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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Baku

genug ist hier die Herstellung der auf weite Strecken geradeaus gelegten Eisen¬
bahn gewesen, und wenig Sorge macht ihre Unterhaltung. Von eisernen
Türmen bei den Arbeiterkasernen und massiven Stationsgebäuden leicht zu
überwachen, wird sie nur selten durch Wasserdurchlüsse im Plenum unter¬
brochen, und ganz flache Seitengräben deuten darauf, daß sie elementare Er¬
eignisse wenig beeinflussen. Die Stationen sind alle sorgfältig angelegt und
gut unterhalten. Aber freudlos muß das Leben der zum Stationsdienst ver¬
urteilten Menschen in der Hitze der sonnendurchglühten Steppe sein. Um der
von der Erde zurückstrahlenden Glut zu entfliehen, betten sie sich in den
luftigen Etagen der Türme und vermeiden den Aufenthalt in den Häusern,
wohin sie zudem von lästigen Insekten verfolgt werden. Hier und da zeugen
aber doch schöne Gärten wie bei der Station Aljat für die Möglichkeit, den
Boden zu kultivieren, sogar durch reiche Wasserzuführung hoch ertragsfähig zu
machen. Solche Oasen unterbrechen das eintönige Gelbbraun des Landschafts-
bildes, worin sonst nur noch einzelne Eingeborneucmls und einige Grabhügel
Abwechslung bieten, und wenige weidende Kamele ans den trocknen Resten des
vorjährigen zweiten Wachstums der Kameldistel ihre Nahrung zusammensuchen.
Station Adshi-Kabul an der Straße nach Schemacha und Lenkorän hat sich durch
ihre ganz vorzüglichen Pasteten und sonstigen guten Sachen in unsrer Erinnerung
eine bleibende Stätte gesichert. Die russische Sprache hat die spaßige Rede¬
wendung "den Hungerwurm zu Tode quälen". Das haben wir dort erbarmungslos
getan, nachdem er sich durch den im Abteil selbst gebrauten Tee zum Leben
hatte erwecken lassen. Zweierlei stimmte nämlich an unsern in Tiflis ergänztet,
Reisevorbereitungen nicht: der Zucker war vergessen worden, und die Cakes hatte
einer von uns so sorgfältig verpackt, daß sie sich nicht finden lassen wollten.

Als sich der Himmel ein wenig aufklärte, traten als Hintergrund der Land¬
schaft zur Linken die Ausläufer des vielfach gesattelten rauhen, waldarmen Ge-
birgslnndes des Daghestan heraus, um dessen Besitz die Kämpfe am längsten
gedauert haben und am erbarmungslosesten geführt worden sind. Im Daghestan
wußte Schcnnhl den Glaubenskrieg zu entfesseln und sich vierundzwanzig Jahre
zu behaupten, bis die Russen, nach Jermoloffs Ausspruch, wie in einem Kampf
um eine große Festung allmählich vorschreitend, die letzten festen Schlösser, Weder
und Gunib, erstürmt hatten.

Die ebenso gelbbraun wie die Ebene erscheinenden Bergzüge nötigen die
Eisenbahn, so weit nach Süden auszuholen, daß sie nach der endlichen Wendung
auf Baku zu noch etwa siebzig Kilometer am Gestade des Meeres oder in dessen
Nähe zurückzulegen hat. Trotz der Nähe bedeutender Höhen, die wie der Osman
Dagh 395 Meter ganz steil ansteigen, verrät sich das jetzt durchfahrne Land
als noch nicht lange vom Wasser freigegebner Meeresboden --- reichlich zwanzig
Meter befinden wir uns unter dem Spiegel des Schwarzen Meeres. Von öst¬
lichen Winden umgestaltete und in Bewegung erhaltne Dünen und zutage tretende
sonderbare Geschiebe mit völlig vegetationsloser Oberfläche, ganz eigentümliche'


Grenzboten IV 1906 . 4Y ,
Baku

genug ist hier die Herstellung der auf weite Strecken geradeaus gelegten Eisen¬
bahn gewesen, und wenig Sorge macht ihre Unterhaltung. Von eisernen
Türmen bei den Arbeiterkasernen und massiven Stationsgebäuden leicht zu
überwachen, wird sie nur selten durch Wasserdurchlüsse im Plenum unter¬
brochen, und ganz flache Seitengräben deuten darauf, daß sie elementare Er¬
eignisse wenig beeinflussen. Die Stationen sind alle sorgfältig angelegt und
gut unterhalten. Aber freudlos muß das Leben der zum Stationsdienst ver¬
urteilten Menschen in der Hitze der sonnendurchglühten Steppe sein. Um der
von der Erde zurückstrahlenden Glut zu entfliehen, betten sie sich in den
luftigen Etagen der Türme und vermeiden den Aufenthalt in den Häusern,
wohin sie zudem von lästigen Insekten verfolgt werden. Hier und da zeugen
aber doch schöne Gärten wie bei der Station Aljat für die Möglichkeit, den
Boden zu kultivieren, sogar durch reiche Wasserzuführung hoch ertragsfähig zu
machen. Solche Oasen unterbrechen das eintönige Gelbbraun des Landschafts-
bildes, worin sonst nur noch einzelne Eingeborneucmls und einige Grabhügel
Abwechslung bieten, und wenige weidende Kamele ans den trocknen Resten des
vorjährigen zweiten Wachstums der Kameldistel ihre Nahrung zusammensuchen.
Station Adshi-Kabul an der Straße nach Schemacha und Lenkorän hat sich durch
ihre ganz vorzüglichen Pasteten und sonstigen guten Sachen in unsrer Erinnerung
eine bleibende Stätte gesichert. Die russische Sprache hat die spaßige Rede¬
wendung „den Hungerwurm zu Tode quälen". Das haben wir dort erbarmungslos
getan, nachdem er sich durch den im Abteil selbst gebrauten Tee zum Leben
hatte erwecken lassen. Zweierlei stimmte nämlich an unsern in Tiflis ergänztet,
Reisevorbereitungen nicht: der Zucker war vergessen worden, und die Cakes hatte
einer von uns so sorgfältig verpackt, daß sie sich nicht finden lassen wollten.

Als sich der Himmel ein wenig aufklärte, traten als Hintergrund der Land¬
schaft zur Linken die Ausläufer des vielfach gesattelten rauhen, waldarmen Ge-
birgslnndes des Daghestan heraus, um dessen Besitz die Kämpfe am längsten
gedauert haben und am erbarmungslosesten geführt worden sind. Im Daghestan
wußte Schcnnhl den Glaubenskrieg zu entfesseln und sich vierundzwanzig Jahre
zu behaupten, bis die Russen, nach Jermoloffs Ausspruch, wie in einem Kampf
um eine große Festung allmählich vorschreitend, die letzten festen Schlösser, Weder
und Gunib, erstürmt hatten.

Die ebenso gelbbraun wie die Ebene erscheinenden Bergzüge nötigen die
Eisenbahn, so weit nach Süden auszuholen, daß sie nach der endlichen Wendung
auf Baku zu noch etwa siebzig Kilometer am Gestade des Meeres oder in dessen
Nähe zurückzulegen hat. Trotz der Nähe bedeutender Höhen, die wie der Osman
Dagh 395 Meter ganz steil ansteigen, verrät sich das jetzt durchfahrne Land
als noch nicht lange vom Wasser freigegebner Meeresboden —- reichlich zwanzig
Meter befinden wir uns unter dem Spiegel des Schwarzen Meeres. Von öst¬
lichen Winden umgestaltete und in Bewegung erhaltne Dünen und zutage tretende
sonderbare Geschiebe mit völlig vegetationsloser Oberfläche, ganz eigentümliche'


Grenzboten IV 1906 . 4Y ,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/321>, abgerufen am 25.08.2024.