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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Zur angeblichen Alnüstnug

Ziel zu erreichen. solange es aber mit Vergeltung droht und sich mit dein
Zustande der Karte von Europa, wie er durch den Krieg von 1870/71 ent¬
standen ist, nicht zufrieden zu geben vermag, sind alle Abrüstnngswünsche eitel
Dunst. Auch die Friedenskongreßler sind wenigstens darüber nicht im Zweifel,
daß für ihre utopistischen Ideen die Frage der Reichslande die gefährlichste
Klippe ist, und sie haben sich auch auf ihren Versammlungen regelmäßig,
wenn auch nicht immer direkt, mit ihr beschäftigt, keineswegs aber in deutsch¬
freundlichem Sinne. Die Mehrzahl der "Friedensfreunde" ist eben überliberal
und grundsätzlich für die Republik eingenommen, und die andern versuchen
höchstens, eine Formel zu finden, durch die Deutschland in einer minder ver¬
letzenden Weise zum Aufgeben der Erwerbung des Krieges von 1870/71 be¬
wogen werden könnte. Man wird sich darüber in Deutschland durch deu
humanen Phrasenschleier, mit dem die Herren ihr Tun zu umhüllen verstehn,
nicht täuschen lassen, wenigstens in den leitenden Kreisen nicht. Fortgeschrittne
Deutsche, die vermeinen, auf Versammlungen, wo über dergleichen geredet wird,
das liberale Deutschtum vertreten zu müssen, wird es ja leider auch in Zukunft
noch geben.

Solange die Revancheidee in Frankreich weiter besteht und nur durch die
militärische Übermacht Deutschlands in friedlichen Schranken gehalten werden
kann, ist an eine "gewissenhafte Pflichterfüllung" einer etwaigen Abrüstungs¬
klausel nicht zu denken. Es ist übrigens ganz einerlei, ob bei solchen einseitigen
patriotischen Wünschen, die ebenso in andern Völkern zeitweise oder dauernd
lebendig sind, parlamentarische oder monarchische Regierungen in Frage kommen.
Hier liegt wieder ein handgreiflicher Irrtum Jules Simons und andrer Ver¬
treter der Friedenspropaganda vor. Gerade eine monarchische Negierung bietet
eine sichere Garantie für die Einhaltung von Vertragsbestimmungen, während
sich parlamentarische Regierungen viel mehr nach Volksstimmungen richten
müssen. Auf der interparlamentarischen Konferenz in London im vergangnen
Juli ist die "Verminderung der Ausgaben für die Rüstungen" wieder zur
Rede gekommen. Nach dem Berichte der offiziösen Politischen Korrespondenz
ist auch in London, ganz im Sinne Jules Simons, nicht gemeint gewesen,
"daß die Wehrkraft der Länder überhaupt in nichtrntivneller Weise herabgesetzt
werden soll. Für den Kriegsfall mag überall die stärkste Kraft vorbereitet
werden, aber die Ausgaben für die permanenten Streitkrüfte in Friedenszeiten
sollten eine Ermäßigung erfahren." Das ist noch viel unbestimmter ausgedrückt
als die Herabsetzung der Kriegsbudgets auf die Hälfte. Die Friedensfreunde
sollten aber doch, anstatt solche Phrasen zu schnitzen, einen praktischen Weg an¬
geben, wie unter Herabsetzung der Ausgaben in Friedenszeiten wirklich "für
den Kriegsfall die stärkste Kraft vorbereitet" werden kann. Die Heeresver¬
waltungen aller Länder würden ihnen dafür sehr dankbar sein, denn sie glaubten
bisher, dieses Ziel mit den ihren Volksvertretern oft nur unter schweren Kämpfen
abgerungnen Armeebudgets eben erreicht zu habe". Wissen die Friedensfreunde


Zur angeblichen Alnüstnug

Ziel zu erreichen. solange es aber mit Vergeltung droht und sich mit dein
Zustande der Karte von Europa, wie er durch den Krieg von 1870/71 ent¬
standen ist, nicht zufrieden zu geben vermag, sind alle Abrüstnngswünsche eitel
Dunst. Auch die Friedenskongreßler sind wenigstens darüber nicht im Zweifel,
daß für ihre utopistischen Ideen die Frage der Reichslande die gefährlichste
Klippe ist, und sie haben sich auch auf ihren Versammlungen regelmäßig,
wenn auch nicht immer direkt, mit ihr beschäftigt, keineswegs aber in deutsch¬
freundlichem Sinne. Die Mehrzahl der „Friedensfreunde" ist eben überliberal
und grundsätzlich für die Republik eingenommen, und die andern versuchen
höchstens, eine Formel zu finden, durch die Deutschland in einer minder ver¬
letzenden Weise zum Aufgeben der Erwerbung des Krieges von 1870/71 be¬
wogen werden könnte. Man wird sich darüber in Deutschland durch deu
humanen Phrasenschleier, mit dem die Herren ihr Tun zu umhüllen verstehn,
nicht täuschen lassen, wenigstens in den leitenden Kreisen nicht. Fortgeschrittne
Deutsche, die vermeinen, auf Versammlungen, wo über dergleichen geredet wird,
das liberale Deutschtum vertreten zu müssen, wird es ja leider auch in Zukunft
noch geben.

Solange die Revancheidee in Frankreich weiter besteht und nur durch die
militärische Übermacht Deutschlands in friedlichen Schranken gehalten werden
kann, ist an eine „gewissenhafte Pflichterfüllung" einer etwaigen Abrüstungs¬
klausel nicht zu denken. Es ist übrigens ganz einerlei, ob bei solchen einseitigen
patriotischen Wünschen, die ebenso in andern Völkern zeitweise oder dauernd
lebendig sind, parlamentarische oder monarchische Regierungen in Frage kommen.
Hier liegt wieder ein handgreiflicher Irrtum Jules Simons und andrer Ver¬
treter der Friedenspropaganda vor. Gerade eine monarchische Negierung bietet
eine sichere Garantie für die Einhaltung von Vertragsbestimmungen, während
sich parlamentarische Regierungen viel mehr nach Volksstimmungen richten
müssen. Auf der interparlamentarischen Konferenz in London im vergangnen
Juli ist die „Verminderung der Ausgaben für die Rüstungen" wieder zur
Rede gekommen. Nach dem Berichte der offiziösen Politischen Korrespondenz
ist auch in London, ganz im Sinne Jules Simons, nicht gemeint gewesen,
„daß die Wehrkraft der Länder überhaupt in nichtrntivneller Weise herabgesetzt
werden soll. Für den Kriegsfall mag überall die stärkste Kraft vorbereitet
werden, aber die Ausgaben für die permanenten Streitkrüfte in Friedenszeiten
sollten eine Ermäßigung erfahren." Das ist noch viel unbestimmter ausgedrückt
als die Herabsetzung der Kriegsbudgets auf die Hälfte. Die Friedensfreunde
sollten aber doch, anstatt solche Phrasen zu schnitzen, einen praktischen Weg an¬
geben, wie unter Herabsetzung der Ausgaben in Friedenszeiten wirklich „für
den Kriegsfall die stärkste Kraft vorbereitet" werden kann. Die Heeresver¬
waltungen aller Länder würden ihnen dafür sehr dankbar sein, denn sie glaubten
bisher, dieses Ziel mit den ihren Volksvertretern oft nur unter schweren Kämpfen
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[0292] Zur angeblichen Alnüstnug Ziel zu erreichen. solange es aber mit Vergeltung droht und sich mit dein Zustande der Karte von Europa, wie er durch den Krieg von 1870/71 ent¬ standen ist, nicht zufrieden zu geben vermag, sind alle Abrüstnngswünsche eitel Dunst. Auch die Friedenskongreßler sind wenigstens darüber nicht im Zweifel, daß für ihre utopistischen Ideen die Frage der Reichslande die gefährlichste Klippe ist, und sie haben sich auch auf ihren Versammlungen regelmäßig, wenn auch nicht immer direkt, mit ihr beschäftigt, keineswegs aber in deutsch¬ freundlichem Sinne. Die Mehrzahl der „Friedensfreunde" ist eben überliberal und grundsätzlich für die Republik eingenommen, und die andern versuchen höchstens, eine Formel zu finden, durch die Deutschland in einer minder ver¬ letzenden Weise zum Aufgeben der Erwerbung des Krieges von 1870/71 be¬ wogen werden könnte. Man wird sich darüber in Deutschland durch deu humanen Phrasenschleier, mit dem die Herren ihr Tun zu umhüllen verstehn, nicht täuschen lassen, wenigstens in den leitenden Kreisen nicht. Fortgeschrittne Deutsche, die vermeinen, auf Versammlungen, wo über dergleichen geredet wird, das liberale Deutschtum vertreten zu müssen, wird es ja leider auch in Zukunft noch geben. Solange die Revancheidee in Frankreich weiter besteht und nur durch die militärische Übermacht Deutschlands in friedlichen Schranken gehalten werden kann, ist an eine „gewissenhafte Pflichterfüllung" einer etwaigen Abrüstungs¬ klausel nicht zu denken. Es ist übrigens ganz einerlei, ob bei solchen einseitigen patriotischen Wünschen, die ebenso in andern Völkern zeitweise oder dauernd lebendig sind, parlamentarische oder monarchische Regierungen in Frage kommen. Hier liegt wieder ein handgreiflicher Irrtum Jules Simons und andrer Ver¬ treter der Friedenspropaganda vor. Gerade eine monarchische Negierung bietet eine sichere Garantie für die Einhaltung von Vertragsbestimmungen, während sich parlamentarische Regierungen viel mehr nach Volksstimmungen richten müssen. Auf der interparlamentarischen Konferenz in London im vergangnen Juli ist die „Verminderung der Ausgaben für die Rüstungen" wieder zur Rede gekommen. Nach dem Berichte der offiziösen Politischen Korrespondenz ist auch in London, ganz im Sinne Jules Simons, nicht gemeint gewesen, „daß die Wehrkraft der Länder überhaupt in nichtrntivneller Weise herabgesetzt werden soll. Für den Kriegsfall mag überall die stärkste Kraft vorbereitet werden, aber die Ausgaben für die permanenten Streitkrüfte in Friedenszeiten sollten eine Ermäßigung erfahren." Das ist noch viel unbestimmter ausgedrückt als die Herabsetzung der Kriegsbudgets auf die Hälfte. Die Friedensfreunde sollten aber doch, anstatt solche Phrasen zu schnitzen, einen praktischen Weg an¬ geben, wie unter Herabsetzung der Ausgaben in Friedenszeiten wirklich „für den Kriegsfall die stärkste Kraft vorbereitet" werden kann. Die Heeresver¬ waltungen aller Länder würden ihnen dafür sehr dankbar sein, denn sie glaubten bisher, dieses Ziel mit den ihren Volksvertretern oft nur unter schweren Kämpfen abgerungnen Armeebudgets eben erreicht zu habe». Wissen die Friedensfreunde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/292>, abgerufen am 23.07.2024.