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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Zur Justizreforin

eine Erweiterung der Fälle in Erwägung zu ziehen sein, in denen das Urteil
auf Antrag ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt werden
kann und dem Gegner die Abwendung der Vollstreckung gegen Sicherheits¬
leistung einzuräumen ist. Unangemessen, weil die Energie des Prozesses
lähmend, erscheint mir der Paragraph 717 Absatz 2 der Zivilprozeßordnung,
wonach der Kläger im Falle der Aufhebung oder der Abänderung eines für
vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils zum Ersatze des durch die Vollstreckung
des Urteils dem Beklagten entstandnen Schadens zu verurteilen ist. Denn
grundsätzlich setzt die Verpflichtung zum Schadenersatz Verschulden voraus;
hiervon kann aber nicht wohl die Rede sein, wenn der Kläger im Vertrauen
auf die Autorität des zuständigen Gerichts ein für vorläufig vollstreckbar
erklärtes Urteil vollstrecken läßt.

7. Für die Berufungsinstanz erscheint mir zur raschem Erledigung des
Prozesses empfehlenswert, daß der Berufungskläger in der Berufungsschrift, ab¬
gesehen von bloßen Rechtsausführungen, alle Nechtsbehelfe, Behauptungen und
Beweise unter dem Nachteile der Präklusion vorbringen muß, sofern er nicht
glaubhaft macht, daß er hierzu außerstande gewesen sei. Eine gleiche Vor¬
schrift empfiehlt sich für die innerhalb gewisser Frist dem Berufungskläger zuzu¬
stellende Schrift des Bemfungsbeklagten. Es darf angenommen werden, daß
die Parteien nach dem Prozeßgange der ersten Instanz hinreichend in der Lage
sind, den Prozeßstoff zu übersehen, und während der Berufungsfrist auch ge¬
nügende Zeit zur Überlegung und zur Wahrung ihrer Rechte haben. Dem
Antrage des Berufungsklägers ans Erlaß eines Versäumnisurteils dürfte inso¬
weit, als ihm nicht öffentlich-rechtliche Gründe entgegenstehn, ohne weitere
materielle Prüfung zu entsprechen sein. Denn man darf davon als Regel
ausgehen, daß eine Partei, die in der Berufungsinstanz nicht erscheint, dem
Antrag des Berufungsklägers nicht weiter widersprechen will. Die Rücksicht
auf die Autorität des einmal erlassenen Urteils darf nicht dazu führen, von der
einfachen und zweckentsprechenden Gestaltung des Versäumnisverfahrens abzusehen,
zumal da im Falle des Einspruchs die Entscheidung durch die vorherige Sach¬
prüfung in dem abändernden Versäumnisurteile nicht selten erschwert wird.

8. Die Abänderung eines amtsgerichtlichen Urteils dürfte sich nur im Falle
der Einstimmigkeit des Landgerichts rechtfertigen lassen, da im Falle einer
Meinungsverschiedenheit unter Zuzählung der amtsrichterlichen Stimme für und
wider Stimmengleichheit besteht, und die Rücksicht auf die Gleichmäßigkeit und
die Autorität der Rechtsprechung die Aufrechterhaltung des Urteils gebieten
muß. Der meines Erachtens sachgemäße Vorschlag würde zugleich eine Ver¬
minderung der Zahl der Berufungen zur Folge haben.

9. Das Mahnverfahren und die Festsetzung der Kosten dürfte den Gerichts¬
schreibern zu übertragen sein mit der Maßgabe, daß dem Widersprechenden der
Antrag auf Entscheidung des Gerichts zusteht, das hierüber bis zur Höhe der
für seine Urteile maßgebenden Berufungssumme endgiltig, darüber hinaus be-


Zur Justizreforin

eine Erweiterung der Fälle in Erwägung zu ziehen sein, in denen das Urteil
auf Antrag ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt werden
kann und dem Gegner die Abwendung der Vollstreckung gegen Sicherheits¬
leistung einzuräumen ist. Unangemessen, weil die Energie des Prozesses
lähmend, erscheint mir der Paragraph 717 Absatz 2 der Zivilprozeßordnung,
wonach der Kläger im Falle der Aufhebung oder der Abänderung eines für
vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils zum Ersatze des durch die Vollstreckung
des Urteils dem Beklagten entstandnen Schadens zu verurteilen ist. Denn
grundsätzlich setzt die Verpflichtung zum Schadenersatz Verschulden voraus;
hiervon kann aber nicht wohl die Rede sein, wenn der Kläger im Vertrauen
auf die Autorität des zuständigen Gerichts ein für vorläufig vollstreckbar
erklärtes Urteil vollstrecken läßt.

7. Für die Berufungsinstanz erscheint mir zur raschem Erledigung des
Prozesses empfehlenswert, daß der Berufungskläger in der Berufungsschrift, ab¬
gesehen von bloßen Rechtsausführungen, alle Nechtsbehelfe, Behauptungen und
Beweise unter dem Nachteile der Präklusion vorbringen muß, sofern er nicht
glaubhaft macht, daß er hierzu außerstande gewesen sei. Eine gleiche Vor¬
schrift empfiehlt sich für die innerhalb gewisser Frist dem Berufungskläger zuzu¬
stellende Schrift des Bemfungsbeklagten. Es darf angenommen werden, daß
die Parteien nach dem Prozeßgange der ersten Instanz hinreichend in der Lage
sind, den Prozeßstoff zu übersehen, und während der Berufungsfrist auch ge¬
nügende Zeit zur Überlegung und zur Wahrung ihrer Rechte haben. Dem
Antrage des Berufungsklägers ans Erlaß eines Versäumnisurteils dürfte inso¬
weit, als ihm nicht öffentlich-rechtliche Gründe entgegenstehn, ohne weitere
materielle Prüfung zu entsprechen sein. Denn man darf davon als Regel
ausgehen, daß eine Partei, die in der Berufungsinstanz nicht erscheint, dem
Antrag des Berufungsklägers nicht weiter widersprechen will. Die Rücksicht
auf die Autorität des einmal erlassenen Urteils darf nicht dazu führen, von der
einfachen und zweckentsprechenden Gestaltung des Versäumnisverfahrens abzusehen,
zumal da im Falle des Einspruchs die Entscheidung durch die vorherige Sach¬
prüfung in dem abändernden Versäumnisurteile nicht selten erschwert wird.

8. Die Abänderung eines amtsgerichtlichen Urteils dürfte sich nur im Falle
der Einstimmigkeit des Landgerichts rechtfertigen lassen, da im Falle einer
Meinungsverschiedenheit unter Zuzählung der amtsrichterlichen Stimme für und
wider Stimmengleichheit besteht, und die Rücksicht auf die Gleichmäßigkeit und
die Autorität der Rechtsprechung die Aufrechterhaltung des Urteils gebieten
muß. Der meines Erachtens sachgemäße Vorschlag würde zugleich eine Ver¬
minderung der Zahl der Berufungen zur Folge haben.

9. Das Mahnverfahren und die Festsetzung der Kosten dürfte den Gerichts¬
schreibern zu übertragen sein mit der Maßgabe, daß dem Widersprechenden der
Antrag auf Entscheidung des Gerichts zusteht, das hierüber bis zur Höhe der
für seine Urteile maßgebenden Berufungssumme endgiltig, darüber hinaus be-


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[0202] Zur Justizreforin eine Erweiterung der Fälle in Erwägung zu ziehen sein, in denen das Urteil auf Antrag ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt werden kann und dem Gegner die Abwendung der Vollstreckung gegen Sicherheits¬ leistung einzuräumen ist. Unangemessen, weil die Energie des Prozesses lähmend, erscheint mir der Paragraph 717 Absatz 2 der Zivilprozeßordnung, wonach der Kläger im Falle der Aufhebung oder der Abänderung eines für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils zum Ersatze des durch die Vollstreckung des Urteils dem Beklagten entstandnen Schadens zu verurteilen ist. Denn grundsätzlich setzt die Verpflichtung zum Schadenersatz Verschulden voraus; hiervon kann aber nicht wohl die Rede sein, wenn der Kläger im Vertrauen auf die Autorität des zuständigen Gerichts ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil vollstrecken läßt. 7. Für die Berufungsinstanz erscheint mir zur raschem Erledigung des Prozesses empfehlenswert, daß der Berufungskläger in der Berufungsschrift, ab¬ gesehen von bloßen Rechtsausführungen, alle Nechtsbehelfe, Behauptungen und Beweise unter dem Nachteile der Präklusion vorbringen muß, sofern er nicht glaubhaft macht, daß er hierzu außerstande gewesen sei. Eine gleiche Vor¬ schrift empfiehlt sich für die innerhalb gewisser Frist dem Berufungskläger zuzu¬ stellende Schrift des Bemfungsbeklagten. Es darf angenommen werden, daß die Parteien nach dem Prozeßgange der ersten Instanz hinreichend in der Lage sind, den Prozeßstoff zu übersehen, und während der Berufungsfrist auch ge¬ nügende Zeit zur Überlegung und zur Wahrung ihrer Rechte haben. Dem Antrage des Berufungsklägers ans Erlaß eines Versäumnisurteils dürfte inso¬ weit, als ihm nicht öffentlich-rechtliche Gründe entgegenstehn, ohne weitere materielle Prüfung zu entsprechen sein. Denn man darf davon als Regel ausgehen, daß eine Partei, die in der Berufungsinstanz nicht erscheint, dem Antrag des Berufungsklägers nicht weiter widersprechen will. Die Rücksicht auf die Autorität des einmal erlassenen Urteils darf nicht dazu führen, von der einfachen und zweckentsprechenden Gestaltung des Versäumnisverfahrens abzusehen, zumal da im Falle des Einspruchs die Entscheidung durch die vorherige Sach¬ prüfung in dem abändernden Versäumnisurteile nicht selten erschwert wird. 8. Die Abänderung eines amtsgerichtlichen Urteils dürfte sich nur im Falle der Einstimmigkeit des Landgerichts rechtfertigen lassen, da im Falle einer Meinungsverschiedenheit unter Zuzählung der amtsrichterlichen Stimme für und wider Stimmengleichheit besteht, und die Rücksicht auf die Gleichmäßigkeit und die Autorität der Rechtsprechung die Aufrechterhaltung des Urteils gebieten muß. Der meines Erachtens sachgemäße Vorschlag würde zugleich eine Ver¬ minderung der Zahl der Berufungen zur Folge haben. 9. Das Mahnverfahren und die Festsetzung der Kosten dürfte den Gerichts¬ schreibern zu übertragen sein mit der Maßgabe, daß dem Widersprechenden der Antrag auf Entscheidung des Gerichts zusteht, das hierüber bis zur Höhe der für seine Urteile maßgebenden Berufungssumme endgiltig, darüber hinaus be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/202>, abgerufen am 23.07.2024.