Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Frage erst geschaffen hatten. Die Idee, das Zollvereinsparlament einzuberufen,
war auf seinen Rat hin aufgegeben worden. Es ist nach allem die Verzögerung
der preußischen Antwort durchaus begreiflich, weil erst die Besprechungen mit
Delbrück zu einem ruoäus xroosäsiM geführt hatten, wie es auch erklärlich ist,
daß sich die Antwort wohlwollend in der Form, sachlich aber mehr negativ
verhielt. Bismarck wollte erst das Ergebnis der Münchner Verhandlungen
abwarten, inzwischen aber war es ihm durchaus erwünscht, wenn sich zu der
aus Dresden in München eingetroffnen Anregung nun auch eine solche aus
Karlsruhe gesellte. Die Antwort gipfelte deshalb in der Aufforderung, daß
Baden in München und in Stuttgart die Anregung geben möge, die Frage
des Verhältnisses von Süddeutschland zum Norden in Erörterung zu ziehen.
Kurz gesagt, es handelte sich für den Bundeskanzler zunächst um eine badische
Diversion zur Unterstützung der sächsischen Anregungen und der Reise Delbrücks
nach München. Daneben wurde anerkannt, daß eine Wiedererlangung der
alten deutschen Länder Elsaß und Lothringen in einem künftigen Friedens-
schlusse, der noch lange nicht bevorzustehn scheine, anzustreben wäre, ihre An-
gliederung an Preußen halte auch der Bundeskanzler nicht für erwünscht.
Leider ist dieser Satz in Karlsruhe damals so verstanden worden, als ob
Bismarck damit auf eine Landvergrößerung Bayerns ziele, während er nur
die Zeit noch nicht gekommen hielt, auf die Idee des künftigen Neichslcmdes
positiv einzugehn.*) In bezug auf die Einigungsfrage wurde ausgesprochen,
daß die gemeinsame Kriegführung diesen Zweck von selbst fördere, ohne daß
von irgendeiner Seite ein Druck oder Zwang geübt werde. Der Sinn der
preußischen Antwort war der, daß Preußen sich und die Sache nicht der
Gefahr aussetzen wollte, sich in München oder Stuttgart einen Korb zu holen
oder durch Anerbieten ungemessene Ansprüche hervorzurufen. ^ Daher das Be¬
harren auf dem Standpunkte, von preußischer Seite nicht drängen zu wollen,
sondern dem Süden die Initiative zu lassen.

Eine direkte vertrauensvolle Mitteilung Bismarcks über die Sachlage, wie die
patriotische Opferwilligkeit des Großherzogs und die nationale Gesinnung seines
Landes sie wohl verdient hätten, wäre damals wohl um so mehr am Platze ge¬
wesen, als, wie sich ja bald ergeben sollte, die Endziele und Absichten des Bundes¬
kanzlers mit denen des Großherzogs und der badischen Regierung vollständig
übereinstimmten. Ihr Unterbleiben ist sicherlich vom Großherzog sehr empfunden
worden, und seine Antwort an Jolly aus dem Hauptquartier Lampertsheim vor
Straßburg vom 20. September auf Jollys Bericht vom 18. atmet den ganzen
Mißmut über die so ungenügend erscheinende Antwort. Dennoch und obgleich er
sich wenig davon verspricht, erklärt sich der Großherzog zu einer Initiative nach
München und Stuttgart bereit. Baden solle in beiden Hauptstädten bestimmt



Gerade unter dem 16. September notiert der Kronprinz in seinem Tagebuche, daß Fürst
Gortschakow gegen die Abtretung des Elsaß sei.
Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Frage erst geschaffen hatten. Die Idee, das Zollvereinsparlament einzuberufen,
war auf seinen Rat hin aufgegeben worden. Es ist nach allem die Verzögerung
der preußischen Antwort durchaus begreiflich, weil erst die Besprechungen mit
Delbrück zu einem ruoäus xroosäsiM geführt hatten, wie es auch erklärlich ist,
daß sich die Antwort wohlwollend in der Form, sachlich aber mehr negativ
verhielt. Bismarck wollte erst das Ergebnis der Münchner Verhandlungen
abwarten, inzwischen aber war es ihm durchaus erwünscht, wenn sich zu der
aus Dresden in München eingetroffnen Anregung nun auch eine solche aus
Karlsruhe gesellte. Die Antwort gipfelte deshalb in der Aufforderung, daß
Baden in München und in Stuttgart die Anregung geben möge, die Frage
des Verhältnisses von Süddeutschland zum Norden in Erörterung zu ziehen.
Kurz gesagt, es handelte sich für den Bundeskanzler zunächst um eine badische
Diversion zur Unterstützung der sächsischen Anregungen und der Reise Delbrücks
nach München. Daneben wurde anerkannt, daß eine Wiedererlangung der
alten deutschen Länder Elsaß und Lothringen in einem künftigen Friedens-
schlusse, der noch lange nicht bevorzustehn scheine, anzustreben wäre, ihre An-
gliederung an Preußen halte auch der Bundeskanzler nicht für erwünscht.
Leider ist dieser Satz in Karlsruhe damals so verstanden worden, als ob
Bismarck damit auf eine Landvergrößerung Bayerns ziele, während er nur
die Zeit noch nicht gekommen hielt, auf die Idee des künftigen Neichslcmdes
positiv einzugehn.*) In bezug auf die Einigungsfrage wurde ausgesprochen,
daß die gemeinsame Kriegführung diesen Zweck von selbst fördere, ohne daß
von irgendeiner Seite ein Druck oder Zwang geübt werde. Der Sinn der
preußischen Antwort war der, daß Preußen sich und die Sache nicht der
Gefahr aussetzen wollte, sich in München oder Stuttgart einen Korb zu holen
oder durch Anerbieten ungemessene Ansprüche hervorzurufen. ^ Daher das Be¬
harren auf dem Standpunkte, von preußischer Seite nicht drängen zu wollen,
sondern dem Süden die Initiative zu lassen.

Eine direkte vertrauensvolle Mitteilung Bismarcks über die Sachlage, wie die
patriotische Opferwilligkeit des Großherzogs und die nationale Gesinnung seines
Landes sie wohl verdient hätten, wäre damals wohl um so mehr am Platze ge¬
wesen, als, wie sich ja bald ergeben sollte, die Endziele und Absichten des Bundes¬
kanzlers mit denen des Großherzogs und der badischen Regierung vollständig
übereinstimmten. Ihr Unterbleiben ist sicherlich vom Großherzog sehr empfunden
worden, und seine Antwort an Jolly aus dem Hauptquartier Lampertsheim vor
Straßburg vom 20. September auf Jollys Bericht vom 18. atmet den ganzen
Mißmut über die so ungenügend erscheinende Antwort. Dennoch und obgleich er
sich wenig davon verspricht, erklärt sich der Großherzog zu einer Initiative nach
München und Stuttgart bereit. Baden solle in beiden Hauptstädten bestimmt



Gerade unter dem 16. September notiert der Kronprinz in seinem Tagebuche, daß Fürst
Gortschakow gegen die Abtretung des Elsaß sei.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0020" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300519"/>
          <fw type="header" place="top"> Großherzog Friedrich von Baden in Versailles</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_37" prev="#ID_36"> Frage erst geschaffen hatten. Die Idee, das Zollvereinsparlament einzuberufen,<lb/>
war auf seinen Rat hin aufgegeben worden. Es ist nach allem die Verzögerung<lb/>
der preußischen Antwort durchaus begreiflich, weil erst die Besprechungen mit<lb/>
Delbrück zu einem ruoäus xroosäsiM geführt hatten, wie es auch erklärlich ist,<lb/>
daß sich die Antwort wohlwollend in der Form, sachlich aber mehr negativ<lb/>
verhielt. Bismarck wollte erst das Ergebnis der Münchner Verhandlungen<lb/>
abwarten, inzwischen aber war es ihm durchaus erwünscht, wenn sich zu der<lb/>
aus Dresden in München eingetroffnen Anregung nun auch eine solche aus<lb/>
Karlsruhe gesellte. Die Antwort gipfelte deshalb in der Aufforderung, daß<lb/>
Baden in München und in Stuttgart die Anregung geben möge, die Frage<lb/>
des Verhältnisses von Süddeutschland zum Norden in Erörterung zu ziehen.<lb/>
Kurz gesagt, es handelte sich für den Bundeskanzler zunächst um eine badische<lb/>
Diversion zur Unterstützung der sächsischen Anregungen und der Reise Delbrücks<lb/>
nach München. Daneben wurde anerkannt, daß eine Wiedererlangung der<lb/>
alten deutschen Länder Elsaß und Lothringen in einem künftigen Friedens-<lb/>
schlusse, der noch lange nicht bevorzustehn scheine, anzustreben wäre, ihre An-<lb/>
gliederung an Preußen halte auch der Bundeskanzler nicht für erwünscht.<lb/>
Leider ist dieser Satz in Karlsruhe damals so verstanden worden, als ob<lb/>
Bismarck damit auf eine Landvergrößerung Bayerns ziele, während er nur<lb/>
die Zeit noch nicht gekommen hielt, auf die Idee des künftigen Neichslcmdes<lb/>
positiv einzugehn.*) In bezug auf die Einigungsfrage wurde ausgesprochen,<lb/>
daß die gemeinsame Kriegführung diesen Zweck von selbst fördere, ohne daß<lb/>
von irgendeiner Seite ein Druck oder Zwang geübt werde. Der Sinn der<lb/>
preußischen Antwort war der, daß Preußen sich und die Sache nicht der<lb/>
Gefahr aussetzen wollte, sich in München oder Stuttgart einen Korb zu holen<lb/>
oder durch Anerbieten ungemessene Ansprüche hervorzurufen. ^ Daher das Be¬<lb/>
harren auf dem Standpunkte, von preußischer Seite nicht drängen zu wollen,<lb/>
sondern dem Süden die Initiative zu lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_38" next="#ID_39"> Eine direkte vertrauensvolle Mitteilung Bismarcks über die Sachlage, wie die<lb/>
patriotische Opferwilligkeit des Großherzogs und die nationale Gesinnung seines<lb/>
Landes sie wohl verdient hätten, wäre damals wohl um so mehr am Platze ge¬<lb/>
wesen, als, wie sich ja bald ergeben sollte, die Endziele und Absichten des Bundes¬<lb/>
kanzlers mit denen des Großherzogs und der badischen Regierung vollständig<lb/>
übereinstimmten. Ihr Unterbleiben ist sicherlich vom Großherzog sehr empfunden<lb/>
worden, und seine Antwort an Jolly aus dem Hauptquartier Lampertsheim vor<lb/>
Straßburg vom 20. September auf Jollys Bericht vom 18. atmet den ganzen<lb/>
Mißmut über die so ungenügend erscheinende Antwort. Dennoch und obgleich er<lb/>
sich wenig davon verspricht, erklärt sich der Großherzog zu einer Initiative nach<lb/>
München und Stuttgart bereit.  Baden solle in beiden Hauptstädten bestimmt</p><lb/>
          <note xml:id="FID_2" place="foot"> Gerade unter dem 16. September notiert der Kronprinz in seinem Tagebuche, daß Fürst<lb/>
Gortschakow gegen die Abtretung des Elsaß sei.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0020] Großherzog Friedrich von Baden in Versailles Frage erst geschaffen hatten. Die Idee, das Zollvereinsparlament einzuberufen, war auf seinen Rat hin aufgegeben worden. Es ist nach allem die Verzögerung der preußischen Antwort durchaus begreiflich, weil erst die Besprechungen mit Delbrück zu einem ruoäus xroosäsiM geführt hatten, wie es auch erklärlich ist, daß sich die Antwort wohlwollend in der Form, sachlich aber mehr negativ verhielt. Bismarck wollte erst das Ergebnis der Münchner Verhandlungen abwarten, inzwischen aber war es ihm durchaus erwünscht, wenn sich zu der aus Dresden in München eingetroffnen Anregung nun auch eine solche aus Karlsruhe gesellte. Die Antwort gipfelte deshalb in der Aufforderung, daß Baden in München und in Stuttgart die Anregung geben möge, die Frage des Verhältnisses von Süddeutschland zum Norden in Erörterung zu ziehen. Kurz gesagt, es handelte sich für den Bundeskanzler zunächst um eine badische Diversion zur Unterstützung der sächsischen Anregungen und der Reise Delbrücks nach München. Daneben wurde anerkannt, daß eine Wiedererlangung der alten deutschen Länder Elsaß und Lothringen in einem künftigen Friedens- schlusse, der noch lange nicht bevorzustehn scheine, anzustreben wäre, ihre An- gliederung an Preußen halte auch der Bundeskanzler nicht für erwünscht. Leider ist dieser Satz in Karlsruhe damals so verstanden worden, als ob Bismarck damit auf eine Landvergrößerung Bayerns ziele, während er nur die Zeit noch nicht gekommen hielt, auf die Idee des künftigen Neichslcmdes positiv einzugehn.*) In bezug auf die Einigungsfrage wurde ausgesprochen, daß die gemeinsame Kriegführung diesen Zweck von selbst fördere, ohne daß von irgendeiner Seite ein Druck oder Zwang geübt werde. Der Sinn der preußischen Antwort war der, daß Preußen sich und die Sache nicht der Gefahr aussetzen wollte, sich in München oder Stuttgart einen Korb zu holen oder durch Anerbieten ungemessene Ansprüche hervorzurufen. ^ Daher das Be¬ harren auf dem Standpunkte, von preußischer Seite nicht drängen zu wollen, sondern dem Süden die Initiative zu lassen. Eine direkte vertrauensvolle Mitteilung Bismarcks über die Sachlage, wie die patriotische Opferwilligkeit des Großherzogs und die nationale Gesinnung seines Landes sie wohl verdient hätten, wäre damals wohl um so mehr am Platze ge¬ wesen, als, wie sich ja bald ergeben sollte, die Endziele und Absichten des Bundes¬ kanzlers mit denen des Großherzogs und der badischen Regierung vollständig übereinstimmten. Ihr Unterbleiben ist sicherlich vom Großherzog sehr empfunden worden, und seine Antwort an Jolly aus dem Hauptquartier Lampertsheim vor Straßburg vom 20. September auf Jollys Bericht vom 18. atmet den ganzen Mißmut über die so ungenügend erscheinende Antwort. Dennoch und obgleich er sich wenig davon verspricht, erklärt sich der Großherzog zu einer Initiative nach München und Stuttgart bereit. Baden solle in beiden Hauptstädten bestimmt Gerade unter dem 16. September notiert der Kronprinz in seinem Tagebuche, daß Fürst Gortschakow gegen die Abtretung des Elsaß sei.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/20
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/20>, abgerufen am 25.08.2024.