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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Die Bernstorffs

unter dem Namen Renaissance zusammenfaßt, ist durch das aus Deutschland
stammende dänische Königshaus und durch den Schleswig-holsteinischen Adel in
Dänemark eingebürgert worden. Nicht zufällig läßt Shakespeare den Prinzen
Hamlet in Wittenberg studieren, nicht umsonst haben das ganze sechzehnte und
siebzehnte Jahrhundert hindurch zwischen dem dänischen Königshause und den
Wettinern die engsten Bande der Freundschaft und Verwandtschaft bestanden:
im Zeitraum eines einzigen Jahrhunderts waren drei sächsische Kurfürstinnen
dänische Prinzessinnen: Anna, die Gemahlin des Vaters August (1553 bis 1586),
Hedwig, die Gattin Christians des Zweiten (1591 bis 1611), und Anna Sophie,
die Johann Georgs des Dritten (1680 bis 1691), die Mutter der beiden Kur¬
fürsten Johann Georg des Vierten und August des Starken. Die augenfällige
Verwandtschaft der sächsischen und der dänischen Schloßbauten im sechzehnten und
im siebzehnten Jahrhundert (vgl. Grenzboten 1902, II, S. 273) ist ein beredter
Kommentar dazu, und die deutschen Bibelsprüche an den Wänden der Kirche
des Schlosses Kronborg sowie die Übereinstimmung vieler Gegenstände des
dänischen Nationalmuseums in Frederiksborg mit solchen des Dresdner
historischen Museums in Technik und Geschmack überzeugen sogar den Touristen
von den engen Beziehungen zwischen der dünischen und der sächsischen Kultur
jener Zeiten.

Ganz bedeutend ist auch die Zahl deutscher Adlicher, die in höfischen und
staatlichen Stellungen in Dänemark eine Rolle spielten. Keine von diesen
Familien ist bekannter als die der Grafen Bernstorff, die nicht nur für Johann
Elias Schlegel in Dänemark den Weg chüele, sondern auch Klopstock (1751
bis 1771 in Kopenhagen) dahin berief und damit die spätere dänische Unter¬
stützung Schillers vorbereitete. Es war deshalb ein richtiger Gedanke des
dänischen Gelehrten Aage Friis, den ersten Band seines aus meist unge¬
druckten Material, besonders aus den großen Briefsammlungen der Bern-
storffschen Familienarchive aufgebauten Werkes Lernstorttornö o^ vaumarlc
in deutscher Bearbeitung auch den deutschen Lesern vorzulegen.*) Dieses Buch
ist hervorgegangen "aus vieljührigen Studien über die kulturelle und politische
Wechselwirkung zwischen Dünemark und Deutschland in den Jahren von etwa
1750 bis 1835, d. h. von einer Zeit an, in welcher die beiden Nationen in
so mancher Beziehung verständnisvoll zusammenwirkten, bis dahin, wo der
neu auflodernde Streit um Schleswig die durch so viele Bande verknüpften
Bevölkerungen wieder auseinanderriß und für lange einander entfremdete. . . -
Die Geschichte des Bernstorffschen Geschlechts während dieser Periode ist zu¬
gleich die Geschichte der wesentlichen Beziehungen Dünemarks und Deutschlands
zueinander. Die aus diesem Geschlechte hervorgehenden Staatsmänner be-



*) Aage Friis, Die Bernstorffs. Erster Band: Lehr- und Wanderjahre. Ein Kulturbild
aus dem deutsch-dänischen Adels- und Diplomatenleben im achtzehnten Jahrhundert. Leipzig,
Wilhelm Welcher, 1905. V und 522 Seiten Oktav.
Die Bernstorffs

unter dem Namen Renaissance zusammenfaßt, ist durch das aus Deutschland
stammende dänische Königshaus und durch den Schleswig-holsteinischen Adel in
Dänemark eingebürgert worden. Nicht zufällig läßt Shakespeare den Prinzen
Hamlet in Wittenberg studieren, nicht umsonst haben das ganze sechzehnte und
siebzehnte Jahrhundert hindurch zwischen dem dänischen Königshause und den
Wettinern die engsten Bande der Freundschaft und Verwandtschaft bestanden:
im Zeitraum eines einzigen Jahrhunderts waren drei sächsische Kurfürstinnen
dänische Prinzessinnen: Anna, die Gemahlin des Vaters August (1553 bis 1586),
Hedwig, die Gattin Christians des Zweiten (1591 bis 1611), und Anna Sophie,
die Johann Georgs des Dritten (1680 bis 1691), die Mutter der beiden Kur¬
fürsten Johann Georg des Vierten und August des Starken. Die augenfällige
Verwandtschaft der sächsischen und der dänischen Schloßbauten im sechzehnten und
im siebzehnten Jahrhundert (vgl. Grenzboten 1902, II, S. 273) ist ein beredter
Kommentar dazu, und die deutschen Bibelsprüche an den Wänden der Kirche
des Schlosses Kronborg sowie die Übereinstimmung vieler Gegenstände des
dänischen Nationalmuseums in Frederiksborg mit solchen des Dresdner
historischen Museums in Technik und Geschmack überzeugen sogar den Touristen
von den engen Beziehungen zwischen der dünischen und der sächsischen Kultur
jener Zeiten.

Ganz bedeutend ist auch die Zahl deutscher Adlicher, die in höfischen und
staatlichen Stellungen in Dänemark eine Rolle spielten. Keine von diesen
Familien ist bekannter als die der Grafen Bernstorff, die nicht nur für Johann
Elias Schlegel in Dänemark den Weg chüele, sondern auch Klopstock (1751
bis 1771 in Kopenhagen) dahin berief und damit die spätere dänische Unter¬
stützung Schillers vorbereitete. Es war deshalb ein richtiger Gedanke des
dänischen Gelehrten Aage Friis, den ersten Band seines aus meist unge¬
druckten Material, besonders aus den großen Briefsammlungen der Bern-
storffschen Familienarchive aufgebauten Werkes Lernstorttornö o^ vaumarlc
in deutscher Bearbeitung auch den deutschen Lesern vorzulegen.*) Dieses Buch
ist hervorgegangen „aus vieljührigen Studien über die kulturelle und politische
Wechselwirkung zwischen Dünemark und Deutschland in den Jahren von etwa
1750 bis 1835, d. h. von einer Zeit an, in welcher die beiden Nationen in
so mancher Beziehung verständnisvoll zusammenwirkten, bis dahin, wo der
neu auflodernde Streit um Schleswig die durch so viele Bande verknüpften
Bevölkerungen wieder auseinanderriß und für lange einander entfremdete. . . -
Die Geschichte des Bernstorffschen Geschlechts während dieser Periode ist zu¬
gleich die Geschichte der wesentlichen Beziehungen Dünemarks und Deutschlands
zueinander. Die aus diesem Geschlechte hervorgehenden Staatsmänner be-



*) Aage Friis, Die Bernstorffs. Erster Band: Lehr- und Wanderjahre. Ein Kulturbild
aus dem deutsch-dänischen Adels- und Diplomatenleben im achtzehnten Jahrhundert. Leipzig,
Wilhelm Welcher, 1905. V und 522 Seiten Oktav.
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[0250] Die Bernstorffs unter dem Namen Renaissance zusammenfaßt, ist durch das aus Deutschland stammende dänische Königshaus und durch den Schleswig-holsteinischen Adel in Dänemark eingebürgert worden. Nicht zufällig läßt Shakespeare den Prinzen Hamlet in Wittenberg studieren, nicht umsonst haben das ganze sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert hindurch zwischen dem dänischen Königshause und den Wettinern die engsten Bande der Freundschaft und Verwandtschaft bestanden: im Zeitraum eines einzigen Jahrhunderts waren drei sächsische Kurfürstinnen dänische Prinzessinnen: Anna, die Gemahlin des Vaters August (1553 bis 1586), Hedwig, die Gattin Christians des Zweiten (1591 bis 1611), und Anna Sophie, die Johann Georgs des Dritten (1680 bis 1691), die Mutter der beiden Kur¬ fürsten Johann Georg des Vierten und August des Starken. Die augenfällige Verwandtschaft der sächsischen und der dänischen Schloßbauten im sechzehnten und im siebzehnten Jahrhundert (vgl. Grenzboten 1902, II, S. 273) ist ein beredter Kommentar dazu, und die deutschen Bibelsprüche an den Wänden der Kirche des Schlosses Kronborg sowie die Übereinstimmung vieler Gegenstände des dänischen Nationalmuseums in Frederiksborg mit solchen des Dresdner historischen Museums in Technik und Geschmack überzeugen sogar den Touristen von den engen Beziehungen zwischen der dünischen und der sächsischen Kultur jener Zeiten. Ganz bedeutend ist auch die Zahl deutscher Adlicher, die in höfischen und staatlichen Stellungen in Dänemark eine Rolle spielten. Keine von diesen Familien ist bekannter als die der Grafen Bernstorff, die nicht nur für Johann Elias Schlegel in Dänemark den Weg chüele, sondern auch Klopstock (1751 bis 1771 in Kopenhagen) dahin berief und damit die spätere dänische Unter¬ stützung Schillers vorbereitete. Es war deshalb ein richtiger Gedanke des dänischen Gelehrten Aage Friis, den ersten Band seines aus meist unge¬ druckten Material, besonders aus den großen Briefsammlungen der Bern- storffschen Familienarchive aufgebauten Werkes Lernstorttornö o^ vaumarlc in deutscher Bearbeitung auch den deutschen Lesern vorzulegen.*) Dieses Buch ist hervorgegangen „aus vieljührigen Studien über die kulturelle und politische Wechselwirkung zwischen Dünemark und Deutschland in den Jahren von etwa 1750 bis 1835, d. h. von einer Zeit an, in welcher die beiden Nationen in so mancher Beziehung verständnisvoll zusammenwirkten, bis dahin, wo der neu auflodernde Streit um Schleswig die durch so viele Bande verknüpften Bevölkerungen wieder auseinanderriß und für lange einander entfremdete. . . - Die Geschichte des Bernstorffschen Geschlechts während dieser Periode ist zu¬ gleich die Geschichte der wesentlichen Beziehungen Dünemarks und Deutschlands zueinander. Die aus diesem Geschlechte hervorgehenden Staatsmänner be- *) Aage Friis, Die Bernstorffs. Erster Band: Lehr- und Wanderjahre. Ein Kulturbild aus dem deutsch-dänischen Adels- und Diplomatenleben im achtzehnten Jahrhundert. Leipzig, Wilhelm Welcher, 1905. V und 522 Seiten Oktav.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/250>, abgerufen am 23.07.2024.