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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Stange -- zweifelnd betrachtet und auch das kleine Hans an der Düstern-
brooker Allee, in dem der "Herzog" Friedrich immer noch auf eine günstige
Wendung harrte, die damals schon verspielt war. Es war eine Zeit schwüler
Spannung; wir ahnten, daß es über kurz oder lang um die Herzogtümer zum
Kampfe kommen werde, aber wir aHuten nicht, wie nahe sein Ausbruch schon
damals war, und begrüßten doch wenig Wochen später den Abschluß der Gasteiner
Konvention (14. August 1865), die ihn noch hinausschob, mit sehr berechtigten
Zweifeln an ihrer Dauer. So war anch die Stimmung in Holstein sehr er¬
regt. Sie kam sehr charakteristisch in den Worten eines echten Friesen von
der Insel Aurum, den ich in Hamburg kennen lernte, zu monumentalein Aus¬
druck: "Ich sehe ein, daß Schleswig-Holstein nicht selbständig bleiben kann,
aber preußisch wollen wir nicht werden", was sein junger Sohn nach der
positiven Seite hin zur tiefen Entrüstung meiner Verwandten durch den leiden¬
schaftlichen Ausruf ergänzte: "Lieber dänisch als preußisch!" Dergleichen muß
man erlebt haben, wenn man die Stärke der damaligen Gegensätze begreifen
will. Ich sollte noch viel mehr erleben. Es war mir beschieden, den blutigen
Sommer 1866 auf sehr verschiednen Schauplätzen zu verleben, den Ausbruch
des Krieges in Göttingen, den böhmischen Feldzug in meiner Vaterstadt
Zittau, das Ende und den Friedensschluß in Planen. Hinterher ist nur das
als eine überaus günstige Fügung erschienen; ich hätte keine günstigern
Beobachtungsstationen wählen tonnen.

Als ich nach der Mitte des April 1866 nach Göttingen ging, um dort
meine historische Ausbildung zu einem bessern Abschluß zu bringen, als es
mir unter den damaligen Verhältnissen der Universität Leipzig möglich ge¬
wesen war, lag es wieder wie eine elektrische Spannung über Deutschland.
Von den wichtigsten Ereignissen wußten wir freilich wenig oder nur äußer¬
liches; ist es doch die unsterbliche Naivität politischer Kinder, zu verlange",
daß die Regierungen der Presse alles, worüber sie verhandeln, offenbare".
Wir hatten also keine Kunde von dem entscheidenden preußischen Ministerrat
vom 28. Februar, der den Beschluß gefaßt hatte, es um Schleswig-Holstein
ans einen Krieg ankommen zu lasse" und zugleich die Bundesreform in die
Hand Annehmen; wir hatte" wenig auf die Ankunft des italienischen Generals
Govone in Berlin am 8. März geachtet, wir sahen nur die unverkennbar
wachsende Spannung zwischen den beiden Großmächten und militärische Ma߬
regeln. Erst der preußische Antrag am Bundestage auf Berufung eines
deutscheu Parlaments zur Beratung einer Bundesreform vom 9. April, einen
Tag nach dein Abschluß des preußisch-italienischem Bündnisses (8. April), der
die Aktion einleitete, zeigte uns, daß sich etwas vorbereite, aber so sehr viel
Aufmerksamkeit erregte er uicht, und am allerwenigsten irgendwelche Be¬
geisterung, denn das Mißtrauen gegen die preußische Regierung war allgemein-
Die politische Erregung kam schon unterwegs auf der Fahrt über Leipzig und
Magdeburg in Neisegcsprächeu mannigfach zum Ausdruck. Ein Schlesien er-


Stange — zweifelnd betrachtet und auch das kleine Hans an der Düstern-
brooker Allee, in dem der „Herzog" Friedrich immer noch auf eine günstige
Wendung harrte, die damals schon verspielt war. Es war eine Zeit schwüler
Spannung; wir ahnten, daß es über kurz oder lang um die Herzogtümer zum
Kampfe kommen werde, aber wir aHuten nicht, wie nahe sein Ausbruch schon
damals war, und begrüßten doch wenig Wochen später den Abschluß der Gasteiner
Konvention (14. August 1865), die ihn noch hinausschob, mit sehr berechtigten
Zweifeln an ihrer Dauer. So war anch die Stimmung in Holstein sehr er¬
regt. Sie kam sehr charakteristisch in den Worten eines echten Friesen von
der Insel Aurum, den ich in Hamburg kennen lernte, zu monumentalein Aus¬
druck: „Ich sehe ein, daß Schleswig-Holstein nicht selbständig bleiben kann,
aber preußisch wollen wir nicht werden", was sein junger Sohn nach der
positiven Seite hin zur tiefen Entrüstung meiner Verwandten durch den leiden¬
schaftlichen Ausruf ergänzte: „Lieber dänisch als preußisch!" Dergleichen muß
man erlebt haben, wenn man die Stärke der damaligen Gegensätze begreifen
will. Ich sollte noch viel mehr erleben. Es war mir beschieden, den blutigen
Sommer 1866 auf sehr verschiednen Schauplätzen zu verleben, den Ausbruch
des Krieges in Göttingen, den böhmischen Feldzug in meiner Vaterstadt
Zittau, das Ende und den Friedensschluß in Planen. Hinterher ist nur das
als eine überaus günstige Fügung erschienen; ich hätte keine günstigern
Beobachtungsstationen wählen tonnen.

Als ich nach der Mitte des April 1866 nach Göttingen ging, um dort
meine historische Ausbildung zu einem bessern Abschluß zu bringen, als es
mir unter den damaligen Verhältnissen der Universität Leipzig möglich ge¬
wesen war, lag es wieder wie eine elektrische Spannung über Deutschland.
Von den wichtigsten Ereignissen wußten wir freilich wenig oder nur äußer¬
liches; ist es doch die unsterbliche Naivität politischer Kinder, zu verlange»,
daß die Regierungen der Presse alles, worüber sie verhandeln, offenbare».
Wir hatten also keine Kunde von dem entscheidenden preußischen Ministerrat
vom 28. Februar, der den Beschluß gefaßt hatte, es um Schleswig-Holstein
ans einen Krieg ankommen zu lasse» und zugleich die Bundesreform in die
Hand Annehmen; wir hatte» wenig auf die Ankunft des italienischen Generals
Govone in Berlin am 8. März geachtet, wir sahen nur die unverkennbar
wachsende Spannung zwischen den beiden Großmächten und militärische Ma߬
regeln. Erst der preußische Antrag am Bundestage auf Berufung eines
deutscheu Parlaments zur Beratung einer Bundesreform vom 9. April, einen
Tag nach dein Abschluß des preußisch-italienischem Bündnisses (8. April), der
die Aktion einleitete, zeigte uns, daß sich etwas vorbereite, aber so sehr viel
Aufmerksamkeit erregte er uicht, und am allerwenigsten irgendwelche Be¬
geisterung, denn das Mißtrauen gegen die preußische Regierung war allgemein-
Die politische Erregung kam schon unterwegs auf der Fahrt über Leipzig und
Magdeburg in Neisegcsprächeu mannigfach zum Ausdruck. Ein Schlesien er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/304>, abgerufen am 23.07.2024.