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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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vor vierzig Jahren

Uhr entstand ein Rennen und Laufen, wie aus dem Boden gewachsen standen
preußische Kompagnien auf dem Markte und auf der Neustadt, die Gewehre
zusammengesetzt; manche Soldaten lagen schon ermüdet auf dem Pflaster und
schliefen, den Tornister als Kopfkissen benutzend; sie wurden dann, wie die
kurz nach ihnen eintreffende Husarenschwadron, in Massenquartieren nach dem
Süden der Stadt hin untergebracht; zwei Kompagnien waren schon auf der
Straße nach Grottau vorgegangen. Es war kein Requisitionskommando, sondern
der Vortrab der 7. Division. Beim Einmarsch hatte ihnen die Kommunalgarde
formell die bisher von ihr besetzte Hauptwache übergeben. Am nächsten Morgen
machten sie sich zum Ausmarsche fertig. Man begann jetzt zweifelnd an einen
Vormarsch nach Böhmen zu glauben. Am Nachmittag schwand jeder Zweifel.
Denn von zwei Uhr ab kam Bataillon auf Bataillon die Bautzner Straße
herein, mit dem Schmettern ihrer Musik wechselten der Trommelwirbel und die
gellenden Töne der Pickelflöten, Husaren- und Manenschwadronen folgten,
dann lange Geschützzüge mit kurzen Unterbrechungen den ganzen Nachmittag
hindurch bis in den Abend hinein; ich gab es endlich auf, die Bataillone zu
zählen. Am Abend war die ganze achte Division, die mehr Soldaten zählte,
als damals die Stadt Einwohner (kaum 15 000) hatte, in der Stadt ver¬
sammelt, in Biwaks oder in Massenquartieren. An zahlreichen Plätzen loderten
offne Feuer unter großen Kesseln, in denen Rindfleisch und Erbsen für die
Leute gekocht wurden, und eifrig bemühten sich um diese Frauen aus der
Stadt unter Leitung vertrauenswürdiger Bürger. Es war viel guter Wille
dabei und auch einiger Humor. Und doch scheinen nicht alle Ansprüche be¬
friedigt worden zu sein. Gegen acht Uhr Abends wenigstens erschien der
Generalmajor von Bose. Kommandeur der fünfzehnten Jnfantericbrigade. mit
eungen Offizieren und Mannschaften auf dem Rathause und legte der Stadt
wegen angeblich ungenügender Quartiere und mangelhafter Verpflegung -- wie
sollten sie genügen können! -- in drohender Sprache eine Kontribution von
sechstausend Talern auf. Diese Härte haben die Zittaucr dem tapfern General.
°er sich nachmals bei Blumenau vor Preßburg und 1870 bei Wörth als
Kommandeur des elften Armeekorps rühmlich auszeichnete, lange in gekränkter
Seele nachgetragen, denn sie waren sich bewußt, das Menschenn'ögliche geleistet
°" haben. Und doch schien noch Schlimmeres kommen zu können. Denn be¬
sonders stark waren die südlichen Zugänge der Stadt nach der Grenze hin
besetzt. Dort, wo die Straße nach Böhmen auf einer Steinbrücke die schmale
Mauban, dann auf einem langen Viadukt die Flußniederung überschreitet, die
Schießwiese zur Linken. die zerstreuten Häuser und die ausgedehnten Gemüse¬
gärten der Böhmischen Vorstadt zur Rechten, lag in dem "SpMel - dem ^ ^schaftshose des Jakobshospitals, der als ein massives Viereck wie ,eme B few
sum Flusse vorspringt ein ganzes Bataillon, auf der Scheßwi^e läge, "
^rke Abteilungen verschiedner Waffen, auch Batterie", auf den Rohren las
'") Ma erstenmal die bezeichnende Inschrift: IMW. ratio roM- Aus Zeitungen


vor vierzig Jahren

Uhr entstand ein Rennen und Laufen, wie aus dem Boden gewachsen standen
preußische Kompagnien auf dem Markte und auf der Neustadt, die Gewehre
zusammengesetzt; manche Soldaten lagen schon ermüdet auf dem Pflaster und
schliefen, den Tornister als Kopfkissen benutzend; sie wurden dann, wie die
kurz nach ihnen eintreffende Husarenschwadron, in Massenquartieren nach dem
Süden der Stadt hin untergebracht; zwei Kompagnien waren schon auf der
Straße nach Grottau vorgegangen. Es war kein Requisitionskommando, sondern
der Vortrab der 7. Division. Beim Einmarsch hatte ihnen die Kommunalgarde
formell die bisher von ihr besetzte Hauptwache übergeben. Am nächsten Morgen
machten sie sich zum Ausmarsche fertig. Man begann jetzt zweifelnd an einen
Vormarsch nach Böhmen zu glauben. Am Nachmittag schwand jeder Zweifel.
Denn von zwei Uhr ab kam Bataillon auf Bataillon die Bautzner Straße
herein, mit dem Schmettern ihrer Musik wechselten der Trommelwirbel und die
gellenden Töne der Pickelflöten, Husaren- und Manenschwadronen folgten,
dann lange Geschützzüge mit kurzen Unterbrechungen den ganzen Nachmittag
hindurch bis in den Abend hinein; ich gab es endlich auf, die Bataillone zu
zählen. Am Abend war die ganze achte Division, die mehr Soldaten zählte,
als damals die Stadt Einwohner (kaum 15 000) hatte, in der Stadt ver¬
sammelt, in Biwaks oder in Massenquartieren. An zahlreichen Plätzen loderten
offne Feuer unter großen Kesseln, in denen Rindfleisch und Erbsen für die
Leute gekocht wurden, und eifrig bemühten sich um diese Frauen aus der
Stadt unter Leitung vertrauenswürdiger Bürger. Es war viel guter Wille
dabei und auch einiger Humor. Und doch scheinen nicht alle Ansprüche be¬
friedigt worden zu sein. Gegen acht Uhr Abends wenigstens erschien der
Generalmajor von Bose. Kommandeur der fünfzehnten Jnfantericbrigade. mit
eungen Offizieren und Mannschaften auf dem Rathause und legte der Stadt
wegen angeblich ungenügender Quartiere und mangelhafter Verpflegung — wie
sollten sie genügen können! — in drohender Sprache eine Kontribution von
sechstausend Talern auf. Diese Härte haben die Zittaucr dem tapfern General.
°er sich nachmals bei Blumenau vor Preßburg und 1870 bei Wörth als
Kommandeur des elften Armeekorps rühmlich auszeichnete, lange in gekränkter
Seele nachgetragen, denn sie waren sich bewußt, das Menschenn'ögliche geleistet
°" haben. Und doch schien noch Schlimmeres kommen zu können. Denn be¬
sonders stark waren die südlichen Zugänge der Stadt nach der Grenze hin
besetzt. Dort, wo die Straße nach Böhmen auf einer Steinbrücke die schmale
Mauban, dann auf einem langen Viadukt die Flußniederung überschreitet, die
Schießwiese zur Linken. die zerstreuten Häuser und die ausgedehnten Gemüse¬
gärten der Böhmischen Vorstadt zur Rechten, lag in dem „SpMel - dem ^ ^schaftshose des Jakobshospitals, der als ein massives Viereck wie ,eme B few
sum Flusse vorspringt ein ganzes Bataillon, auf der Scheßwi^e läge, „
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'«) Ma erstenmal die bezeichnende Inschrift: IMW. ratio roM- Aus Zeitungen


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[0475] vor vierzig Jahren Uhr entstand ein Rennen und Laufen, wie aus dem Boden gewachsen standen preußische Kompagnien auf dem Markte und auf der Neustadt, die Gewehre zusammengesetzt; manche Soldaten lagen schon ermüdet auf dem Pflaster und schliefen, den Tornister als Kopfkissen benutzend; sie wurden dann, wie die kurz nach ihnen eintreffende Husarenschwadron, in Massenquartieren nach dem Süden der Stadt hin untergebracht; zwei Kompagnien waren schon auf der Straße nach Grottau vorgegangen. Es war kein Requisitionskommando, sondern der Vortrab der 7. Division. Beim Einmarsch hatte ihnen die Kommunalgarde formell die bisher von ihr besetzte Hauptwache übergeben. Am nächsten Morgen machten sie sich zum Ausmarsche fertig. Man begann jetzt zweifelnd an einen Vormarsch nach Böhmen zu glauben. Am Nachmittag schwand jeder Zweifel. Denn von zwei Uhr ab kam Bataillon auf Bataillon die Bautzner Straße herein, mit dem Schmettern ihrer Musik wechselten der Trommelwirbel und die gellenden Töne der Pickelflöten, Husaren- und Manenschwadronen folgten, dann lange Geschützzüge mit kurzen Unterbrechungen den ganzen Nachmittag hindurch bis in den Abend hinein; ich gab es endlich auf, die Bataillone zu zählen. Am Abend war die ganze achte Division, die mehr Soldaten zählte, als damals die Stadt Einwohner (kaum 15 000) hatte, in der Stadt ver¬ sammelt, in Biwaks oder in Massenquartieren. An zahlreichen Plätzen loderten offne Feuer unter großen Kesseln, in denen Rindfleisch und Erbsen für die Leute gekocht wurden, und eifrig bemühten sich um diese Frauen aus der Stadt unter Leitung vertrauenswürdiger Bürger. Es war viel guter Wille dabei und auch einiger Humor. Und doch scheinen nicht alle Ansprüche be¬ friedigt worden zu sein. Gegen acht Uhr Abends wenigstens erschien der Generalmajor von Bose. Kommandeur der fünfzehnten Jnfantericbrigade. mit eungen Offizieren und Mannschaften auf dem Rathause und legte der Stadt wegen angeblich ungenügender Quartiere und mangelhafter Verpflegung — wie sollten sie genügen können! — in drohender Sprache eine Kontribution von sechstausend Talern auf. Diese Härte haben die Zittaucr dem tapfern General. °er sich nachmals bei Blumenau vor Preßburg und 1870 bei Wörth als Kommandeur des elften Armeekorps rühmlich auszeichnete, lange in gekränkter Seele nachgetragen, denn sie waren sich bewußt, das Menschenn'ögliche geleistet °" haben. Und doch schien noch Schlimmeres kommen zu können. Denn be¬ sonders stark waren die südlichen Zugänge der Stadt nach der Grenze hin besetzt. Dort, wo die Straße nach Böhmen auf einer Steinbrücke die schmale Mauban, dann auf einem langen Viadukt die Flußniederung überschreitet, die Schießwiese zur Linken. die zerstreuten Häuser und die ausgedehnten Gemüse¬ gärten der Böhmischen Vorstadt zur Rechten, lag in dem „SpMel - dem ^ ^schaftshose des Jakobshospitals, der als ein massives Viereck wie ,eme B few sum Flusse vorspringt ein ganzes Bataillon, auf der Scheßwi^e läge, „ ^rke Abteilungen verschiedner Waffen, auch Batterie«, auf den Rohren las '«) Ma erstenmal die bezeichnende Inschrift: IMW. ratio roM- Aus Zeitungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/475>, abgerufen am 23.07.2024.