiter silberner Lichtschein umflutet Ballon und Korb kranzförmig
und schafft ihnen so einen leuchtenden Nahmen, der sie von dem dunkeln Ge¬
lände kräftig abhebt.

Die geringe Höhe unsers Fluges dürfen wir ohne Besorgnis beibehalten-
Keine Ortschaft gefährdet uns mit ihrem Kirchturm, Brehna und Landsberg


y Grenzboten, 1W6, Heft 27, S. 32 bis 41! Eine Nachtfahrt.
Luftreisen

er brachte in der Tat ein Wetter, wie es köstlicher nicht gedacht werden konnte,
mit nördlichen und nordöstlichen Winden.

Die so wohlgelungne Nachtfahrt Mittwoch nach Ostern über Harz und
Weserlande bis zur Hase*) hatte mirs angetan, eine Nachtfahrt sollte es auch
diesesmal wieder werden, und nunmehr wirklich im Vollmondscheine. Für Mitter¬
nacht war der Aufstieg geplant, damit die Fahrt möglichst weit in den nächsten
Tag hinein ausgedehnt werden könnte. Aber der Ballonführer denkt, und die
Gasanstalt lenkt. Die Arbeiter vom Werke Elektron II in Bitterfeld wollten
ihren Feierabend haben und waren bis auf einige nicht länger zu halten. Das
kleine Kommando vom Luftschifferbataillon, das auch für Vereinsfahrten liebens¬
würdigerweise zur Verfügung gestellt wird, bestehend aus einem Unteroffizier
und einem Gefreiten, wußte sich jedoch zu helfen. Zuschauer hatten sich in Menge
eingefunden, diese wurden angestellt, die Taue des längst gefüllten Ballons zu
halten und den vor Ungeduld stöhnenden Korb auf den Boden niederzudrücken.

Noch fehlte ja einer der beiden Reisegefährten, der von der Höhe des
Plossen kommend dem Führer neuestes, Allerneuestes aus der Heimat bringen
sollte. Punkt halb elf Uhr rollte ein Zweispänner mit ihm heran. Nun ohne
Zögern heraus aus dem Wagen, hinein in den Korb, und fort gings in die
wundervolle Mondnacht hinaus, hinauf, kaum daß ihm Zeit gelassen wurde,
einen Blick auf den guten „Ernst" zu werfen, ehe er sich von ihm in die Lüfte
entführen ließ. Und das war Dr. Reichels erste Luftreise!

Neun Sack Ballast haben wir mit, aber der Sand ist ziemlich feucht ge¬
worden, sodaß sie einem Gewicht von mindestens zehn Säcken entsprechen, im
ganzen also etwa 150 Kilo. Wir geizen mit jedem Körnchen und halten uns
so niedrig wie möglich über dem Erdboden. Die Muldenauen um Bitterfeld
sind uns längst vertraut, aber wirklich reizvoll erscheinen sie uns erst heute im
Mondenschein mit ihren sanft beleuchteten Gefilden, den tiefen Schatten der
Bäume und der Gebäude, den silberglänzenden Windungen der Mulde. So
hell ist die Nacht, daß wir mit einiger Anstrengung die Apparate ohne künst¬
liches Licht ablesen und Aufzeichnungen machen tonnen.

Bei Fahrten im Sonnenschein entzückt es den Luftschiffer, den auf der
Erdoberfläche dahingleitenden Schatten des Ballons, oder wenn sich Ballon
und Korb in den Wolken spiegeln, das Bild des ganzen Fahrzeuges von einer
Aureole in den Negenbogenfarben umgeben zu sehen. Noch entzückender aber
ist die Wirkung, die klarer Mondenschein hervorbringt, sie ist geheimnisvoller,
zauberhaft: ein weiter silberner Lichtschein umflutet Ballon und Korb kranzförmig
und schafft ihnen so einen leuchtenden Nahmen, der sie von dem dunkeln Ge¬
lände kräftig abhebt.

Die geringe Höhe unsers Fluges dürfen wir ohne Besorgnis beibehalten-
Keine Ortschaft gefährdet uns mit ihrem Kirchturm, Brehna und Landsberg


y Grenzboten, 1W6, Heft 27, S. 32 bis 41! Eine Nachtfahrt.
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[0050] Luftreisen er brachte in der Tat ein Wetter, wie es köstlicher nicht gedacht werden konnte, mit nördlichen und nordöstlichen Winden. Die so wohlgelungne Nachtfahrt Mittwoch nach Ostern über Harz und Weserlande bis zur Hase*) hatte mirs angetan, eine Nachtfahrt sollte es auch diesesmal wieder werden, und nunmehr wirklich im Vollmondscheine. Für Mitter¬ nacht war der Aufstieg geplant, damit die Fahrt möglichst weit in den nächsten Tag hinein ausgedehnt werden könnte. Aber der Ballonführer denkt, und die Gasanstalt lenkt. Die Arbeiter vom Werke Elektron II in Bitterfeld wollten ihren Feierabend haben und waren bis auf einige nicht länger zu halten. Das kleine Kommando vom Luftschifferbataillon, das auch für Vereinsfahrten liebens¬ würdigerweise zur Verfügung gestellt wird, bestehend aus einem Unteroffizier und einem Gefreiten, wußte sich jedoch zu helfen. Zuschauer hatten sich in Menge eingefunden, diese wurden angestellt, die Taue des längst gefüllten Ballons zu halten und den vor Ungeduld stöhnenden Korb auf den Boden niederzudrücken. Noch fehlte ja einer der beiden Reisegefährten, der von der Höhe des Plossen kommend dem Führer neuestes, Allerneuestes aus der Heimat bringen sollte. Punkt halb elf Uhr rollte ein Zweispänner mit ihm heran. Nun ohne Zögern heraus aus dem Wagen, hinein in den Korb, und fort gings in die wundervolle Mondnacht hinaus, hinauf, kaum daß ihm Zeit gelassen wurde, einen Blick auf den guten „Ernst" zu werfen, ehe er sich von ihm in die Lüfte entführen ließ. Und das war Dr. Reichels erste Luftreise! Neun Sack Ballast haben wir mit, aber der Sand ist ziemlich feucht ge¬ worden, sodaß sie einem Gewicht von mindestens zehn Säcken entsprechen, im ganzen also etwa 150 Kilo. Wir geizen mit jedem Körnchen und halten uns so niedrig wie möglich über dem Erdboden. Die Muldenauen um Bitterfeld sind uns längst vertraut, aber wirklich reizvoll erscheinen sie uns erst heute im Mondenschein mit ihren sanft beleuchteten Gefilden, den tiefen Schatten der Bäume und der Gebäude, den silberglänzenden Windungen der Mulde. So hell ist die Nacht, daß wir mit einiger Anstrengung die Apparate ohne künst¬ liches Licht ablesen und Aufzeichnungen machen tonnen. Bei Fahrten im Sonnenschein entzückt es den Luftschiffer, den auf der Erdoberfläche dahingleitenden Schatten des Ballons, oder wenn sich Ballon und Korb in den Wolken spiegeln, das Bild des ganzen Fahrzeuges von einer Aureole in den Negenbogenfarben umgeben zu sehen. Noch entzückender aber ist die Wirkung, die klarer Mondenschein hervorbringt, sie ist geheimnisvoller, zauberhaft: ein weiter silberner Lichtschein umflutet Ballon und Korb kranzförmig und schafft ihnen so einen leuchtenden Nahmen, der sie von dem dunkeln Ge¬ lände kräftig abhebt. Die geringe Höhe unsers Fluges dürfen wir ohne Besorgnis beibehalten- Keine Ortschaft gefährdet uns mit ihrem Kirchturm, Brehna und Landsberg y Grenzboten, 1W6, Heft 27, S. 32 bis 41! Eine Nachtfahrt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/50>, abgerufen am 23.07.2024.