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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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sie einer gewisse" Einförmigkeit nicht entbehrt und Kohlsuppe lind Grütze eine
Hauptrolle darin spielen. Die Anordnung des Dienstes ermöglicht eine längere
freie Zeit. Die klimatischen Bedingungen Turkestans machen dies zu einem
dringenden Erfordernis.

Frau W. hatte uns zu Ehren das Mittagmahl etwas westeuropäischer
zurechtgestutzt, als uns eigentlich lieb war; aber sie bestätigte die Wahrheit
des die russische Gastfreundschaft bezeichnenden Sprichworts: "Weh das Haus
voll ist, das wird mit Freuden gegeben." Und die Toaste ans Waffenbruder,
schaft, glückliche Reise und Wiedersehen klangen, bis es höchste Zeit war, zu
dem um zwei Uhr abgehenden Zuge zu eilen. Wir schienen wirklich geehrte
Gäste zu sein: der Zug wartete, bis wir kamen, und dnrch das Geleit des
Kommandanten in unserm Ansehen beim Stations- und Zugpersonal mächtig
gehoben, uns in den bestellten drei Ableiten in bequemer Breite einrichteten.
Um unsre Habe hatte sich diesesmal die Gendarmerie eigenhändig bemüht. Ein
"en gestrichner und umgearbeiteter Wagen war eingestellt und erfreute uns
durch seine bedingungslose Sauberkeit -- sogar das Schmerzenskind des Zug¬
personals, die auf den langen Fahrten in Nußland so wichtige, so viel benutzte
"ud unglaublich behandelte Toilettenzelle, die Ubornaja, strahlte in tadelloser
Frische. Nach kurzem Abschied und herzlichem Händedruck hören wir die Bcchn-
hvfsglocke zum drittenmal anschlagen, und der Zug setzt sich langsam in Be¬
wegung.

Nachdem wir es uns in aller Eile bequem gemacht und deu Koffern
das Nötige an Büchern, Reisemützen und anderm entnommen, auch im Zuge
schnell orientiert und den Speisewagen besehen haben, bemühen wir uns
"utar flüchtigem Austausch der ersten Eindrücke von Nußland in Asien nichts
^wu dem zu verlieren, was auf der langsame" Fahrt rechts und links
dem Auge geboten wird. Es scheint nicht viel und ist doch, weil fremd,
"icht wenig. Zudem zaubert eine warme Nachmittagssonne verschiedne Be¬
leuchtungseffekte auf die hellgrüne" Wasserflächen der Krasnowvdsk- und
Balchanbucht. in die mehrere Halbinseln mit isolierte" Erhebungen hinein-
schreiben und Kulissen bilden, die wechselnde Küstenbildcr verstecken. Hinter
Krasnowvdsk hat man ziemlich la"ge die Aussicht auf deu Staats- und
Fischereihafen, die nach Osten zu dnrch eine felsige Erhebung geschützt sind.
Auf der andern Seite der Eisenbahn steigen von dem sie tragenden Ufer-
Weifen der Kuba-Dagh und die Kurjanin-Kary in schroffen Formen jäh ans,
s'ud mit tiefeiugeschuittueu Schluchten durchsetzt und bilden flache Rücken.
Meilenweit zeigen sie eine völlig regelmüßige horizontale Schichtung, die dein
allmählichen Zurücktrete,, des Meeres entspricht -- noch befinden wir uns
j" unter dem Spiegel des Schwarzen Meeres. Das Gestein ist Kalk, aber
auch ausgedehnte Lager von Gips verschiedner Färbung sind vertreten. Weil
das Wasser fehlt, und die Niederschläge überaus gering sind, wächst um
den Hänge" und oben auf der Hochfläche kaum ein Halm, und n"r wenig


sie einer gewisse» Einförmigkeit nicht entbehrt und Kohlsuppe lind Grütze eine
Hauptrolle darin spielen. Die Anordnung des Dienstes ermöglicht eine längere
freie Zeit. Die klimatischen Bedingungen Turkestans machen dies zu einem
dringenden Erfordernis.

Frau W. hatte uns zu Ehren das Mittagmahl etwas westeuropäischer
zurechtgestutzt, als uns eigentlich lieb war; aber sie bestätigte die Wahrheit
des die russische Gastfreundschaft bezeichnenden Sprichworts: „Weh das Haus
voll ist, das wird mit Freuden gegeben." Und die Toaste ans Waffenbruder,
schaft, glückliche Reise und Wiedersehen klangen, bis es höchste Zeit war, zu
dem um zwei Uhr abgehenden Zuge zu eilen. Wir schienen wirklich geehrte
Gäste zu sein: der Zug wartete, bis wir kamen, und dnrch das Geleit des
Kommandanten in unserm Ansehen beim Stations- und Zugpersonal mächtig
gehoben, uns in den bestellten drei Ableiten in bequemer Breite einrichteten.
Um unsre Habe hatte sich diesesmal die Gendarmerie eigenhändig bemüht. Ein
"en gestrichner und umgearbeiteter Wagen war eingestellt und erfreute uns
durch seine bedingungslose Sauberkeit — sogar das Schmerzenskind des Zug¬
personals, die auf den langen Fahrten in Nußland so wichtige, so viel benutzte
"ud unglaublich behandelte Toilettenzelle, die Ubornaja, strahlte in tadelloser
Frische. Nach kurzem Abschied und herzlichem Händedruck hören wir die Bcchn-
hvfsglocke zum drittenmal anschlagen, und der Zug setzt sich langsam in Be¬
wegung.

Nachdem wir es uns in aller Eile bequem gemacht und deu Koffern
das Nötige an Büchern, Reisemützen und anderm entnommen, auch im Zuge
schnell orientiert und den Speisewagen besehen haben, bemühen wir uns
"utar flüchtigem Austausch der ersten Eindrücke von Nußland in Asien nichts
^wu dem zu verlieren, was auf der langsame» Fahrt rechts und links
dem Auge geboten wird. Es scheint nicht viel und ist doch, weil fremd,
"icht wenig. Zudem zaubert eine warme Nachmittagssonne verschiedne Be¬
leuchtungseffekte auf die hellgrüne» Wasserflächen der Krasnowvdsk- und
Balchanbucht. in die mehrere Halbinseln mit isolierte» Erhebungen hinein-
schreiben und Kulissen bilden, die wechselnde Küstenbildcr verstecken. Hinter
Krasnowvdsk hat man ziemlich la»ge die Aussicht auf deu Staats- und
Fischereihafen, die nach Osten zu dnrch eine felsige Erhebung geschützt sind.
Auf der andern Seite der Eisenbahn steigen von dem sie tragenden Ufer-
Weifen der Kuba-Dagh und die Kurjanin-Kary in schroffen Formen jäh ans,
s'ud mit tiefeiugeschuittueu Schluchten durchsetzt und bilden flache Rücken.
Meilenweit zeigen sie eine völlig regelmüßige horizontale Schichtung, die dein
allmählichen Zurücktrete,, des Meeres entspricht — noch befinden wir uns
j« unter dem Spiegel des Schwarzen Meeres. Das Gestein ist Kalk, aber
auch ausgedehnte Lager von Gips verschiedner Färbung sind vertreten. Weil
das Wasser fehlt, und die Niederschläge überaus gering sind, wächst um
den Hänge» und oben auf der Hochfläche kaum ein Halm, und n»r wenig


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[0427] sie einer gewisse» Einförmigkeit nicht entbehrt und Kohlsuppe lind Grütze eine Hauptrolle darin spielen. Die Anordnung des Dienstes ermöglicht eine längere freie Zeit. Die klimatischen Bedingungen Turkestans machen dies zu einem dringenden Erfordernis. Frau W. hatte uns zu Ehren das Mittagmahl etwas westeuropäischer zurechtgestutzt, als uns eigentlich lieb war; aber sie bestätigte die Wahrheit des die russische Gastfreundschaft bezeichnenden Sprichworts: „Weh das Haus voll ist, das wird mit Freuden gegeben." Und die Toaste ans Waffenbruder, schaft, glückliche Reise und Wiedersehen klangen, bis es höchste Zeit war, zu dem um zwei Uhr abgehenden Zuge zu eilen. Wir schienen wirklich geehrte Gäste zu sein: der Zug wartete, bis wir kamen, und dnrch das Geleit des Kommandanten in unserm Ansehen beim Stations- und Zugpersonal mächtig gehoben, uns in den bestellten drei Ableiten in bequemer Breite einrichteten. Um unsre Habe hatte sich diesesmal die Gendarmerie eigenhändig bemüht. Ein "en gestrichner und umgearbeiteter Wagen war eingestellt und erfreute uns durch seine bedingungslose Sauberkeit — sogar das Schmerzenskind des Zug¬ personals, die auf den langen Fahrten in Nußland so wichtige, so viel benutzte "ud unglaublich behandelte Toilettenzelle, die Ubornaja, strahlte in tadelloser Frische. Nach kurzem Abschied und herzlichem Händedruck hören wir die Bcchn- hvfsglocke zum drittenmal anschlagen, und der Zug setzt sich langsam in Be¬ wegung. Nachdem wir es uns in aller Eile bequem gemacht und deu Koffern das Nötige an Büchern, Reisemützen und anderm entnommen, auch im Zuge schnell orientiert und den Speisewagen besehen haben, bemühen wir uns "utar flüchtigem Austausch der ersten Eindrücke von Nußland in Asien nichts ^wu dem zu verlieren, was auf der langsame» Fahrt rechts und links dem Auge geboten wird. Es scheint nicht viel und ist doch, weil fremd, "icht wenig. Zudem zaubert eine warme Nachmittagssonne verschiedne Be¬ leuchtungseffekte auf die hellgrüne» Wasserflächen der Krasnowvdsk- und Balchanbucht. in die mehrere Halbinseln mit isolierte» Erhebungen hinein- schreiben und Kulissen bilden, die wechselnde Küstenbildcr verstecken. Hinter Krasnowvdsk hat man ziemlich la»ge die Aussicht auf deu Staats- und Fischereihafen, die nach Osten zu dnrch eine felsige Erhebung geschützt sind. Auf der andern Seite der Eisenbahn steigen von dem sie tragenden Ufer- Weifen der Kuba-Dagh und die Kurjanin-Kary in schroffen Formen jäh ans, s'ud mit tiefeiugeschuittueu Schluchten durchsetzt und bilden flache Rücken. Meilenweit zeigen sie eine völlig regelmüßige horizontale Schichtung, die dein allmählichen Zurücktrete,, des Meeres entspricht — noch befinden wir uns j« unter dem Spiegel des Schwarzen Meeres. Das Gestein ist Kalk, aber auch ausgedehnte Lager von Gips verschiedner Färbung sind vertreten. Weil das Wasser fehlt, und die Niederschläge überaus gering sind, wächst um den Hänge» und oben auf der Hochfläche kaum ein Halm, und n»r wenig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/427>, abgerufen am 23.07.2024.