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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Russische Briefe

dieses Mittel, die Kadetten von den Revolutionären zu trennen, mißlang, sah
das Kabinett ein, daß mit der Duma in ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung
keinerlei Arbeit zu leisten wäre, die zur Anbahnung der geforderten großen
Reformen führen konnte. Also Auflösung!

Die Frage war nun, wie diese Auflosung herbeizuführen sei, ohne die
Bevölkerung noch mehr zu erregen, und ohne den an sich schon arg gefährdeten
Staatskredit im Auslande zu schädigen. Das Inland, vor allen Dingen die
Bauern, das städtische Proletariat und die Studenten waren von der radikalen
Linken energisch bearbeitet worden, während das Ausland von den "Gelehrten"
der Kadettenpartei teils direkt, teils durch Vermittlung der ausländischen
Korrespondenten hier mit "Aufklärung" überschüttet wurde.




Trotz allen Schwierigkeiten übernahm es P. A. Stolypin -- schon als
Minister des Innern die Seele des Kabinetts --. die Auflösung der Duma
vorzubereiten. Ihm standen dafür zwei Wege offen: die Heraufbeschwörung
eines parlamentarischen Konflikts oder die Verhaftung der Dumaabgeordneten,
die nachgewiesenermaßen im Lande die Revolution schürten. Im zweiten
Falle wäre vielleicht sogar die Dumaauflösung unnötig gewesen, wenn der
Minister nur hätte rechtzeitig den Nachweis erbringen können, in welchem
Umfange sich die Vertreter der Arbeitsgruppe an der Revolutionierung der
Massen beteiligten. Auf Grund von Mitteilungen seitens rechts stehender
Parlamentarier ist vielfach die Ansicht verbreitet worden, als hätte das Kabinett
die ihm zugegangnen Dokumente über die revolutionäre Organisation ver¬
öffentlichen können. Tatsächlich hätte sie alsdann aber die Entscheidung noch
weiter hinausschieben müssen, sollten ihr nicht die Hauptschürer durch die
Maschen gehn. Durch eine solche Hinansschiebung wäre aber unbedingt eine
Stärkung der Organisation und eine vermehrte Aufwiegelung der Massen
herbeigeführt worden. Die Regierung war somit in der Durchführung ihrer
Aufgabe der Duma gegenüber zeitlich beschränkt. Der Ausbruch der Meuterei
in Sweabvrg und Kronstäbe beweist, wie recht sie mit ihrer Auffassung hatte.
Es blieb nur der andre Weg übrig -- der parlamentarische Konflikt. Die
Duma führte ihn selbst herbei.

Zweiundvicrzig Mitglieder der konstitutionell-demokratischen Partei hatten
einen Agrarentwnrf eingebracht, der darauf hinauslief, den Übergang zu späterer
allgemeiner Verstaatlichung des Grund und Bodens herzustellen. Die tat¬
sächliche Verfügung über das gesamte Land sollte dem Staat übertragen
werden. Vorläufig begnügte man sich zwar, dem Staate nur das Recht ein¬
räumen zu wollen, Großgrundbesitzern das Land gegen eine angemessene Ent¬
schädigung abnehmen zu dürfen. um es landlosen Bauern zur Bearbeitung zu
überlassen. Der Begriff "gemeinnützig" sollte viel weiter gefaßt werden, als
'vie das z. B. in der deutschen Gesetzgebung geschieht. Es sollte möglich sein,


Russische Briefe

dieses Mittel, die Kadetten von den Revolutionären zu trennen, mißlang, sah
das Kabinett ein, daß mit der Duma in ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung
keinerlei Arbeit zu leisten wäre, die zur Anbahnung der geforderten großen
Reformen führen konnte. Also Auflösung!

Die Frage war nun, wie diese Auflosung herbeizuführen sei, ohne die
Bevölkerung noch mehr zu erregen, und ohne den an sich schon arg gefährdeten
Staatskredit im Auslande zu schädigen. Das Inland, vor allen Dingen die
Bauern, das städtische Proletariat und die Studenten waren von der radikalen
Linken energisch bearbeitet worden, während das Ausland von den „Gelehrten"
der Kadettenpartei teils direkt, teils durch Vermittlung der ausländischen
Korrespondenten hier mit „Aufklärung" überschüttet wurde.




Trotz allen Schwierigkeiten übernahm es P. A. Stolypin — schon als
Minister des Innern die Seele des Kabinetts —. die Auflösung der Duma
vorzubereiten. Ihm standen dafür zwei Wege offen: die Heraufbeschwörung
eines parlamentarischen Konflikts oder die Verhaftung der Dumaabgeordneten,
die nachgewiesenermaßen im Lande die Revolution schürten. Im zweiten
Falle wäre vielleicht sogar die Dumaauflösung unnötig gewesen, wenn der
Minister nur hätte rechtzeitig den Nachweis erbringen können, in welchem
Umfange sich die Vertreter der Arbeitsgruppe an der Revolutionierung der
Massen beteiligten. Auf Grund von Mitteilungen seitens rechts stehender
Parlamentarier ist vielfach die Ansicht verbreitet worden, als hätte das Kabinett
die ihm zugegangnen Dokumente über die revolutionäre Organisation ver¬
öffentlichen können. Tatsächlich hätte sie alsdann aber die Entscheidung noch
weiter hinausschieben müssen, sollten ihr nicht die Hauptschürer durch die
Maschen gehn. Durch eine solche Hinansschiebung wäre aber unbedingt eine
Stärkung der Organisation und eine vermehrte Aufwiegelung der Massen
herbeigeführt worden. Die Regierung war somit in der Durchführung ihrer
Aufgabe der Duma gegenüber zeitlich beschränkt. Der Ausbruch der Meuterei
in Sweabvrg und Kronstäbe beweist, wie recht sie mit ihrer Auffassung hatte.
Es blieb nur der andre Weg übrig — der parlamentarische Konflikt. Die
Duma führte ihn selbst herbei.

Zweiundvicrzig Mitglieder der konstitutionell-demokratischen Partei hatten
einen Agrarentwnrf eingebracht, der darauf hinauslief, den Übergang zu späterer
allgemeiner Verstaatlichung des Grund und Bodens herzustellen. Die tat¬
sächliche Verfügung über das gesamte Land sollte dem Staat übertragen
werden. Vorläufig begnügte man sich zwar, dem Staate nur das Recht ein¬
räumen zu wollen, Großgrundbesitzern das Land gegen eine angemessene Ent¬
schädigung abnehmen zu dürfen. um es landlosen Bauern zur Bearbeitung zu
überlassen. Der Begriff „gemeinnützig" sollte viel weiter gefaßt werden, als
'vie das z. B. in der deutschen Gesetzgebung geschieht. Es sollte möglich sein,


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[0355] Russische Briefe dieses Mittel, die Kadetten von den Revolutionären zu trennen, mißlang, sah das Kabinett ein, daß mit der Duma in ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung keinerlei Arbeit zu leisten wäre, die zur Anbahnung der geforderten großen Reformen führen konnte. Also Auflösung! Die Frage war nun, wie diese Auflosung herbeizuführen sei, ohne die Bevölkerung noch mehr zu erregen, und ohne den an sich schon arg gefährdeten Staatskredit im Auslande zu schädigen. Das Inland, vor allen Dingen die Bauern, das städtische Proletariat und die Studenten waren von der radikalen Linken energisch bearbeitet worden, während das Ausland von den „Gelehrten" der Kadettenpartei teils direkt, teils durch Vermittlung der ausländischen Korrespondenten hier mit „Aufklärung" überschüttet wurde. Trotz allen Schwierigkeiten übernahm es P. A. Stolypin — schon als Minister des Innern die Seele des Kabinetts —. die Auflösung der Duma vorzubereiten. Ihm standen dafür zwei Wege offen: die Heraufbeschwörung eines parlamentarischen Konflikts oder die Verhaftung der Dumaabgeordneten, die nachgewiesenermaßen im Lande die Revolution schürten. Im zweiten Falle wäre vielleicht sogar die Dumaauflösung unnötig gewesen, wenn der Minister nur hätte rechtzeitig den Nachweis erbringen können, in welchem Umfange sich die Vertreter der Arbeitsgruppe an der Revolutionierung der Massen beteiligten. Auf Grund von Mitteilungen seitens rechts stehender Parlamentarier ist vielfach die Ansicht verbreitet worden, als hätte das Kabinett die ihm zugegangnen Dokumente über die revolutionäre Organisation ver¬ öffentlichen können. Tatsächlich hätte sie alsdann aber die Entscheidung noch weiter hinausschieben müssen, sollten ihr nicht die Hauptschürer durch die Maschen gehn. Durch eine solche Hinansschiebung wäre aber unbedingt eine Stärkung der Organisation und eine vermehrte Aufwiegelung der Massen herbeigeführt worden. Die Regierung war somit in der Durchführung ihrer Aufgabe der Duma gegenüber zeitlich beschränkt. Der Ausbruch der Meuterei in Sweabvrg und Kronstäbe beweist, wie recht sie mit ihrer Auffassung hatte. Es blieb nur der andre Weg übrig — der parlamentarische Konflikt. Die Duma führte ihn selbst herbei. Zweiundvicrzig Mitglieder der konstitutionell-demokratischen Partei hatten einen Agrarentwnrf eingebracht, der darauf hinauslief, den Übergang zu späterer allgemeiner Verstaatlichung des Grund und Bodens herzustellen. Die tat¬ sächliche Verfügung über das gesamte Land sollte dem Staat übertragen werden. Vorläufig begnügte man sich zwar, dem Staate nur das Recht ein¬ räumen zu wollen, Großgrundbesitzern das Land gegen eine angemessene Ent¬ schädigung abnehmen zu dürfen. um es landlosen Bauern zur Bearbeitung zu überlassen. Der Begriff „gemeinnützig" sollte viel weiter gefaßt werden, als 'vie das z. B. in der deutschen Gesetzgebung geschieht. Es sollte möglich sein,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/355>, abgerufen am 23.07.2024.