Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
vor vierzig Jahren

nichts Ungewöhnliches zu bemerken. Erst auf dein Niederschlesisch-Märkischen
Bahnhöfe, der damals allein die Verbindung mit Schlesien über Frankfurt an
der Oder, Guben und Sorau vermittelte, zeigten sich Gruppen von Soldaten in
feldmäßiger Ausrüstung, die offenbar zu ihren Regimentern gingen. Der Zug
war dicht besetzt, das Gespräch lebhaft, natürlich über den Krieg. Anscheinend
war die Stimmung durchgängig sehr ernst, aber zuversichtlich; nur schien der
noch immer nicht gelöste "Konflikt" lebhaftere Sympathien für den Krieg
niederzuhalten. Zu sehen vom Kriege war auch hier zunächst noch nichts; erst
bei Guben stand eine Schwadron Kürassiere in blitzenden Helmen abgesessen
am Bahnhofe, dann gingen wir an einem langen Zuge vorüber, der ein
Bataillon vom Kaiser-Franz-Grenadierregiment südwärts führte, schöne, große
Leute, fast alle blond, grüne Zweige und Rosen auf den Mützen, die Musik
spielte lustige Weisen. Dann jagten ein paar leere Züge nordwärts an uns
vorbei. Der Aufmarsch war also noch nicht ganz vollendet. Zwischen drei und
vier Uhr kamen wir in Kohlfurt an, wo. die Bahn nach Görlitz abzweigt.
Dort erfuhr ich, was ich längst ahnte: die Bahn nach Zittau war unter¬
brochen, preußische Truppen standen in Löbau und in Bautzen, wahrscheinlich
auch in Zittau. Von den Österreichern wußte man gar nichts. So kam ich
nach vier Uhr in Görlitz an, noch acht Stunden von meiner Vaterstadt entfernt.

Hier war nnn wirklich der Krieg, das Getümmel des Hauptquartiers
einer großen Armee. Auf dem Bahnhofe schon standen lange Züge mit
Proviant aller Art, Heu und Stroh, in den Straßen drängten sich Soldaten
aller Waffengattungen, Traiuwagen, requirierte Gespanne, auf dem Exerzier¬
platze standen drei Batterien mit ihren Munitionswagen in laugen Reihen
aufgefahren, von Posten mit gezognen Pallasch bewacht. Auf der Straße
nach Sachsen bewegten sich große Wagenzüge, von Soldaten eskortiert, einzelne
Ordonnanzen, eine Abteilung ostpreußischer Armeegendarmen, stattliche Männer
auf prächtigen Pferden. Alle Dörfer in der Umgegend waren mit Kavallerie
belegt, aber schon waren auch mehrere große Fabrikgebäude an der Straße zu
Lazaretten eingerichtet, denn die Zahl der Fußkrcmken war bei den voran¬
gegangnen starken, zum Teil recht heißen Märschen schon ziemlich groß. Prinz
Friedrich Karl, der Oberbefehlshaber der ersten Armee, hatte sein Haupt¬
quartier in dein stattlichen Ständehause der preußischen Oberlausitz. Erst
jetzt gewann ich aus den Erzählungen meiner Verwandten, zu denen ich mich
mühsam durchschlug, eine Ahnung von der Ausdehnung der preußischen Auf¬
stellung, denn ununterbrochen waren in den letzten Wochen die Regimenter
nach Schlesien durchmarschiert, wo der Kronprinz die zweite Armee an der
böhmisch-mährischen Grenze konzentrierte. Das kleine Haus auf der Prager
Straße am rechten Ufer der Reiße hatte einen Sanitätsoffizier und zwei
Artilleristen zur Einquartierung, umgängliche Leute, die sehr zuversichtlich den
kommenden Dingen entgegensahen und übrigens erzählten, sie hätten den strengsten
Befehl, sich gegen die Landesbewohner freundlich zu verhalte". Die Grenze


vor vierzig Jahren

nichts Ungewöhnliches zu bemerken. Erst auf dein Niederschlesisch-Märkischen
Bahnhöfe, der damals allein die Verbindung mit Schlesien über Frankfurt an
der Oder, Guben und Sorau vermittelte, zeigten sich Gruppen von Soldaten in
feldmäßiger Ausrüstung, die offenbar zu ihren Regimentern gingen. Der Zug
war dicht besetzt, das Gespräch lebhaft, natürlich über den Krieg. Anscheinend
war die Stimmung durchgängig sehr ernst, aber zuversichtlich; nur schien der
noch immer nicht gelöste „Konflikt" lebhaftere Sympathien für den Krieg
niederzuhalten. Zu sehen vom Kriege war auch hier zunächst noch nichts; erst
bei Guben stand eine Schwadron Kürassiere in blitzenden Helmen abgesessen
am Bahnhofe, dann gingen wir an einem langen Zuge vorüber, der ein
Bataillon vom Kaiser-Franz-Grenadierregiment südwärts führte, schöne, große
Leute, fast alle blond, grüne Zweige und Rosen auf den Mützen, die Musik
spielte lustige Weisen. Dann jagten ein paar leere Züge nordwärts an uns
vorbei. Der Aufmarsch war also noch nicht ganz vollendet. Zwischen drei und
vier Uhr kamen wir in Kohlfurt an, wo. die Bahn nach Görlitz abzweigt.
Dort erfuhr ich, was ich längst ahnte: die Bahn nach Zittau war unter¬
brochen, preußische Truppen standen in Löbau und in Bautzen, wahrscheinlich
auch in Zittau. Von den Österreichern wußte man gar nichts. So kam ich
nach vier Uhr in Görlitz an, noch acht Stunden von meiner Vaterstadt entfernt.

Hier war nnn wirklich der Krieg, das Getümmel des Hauptquartiers
einer großen Armee. Auf dem Bahnhofe schon standen lange Züge mit
Proviant aller Art, Heu und Stroh, in den Straßen drängten sich Soldaten
aller Waffengattungen, Traiuwagen, requirierte Gespanne, auf dem Exerzier¬
platze standen drei Batterien mit ihren Munitionswagen in laugen Reihen
aufgefahren, von Posten mit gezognen Pallasch bewacht. Auf der Straße
nach Sachsen bewegten sich große Wagenzüge, von Soldaten eskortiert, einzelne
Ordonnanzen, eine Abteilung ostpreußischer Armeegendarmen, stattliche Männer
auf prächtigen Pferden. Alle Dörfer in der Umgegend waren mit Kavallerie
belegt, aber schon waren auch mehrere große Fabrikgebäude an der Straße zu
Lazaretten eingerichtet, denn die Zahl der Fußkrcmken war bei den voran¬
gegangnen starken, zum Teil recht heißen Märschen schon ziemlich groß. Prinz
Friedrich Karl, der Oberbefehlshaber der ersten Armee, hatte sein Haupt¬
quartier in dein stattlichen Ständehause der preußischen Oberlausitz. Erst
jetzt gewann ich aus den Erzählungen meiner Verwandten, zu denen ich mich
mühsam durchschlug, eine Ahnung von der Ausdehnung der preußischen Auf¬
stellung, denn ununterbrochen waren in den letzten Wochen die Regimenter
nach Schlesien durchmarschiert, wo der Kronprinz die zweite Armee an der
böhmisch-mährischen Grenze konzentrierte. Das kleine Haus auf der Prager
Straße am rechten Ufer der Reiße hatte einen Sanitätsoffizier und zwei
Artilleristen zur Einquartierung, umgängliche Leute, die sehr zuversichtlich den
kommenden Dingen entgegensahen und übrigens erzählten, sie hätten den strengsten
Befehl, sich gegen die Landesbewohner freundlich zu verhalte». Die Grenze


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0362" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300861"/>
          <fw type="header" place="top"> vor vierzig Jahren</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1493" prev="#ID_1492"> nichts Ungewöhnliches zu bemerken. Erst auf dein Niederschlesisch-Märkischen<lb/>
Bahnhöfe, der damals allein die Verbindung mit Schlesien über Frankfurt an<lb/>
der Oder, Guben und Sorau vermittelte, zeigten sich Gruppen von Soldaten in<lb/>
feldmäßiger Ausrüstung, die offenbar zu ihren Regimentern gingen. Der Zug<lb/>
war dicht besetzt, das Gespräch lebhaft, natürlich über den Krieg. Anscheinend<lb/>
war die Stimmung durchgängig sehr ernst, aber zuversichtlich; nur schien der<lb/>
noch immer nicht gelöste &#x201E;Konflikt" lebhaftere Sympathien für den Krieg<lb/>
niederzuhalten. Zu sehen vom Kriege war auch hier zunächst noch nichts; erst<lb/>
bei Guben stand eine Schwadron Kürassiere in blitzenden Helmen abgesessen<lb/>
am Bahnhofe, dann gingen wir an einem langen Zuge vorüber, der ein<lb/>
Bataillon vom Kaiser-Franz-Grenadierregiment südwärts führte, schöne, große<lb/>
Leute, fast alle blond, grüne Zweige und Rosen auf den Mützen, die Musik<lb/>
spielte lustige Weisen. Dann jagten ein paar leere Züge nordwärts an uns<lb/>
vorbei. Der Aufmarsch war also noch nicht ganz vollendet. Zwischen drei und<lb/>
vier Uhr kamen wir in Kohlfurt an, wo. die Bahn nach Görlitz abzweigt.<lb/>
Dort erfuhr ich, was ich längst ahnte: die Bahn nach Zittau war unter¬<lb/>
brochen, preußische Truppen standen in Löbau und in Bautzen, wahrscheinlich<lb/>
auch in Zittau. Von den Österreichern wußte man gar nichts. So kam ich<lb/>
nach vier Uhr in Görlitz an, noch acht Stunden von meiner Vaterstadt entfernt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1494" next="#ID_1495"> Hier war nnn wirklich der Krieg, das Getümmel des Hauptquartiers<lb/>
einer großen Armee. Auf dem Bahnhofe schon standen lange Züge mit<lb/>
Proviant aller Art, Heu und Stroh, in den Straßen drängten sich Soldaten<lb/>
aller Waffengattungen, Traiuwagen, requirierte Gespanne, auf dem Exerzier¬<lb/>
platze standen drei Batterien mit ihren Munitionswagen in laugen Reihen<lb/>
aufgefahren, von Posten mit gezognen Pallasch bewacht. Auf der Straße<lb/>
nach Sachsen bewegten sich große Wagenzüge, von Soldaten eskortiert, einzelne<lb/>
Ordonnanzen, eine Abteilung ostpreußischer Armeegendarmen, stattliche Männer<lb/>
auf prächtigen Pferden. Alle Dörfer in der Umgegend waren mit Kavallerie<lb/>
belegt, aber schon waren auch mehrere große Fabrikgebäude an der Straße zu<lb/>
Lazaretten eingerichtet, denn die Zahl der Fußkrcmken war bei den voran¬<lb/>
gegangnen starken, zum Teil recht heißen Märschen schon ziemlich groß. Prinz<lb/>
Friedrich Karl, der Oberbefehlshaber der ersten Armee, hatte sein Haupt¬<lb/>
quartier in dein stattlichen Ständehause der preußischen Oberlausitz. Erst<lb/>
jetzt gewann ich aus den Erzählungen meiner Verwandten, zu denen ich mich<lb/>
mühsam durchschlug, eine Ahnung von der Ausdehnung der preußischen Auf¬<lb/>
stellung, denn ununterbrochen waren in den letzten Wochen die Regimenter<lb/>
nach Schlesien durchmarschiert, wo der Kronprinz die zweite Armee an der<lb/>
böhmisch-mährischen Grenze konzentrierte. Das kleine Haus auf der Prager<lb/>
Straße am rechten Ufer der Reiße hatte einen Sanitätsoffizier und zwei<lb/>
Artilleristen zur Einquartierung, umgängliche Leute, die sehr zuversichtlich den<lb/>
kommenden Dingen entgegensahen und übrigens erzählten, sie hätten den strengsten<lb/>
Befehl, sich gegen die Landesbewohner freundlich zu verhalte».  Die Grenze</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0362] vor vierzig Jahren nichts Ungewöhnliches zu bemerken. Erst auf dein Niederschlesisch-Märkischen Bahnhöfe, der damals allein die Verbindung mit Schlesien über Frankfurt an der Oder, Guben und Sorau vermittelte, zeigten sich Gruppen von Soldaten in feldmäßiger Ausrüstung, die offenbar zu ihren Regimentern gingen. Der Zug war dicht besetzt, das Gespräch lebhaft, natürlich über den Krieg. Anscheinend war die Stimmung durchgängig sehr ernst, aber zuversichtlich; nur schien der noch immer nicht gelöste „Konflikt" lebhaftere Sympathien für den Krieg niederzuhalten. Zu sehen vom Kriege war auch hier zunächst noch nichts; erst bei Guben stand eine Schwadron Kürassiere in blitzenden Helmen abgesessen am Bahnhofe, dann gingen wir an einem langen Zuge vorüber, der ein Bataillon vom Kaiser-Franz-Grenadierregiment südwärts führte, schöne, große Leute, fast alle blond, grüne Zweige und Rosen auf den Mützen, die Musik spielte lustige Weisen. Dann jagten ein paar leere Züge nordwärts an uns vorbei. Der Aufmarsch war also noch nicht ganz vollendet. Zwischen drei und vier Uhr kamen wir in Kohlfurt an, wo. die Bahn nach Görlitz abzweigt. Dort erfuhr ich, was ich längst ahnte: die Bahn nach Zittau war unter¬ brochen, preußische Truppen standen in Löbau und in Bautzen, wahrscheinlich auch in Zittau. Von den Österreichern wußte man gar nichts. So kam ich nach vier Uhr in Görlitz an, noch acht Stunden von meiner Vaterstadt entfernt. Hier war nnn wirklich der Krieg, das Getümmel des Hauptquartiers einer großen Armee. Auf dem Bahnhofe schon standen lange Züge mit Proviant aller Art, Heu und Stroh, in den Straßen drängten sich Soldaten aller Waffengattungen, Traiuwagen, requirierte Gespanne, auf dem Exerzier¬ platze standen drei Batterien mit ihren Munitionswagen in laugen Reihen aufgefahren, von Posten mit gezognen Pallasch bewacht. Auf der Straße nach Sachsen bewegten sich große Wagenzüge, von Soldaten eskortiert, einzelne Ordonnanzen, eine Abteilung ostpreußischer Armeegendarmen, stattliche Männer auf prächtigen Pferden. Alle Dörfer in der Umgegend waren mit Kavallerie belegt, aber schon waren auch mehrere große Fabrikgebäude an der Straße zu Lazaretten eingerichtet, denn die Zahl der Fußkrcmken war bei den voran¬ gegangnen starken, zum Teil recht heißen Märschen schon ziemlich groß. Prinz Friedrich Karl, der Oberbefehlshaber der ersten Armee, hatte sein Haupt¬ quartier in dein stattlichen Ständehause der preußischen Oberlausitz. Erst jetzt gewann ich aus den Erzählungen meiner Verwandten, zu denen ich mich mühsam durchschlug, eine Ahnung von der Ausdehnung der preußischen Auf¬ stellung, denn ununterbrochen waren in den letzten Wochen die Regimenter nach Schlesien durchmarschiert, wo der Kronprinz die zweite Armee an der böhmisch-mährischen Grenze konzentrierte. Das kleine Haus auf der Prager Straße am rechten Ufer der Reiße hatte einen Sanitätsoffizier und zwei Artilleristen zur Einquartierung, umgängliche Leute, die sehr zuversichtlich den kommenden Dingen entgegensahen und übrigens erzählten, sie hätten den strengsten Befehl, sich gegen die Landesbewohner freundlich zu verhalte». Die Grenze

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/362
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/362>, abgerufen am 23.07.2024.