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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Das preußische Vffizierkorps von ^306 im Lichte neuer Forschungen

Welche sich dem Gefechte entzogen" oder "durch Fahrlässigkeit in ihren Ob¬
liegenheiten den Verlust ihres Postens oder ihres Detachements veranlaßt,
dadurch zu weitergefolgtcn nachtheiligen Ereignissen mitgewirkt haben". Eine
zweite Gruppe bildeten die Offiziere, "welche einen Mangel an Muth gezeigt
und das Gefecht verlassen haben", ferner die, "welche nicht zu den capitulirten
Festungsgarnisonen gehört und nicht zur Vertheidigung mit angestellt waren,
auch nicht durch eine starke Verwundung oder bedeutende Krankheit abgehalten
wurden, ihren Corps und Regimentern zu folgen", sowie die, "welche sich von
rückwärts geschlossenen Capitulationen angeschlossen" oder "zur Rückkehr in die
Heimath sich vom Feinde Pässe geben ließen", obwohl sie zur Armee nach
Preußen kommen konnten, oder "bei der Retraite vorgaben, krank zu sein, in
ihrem Nachtquartier verblieben und solchergestalt spätestens den folgenden
Morgen gefangen waren". Zu dieser Gruppe rechnete man auch die Offiziere,
"welche zum Hohenloheschen und Blücherschen Corps gehörten, nicht von dem¬
selben abgeschnitten waren und nach Preußen gingen". Eine dritte Gruppe
bildeten die Offiziere, die sich ähnlicher Vergehen schuldig gemacht hatten, wie
die zur zweiten Gruppe gehörenden, deren Schuld jedoch durch besondre Um¬
stünde gemildert erschien. Die Feststellung des Schuldmaßes der mit solchen
Vergehen belasteten Offiziere war die Aufgabe der Tribunale.

Die nach dem Urteile dieser Tribunale zur ersten Gruppe gehörenden
Offiziere sollten nach einem Vorschlage der Untersuchungskommission vor ein
Kriegsgericht verwiesen werden. Für die zweite Gruppe schlug die Kommission
"die Entlassung ohne Abschied und mit Verlust der Ansprüche auf irgend eine
Versorgung oder Gnadengehalt" als Strafe vor. Zur Sühne der Schuld der
zur dritten Gruppe gehörenden Offiziere erschien ihr "die Nichtwiederanstellung
im Kriegsdienste" genügend. Den durch die Untersuchung ihres Verhaltens als
vorwurfsfrei erwiesnen Offizieren sollte ein Zeugnis hierüber ausgestellt werden.

Der König war milder als die Untersuchungskommission. Er gab ihren
Vorschlügen nur mit Vorbehalt seine Zustimmung, wies darauf hin, daß bei
allen Gruppen mildernde Umstände in Betracht kommen könnten und in Betracht
Zu ziehen seien, und bezeichnete bei dem Obwalten solcher Umstände auch für
die zweite Gruppe die "Nichtwiederanstellung" als ausreichende Sühne. Die
Ausstellung von "Zeugnissen des Wohlverhaltens" für die Offiziere, die von
der Untersuchungskommission oder von den Regimentstribunalen als untadelhaft
erfunden würden, hieß er gut.

Die Regimentstribunale wurden mit Genehmigung des Königs zuerst von
Generalleutnant von Grawert bei den schlesischen Truppenteilen, dann in
Pommern und in Westpreußen, dann auch jenseits, das heißt links von der
Oder, ferner bei den Artillerieregimentern, bei den Festungsartilleriekompagnien,
bei den Ingenieur- und bei den Mineuroffizieren errichtet. Auch die Train-
und die Lazarettoffiziere sowie die Negimentschirurgen, die Auditeure und die
Regimentsquartiermeister mußten sich über ihr Verhalten ausweisen. Die Ein-


Grenzboten IV 1906 24
Das preußische Vffizierkorps von ^306 im Lichte neuer Forschungen

Welche sich dem Gefechte entzogen" oder „durch Fahrlässigkeit in ihren Ob¬
liegenheiten den Verlust ihres Postens oder ihres Detachements veranlaßt,
dadurch zu weitergefolgtcn nachtheiligen Ereignissen mitgewirkt haben". Eine
zweite Gruppe bildeten die Offiziere, „welche einen Mangel an Muth gezeigt
und das Gefecht verlassen haben", ferner die, „welche nicht zu den capitulirten
Festungsgarnisonen gehört und nicht zur Vertheidigung mit angestellt waren,
auch nicht durch eine starke Verwundung oder bedeutende Krankheit abgehalten
wurden, ihren Corps und Regimentern zu folgen", sowie die, „welche sich von
rückwärts geschlossenen Capitulationen angeschlossen" oder „zur Rückkehr in die
Heimath sich vom Feinde Pässe geben ließen", obwohl sie zur Armee nach
Preußen kommen konnten, oder „bei der Retraite vorgaben, krank zu sein, in
ihrem Nachtquartier verblieben und solchergestalt spätestens den folgenden
Morgen gefangen waren". Zu dieser Gruppe rechnete man auch die Offiziere,
„welche zum Hohenloheschen und Blücherschen Corps gehörten, nicht von dem¬
selben abgeschnitten waren und nach Preußen gingen". Eine dritte Gruppe
bildeten die Offiziere, die sich ähnlicher Vergehen schuldig gemacht hatten, wie
die zur zweiten Gruppe gehörenden, deren Schuld jedoch durch besondre Um¬
stünde gemildert erschien. Die Feststellung des Schuldmaßes der mit solchen
Vergehen belasteten Offiziere war die Aufgabe der Tribunale.

Die nach dem Urteile dieser Tribunale zur ersten Gruppe gehörenden
Offiziere sollten nach einem Vorschlage der Untersuchungskommission vor ein
Kriegsgericht verwiesen werden. Für die zweite Gruppe schlug die Kommission
„die Entlassung ohne Abschied und mit Verlust der Ansprüche auf irgend eine
Versorgung oder Gnadengehalt" als Strafe vor. Zur Sühne der Schuld der
zur dritten Gruppe gehörenden Offiziere erschien ihr „die Nichtwiederanstellung
im Kriegsdienste" genügend. Den durch die Untersuchung ihres Verhaltens als
vorwurfsfrei erwiesnen Offizieren sollte ein Zeugnis hierüber ausgestellt werden.

Der König war milder als die Untersuchungskommission. Er gab ihren
Vorschlügen nur mit Vorbehalt seine Zustimmung, wies darauf hin, daß bei
allen Gruppen mildernde Umstände in Betracht kommen könnten und in Betracht
Zu ziehen seien, und bezeichnete bei dem Obwalten solcher Umstände auch für
die zweite Gruppe die „Nichtwiederanstellung" als ausreichende Sühne. Die
Ausstellung von „Zeugnissen des Wohlverhaltens" für die Offiziere, die von
der Untersuchungskommission oder von den Regimentstribunalen als untadelhaft
erfunden würden, hieß er gut.

Die Regimentstribunale wurden mit Genehmigung des Königs zuerst von
Generalleutnant von Grawert bei den schlesischen Truppenteilen, dann in
Pommern und in Westpreußen, dann auch jenseits, das heißt links von der
Oder, ferner bei den Artillerieregimentern, bei den Festungsartilleriekompagnien,
bei den Ingenieur- und bei den Mineuroffizieren errichtet. Auch die Train-
und die Lazarettoffiziere sowie die Negimentschirurgen, die Auditeure und die
Regimentsquartiermeister mußten sich über ihr Verhalten ausweisen. Die Ein-


Grenzboten IV 1906 24
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/193>, abgerufen am 23.07.2024.