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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Das preußische Gffizierkorps von ^3O6 im Lichte neuer Forschungen

So arbeitete diese Vergeltungsmaschine mit furchtbarer Sicherheit in der
Stille, während die Öffentlichkeit noch von lautem Hohn über das Offizier¬
korps erfüllt war. Sie förderte Schuldlosigkeit und Schuld zutage, und zwar
viel mehr Rechtfertigung und Verdienst als Vergehen und Versäumnis. Etwa
6500 Offiziere nahmen an den Kriegsereignissen der Jahre 1806 und 1807
teil, 4600 an den Kämpfen und am Rückzüge der Saalarmee. Von diesen
6500 Offizieren sind bis zum Beginn der Befreiungskriege 208 infolge von
Strafen aus dem Heere ausgeschieden, 77 desertiert oder verschollen. Was
nicht der Tod, Krankheit oder Altersschwäche zurückhielt, wetzte im Jahre 1813
die Scharte von 1806 aus. 3898 von 6500 kämpften in den Befreiungs¬
kriegen. Droysen hat Recht: "Nie hat sich ein Staat aus tieferem Sturz
schneller und stolzer erhoben als Preußen nach dem Tage von Jena."

Die Angriffe auf das Heer sind seit hundert Jahren immer nur vorüber¬
gehend verstummt, die Niederlage von 1806 ist immer wieder als bequemer
und beliebter Vorwurf gegen das Offizierkorps verwandt worden. Das deutsche
Offizierkorps ist jetzt das Ziel des giftigen Hohns, der sich einst gegen das
preußische richtete. Die Ergebnisse der Forschungen Kunhardt von Schmidts und
des Großen Generalstabs müssen darum jedeni, der weiß, was Deutschland dem
preußischen und dem deutschen Offizierkorps verdankt, willkommen und wert sein.

Nachdem diese sorgfältigen Forschungen die Legende von den Offizieren,
die alle ihrer Pflicht vergaßen, die alle hinter der Front waren, zerstört
und gezeigt haben, wie klein die Zahl der Schuldigen war, bedarf es nur noch
des Hinweises darauf, daß die durch die Schuld irrender Angehörigen schwer
mit Schande und Leid beladnen Familien der bestraften Offiziere wohl aus¬
nahmslos durch die Verdienste jüngrcr Glieder rehabilitiert worden sind. Bei
einer Anzahl dieser Familien fielen Schuld und Sühne in die Lebensgrenzen
der im Jahre 1806 so schwer heimgesuchten. Andre Familien fanden im
Friedensdienst und in den Einigungskriegen Gelegenheit zu voller Sühne.

Ich habe die Namen der Offiziere von 1806, die auf die Vorschläge der
Untersuchungskommission und der Regimentstribunale wegen ihres Verhaltens
bestraft worden sind, soweit sie in dem Werke des Großen Generalstabs an¬
geführt sind, zusammengestellt. Kunhardt von Schmidts "Verzeichniß der im
Befreiungskriege 1813 bis 1815 gefallenen oder an Wunden gestorbenen Offi¬
ziere des aktiven Heeres, welche schon 1806 der Armee angehört hatten", legte
ich daneben. Da ergab es sich, daß, abgesehen von verschiednen Schreibungen
desselben Namens, die keinen sichern Schluß auf die Zusammengehörigkeit der
Träger zulassen, ein bürgerlicher und zehn adlige Namen im Soll und im
Haben vertreten waren. Hier ein irrendes Glied einer Familie, drüben ein,
zwei, drei, vier Glieder derselben Familie, die durch den Tod im Siege ihren
Namen von dem Makel des bösen Jahres gereinigt haben.

Mit der wärmsten Teilnahme an altem, schwerem, wenn auch längst ver-
wundnem Leid nahm ich wahr, daß gerade die Namen, auf denen die schwerste


Das preußische Gffizierkorps von ^3O6 im Lichte neuer Forschungen

So arbeitete diese Vergeltungsmaschine mit furchtbarer Sicherheit in der
Stille, während die Öffentlichkeit noch von lautem Hohn über das Offizier¬
korps erfüllt war. Sie förderte Schuldlosigkeit und Schuld zutage, und zwar
viel mehr Rechtfertigung und Verdienst als Vergehen und Versäumnis. Etwa
6500 Offiziere nahmen an den Kriegsereignissen der Jahre 1806 und 1807
teil, 4600 an den Kämpfen und am Rückzüge der Saalarmee. Von diesen
6500 Offizieren sind bis zum Beginn der Befreiungskriege 208 infolge von
Strafen aus dem Heere ausgeschieden, 77 desertiert oder verschollen. Was
nicht der Tod, Krankheit oder Altersschwäche zurückhielt, wetzte im Jahre 1813
die Scharte von 1806 aus. 3898 von 6500 kämpften in den Befreiungs¬
kriegen. Droysen hat Recht: „Nie hat sich ein Staat aus tieferem Sturz
schneller und stolzer erhoben als Preußen nach dem Tage von Jena."

Die Angriffe auf das Heer sind seit hundert Jahren immer nur vorüber¬
gehend verstummt, die Niederlage von 1806 ist immer wieder als bequemer
und beliebter Vorwurf gegen das Offizierkorps verwandt worden. Das deutsche
Offizierkorps ist jetzt das Ziel des giftigen Hohns, der sich einst gegen das
preußische richtete. Die Ergebnisse der Forschungen Kunhardt von Schmidts und
des Großen Generalstabs müssen darum jedeni, der weiß, was Deutschland dem
preußischen und dem deutschen Offizierkorps verdankt, willkommen und wert sein.

Nachdem diese sorgfältigen Forschungen die Legende von den Offizieren,
die alle ihrer Pflicht vergaßen, die alle hinter der Front waren, zerstört
und gezeigt haben, wie klein die Zahl der Schuldigen war, bedarf es nur noch
des Hinweises darauf, daß die durch die Schuld irrender Angehörigen schwer
mit Schande und Leid beladnen Familien der bestraften Offiziere wohl aus¬
nahmslos durch die Verdienste jüngrcr Glieder rehabilitiert worden sind. Bei
einer Anzahl dieser Familien fielen Schuld und Sühne in die Lebensgrenzen
der im Jahre 1806 so schwer heimgesuchten. Andre Familien fanden im
Friedensdienst und in den Einigungskriegen Gelegenheit zu voller Sühne.

Ich habe die Namen der Offiziere von 1806, die auf die Vorschläge der
Untersuchungskommission und der Regimentstribunale wegen ihres Verhaltens
bestraft worden sind, soweit sie in dem Werke des Großen Generalstabs an¬
geführt sind, zusammengestellt. Kunhardt von Schmidts „Verzeichniß der im
Befreiungskriege 1813 bis 1815 gefallenen oder an Wunden gestorbenen Offi¬
ziere des aktiven Heeres, welche schon 1806 der Armee angehört hatten", legte
ich daneben. Da ergab es sich, daß, abgesehen von verschiednen Schreibungen
desselben Namens, die keinen sichern Schluß auf die Zusammengehörigkeit der
Träger zulassen, ein bürgerlicher und zehn adlige Namen im Soll und im
Haben vertreten waren. Hier ein irrendes Glied einer Familie, drüben ein,
zwei, drei, vier Glieder derselben Familie, die durch den Tod im Siege ihren
Namen von dem Makel des bösen Jahres gereinigt haben.

Mit der wärmsten Teilnahme an altem, schwerem, wenn auch längst ver-
wundnem Leid nahm ich wahr, daß gerade die Namen, auf denen die schwerste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/196>, abgerufen am 23.07.2024.