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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Grotzherzog Friedrich von Baden in Versailles

Mittag zwei Uhr stattfinden werde. Der feierliche Hergang ist in vielen
Geschichtsbüchern erzählt. Simsons schöne würdige Ansprache, die vom König
unter tiefer Bewegung vorgetragne Antwort -- als der Flügeladjutant Graf
Lehndorf ihm die Erwiderung überreichte, konnte er zuerst vor Schluchzen die
Worte nicht hervorbringen -- alle diese Momente sind zur Genüge bekannt.

Die in Versailles anwesenden Fürsten und Prinzen, die Generale und die
Staatsmänner waren nach einer erst Vormittags nach dem Gottesdienst getroffnen
Anordnung des Königs bei dem feierlichen Akte zugegen. Das Ereignis sollte
mehr dem Charakter eines häuslichen Festes angepaßt sein, nicht ein Staatsakt,
der bei der Abwesenheit der meisten Fürsten den Schwerpunkt der Wieder¬
aufrichtung der Kaiserwürde in den Reichstag und in die von diesem beschlossene
Adresse verlegt haben würde. Bismarck hatte auch deshalb dafür Sorge getragen,
daß in der Antwort des Königs der Anteil des Reichstags von dem, was
die Fürsten für die Herstellung des Kaisertums in Übereinstimmung in den
Wünschen und Hoffnungen der deutschen Nation und ihrer Vertreter getan
hätten, genau auseinander gehalten blieb. Den persönlichen Empfindungen des
Königs hatte Bismarck durch den Satz Rechnung getragen, daß er die Kaiser¬
krone nicht nach eignem Gefühl und Urteil, sondern aus Pflichtgefühl annehme.
Der König hatte Bismarck, Roon und Moltke, ganz besonders aber den ersten,
nach beendeter Feier mit sichtbarer Freude und Dankbarkeit ausgezeichnet. Prinz
Luitpold von Bayern war der Feierlichkeit fern geblieben, vielleicht in der An¬
nahme, daß es sich nur um einen Akt handle, der das Verhältnis des Königs
von Preußen zum Reichstage des Norddeutschen Bundes berühre. Aber sein
Fernbleiben wurde um so mehr bemerkt, als der Antrag seines Königs sowie
dessen Mitteilung von der Zustimmung aller deutschen Fürsten doch die eigent¬
liche Grundlage der Feier bildeten.

Noch in der Nacht zuvor hatten dem König nahestehende Fürsten Mühe
gehabt, ihn zur Erteilung der gewünschten Antwort zu bewegen. Mit tränenden
Augen sprach er sich nach dem offiziellen Akt über die Schwere des Moments
gegen seine Generale aus, wie Roon in den Briefen an die Seinigen mitteilt.
Roon schreibt darin sehr hübsch: "Weil Sieg und Niederlage nach Gottes
Willen erfolgt, fo erblicke ich in dieser neusten Entwicklungsphase unsrer deutschen
Geschichte den unverkennbaren Finger Gottes und halte jede andre, auf Eitel¬
keit und Hochmut basierte Auffassung für frevelhaft, das auf preußisch-partiku-
laristischer Sentimentalität beruhende Streben aber für unberechtigt." An einer
andern Stelle: "Sehr gehoben war der Kronprinz, der sich bei Bismarck und
dann bei mir ausdrücklich für das Gewordne bedankte." Nach der großen
Tafel, an der alle Fürsten und Deputierten teilnahmen, hatte der Großherzog
Friedrich ein längeres Gespräch mit Roon, den er Abends noch in seinem
Quartier aufsuchte, um die Unterredung fortzusetzen. Roon bemerkt dazu:
"Ich bin von seiner Aufrichtigkeit überzeugt, wenn er mir in allen mich be¬
trübenden vorangegangnen Differenzen zustimmt und seine Unterstützung zu-


Grotzherzog Friedrich von Baden in Versailles

Mittag zwei Uhr stattfinden werde. Der feierliche Hergang ist in vielen
Geschichtsbüchern erzählt. Simsons schöne würdige Ansprache, die vom König
unter tiefer Bewegung vorgetragne Antwort — als der Flügeladjutant Graf
Lehndorf ihm die Erwiderung überreichte, konnte er zuerst vor Schluchzen die
Worte nicht hervorbringen — alle diese Momente sind zur Genüge bekannt.

Die in Versailles anwesenden Fürsten und Prinzen, die Generale und die
Staatsmänner waren nach einer erst Vormittags nach dem Gottesdienst getroffnen
Anordnung des Königs bei dem feierlichen Akte zugegen. Das Ereignis sollte
mehr dem Charakter eines häuslichen Festes angepaßt sein, nicht ein Staatsakt,
der bei der Abwesenheit der meisten Fürsten den Schwerpunkt der Wieder¬
aufrichtung der Kaiserwürde in den Reichstag und in die von diesem beschlossene
Adresse verlegt haben würde. Bismarck hatte auch deshalb dafür Sorge getragen,
daß in der Antwort des Königs der Anteil des Reichstags von dem, was
die Fürsten für die Herstellung des Kaisertums in Übereinstimmung in den
Wünschen und Hoffnungen der deutschen Nation und ihrer Vertreter getan
hätten, genau auseinander gehalten blieb. Den persönlichen Empfindungen des
Königs hatte Bismarck durch den Satz Rechnung getragen, daß er die Kaiser¬
krone nicht nach eignem Gefühl und Urteil, sondern aus Pflichtgefühl annehme.
Der König hatte Bismarck, Roon und Moltke, ganz besonders aber den ersten,
nach beendeter Feier mit sichtbarer Freude und Dankbarkeit ausgezeichnet. Prinz
Luitpold von Bayern war der Feierlichkeit fern geblieben, vielleicht in der An¬
nahme, daß es sich nur um einen Akt handle, der das Verhältnis des Königs
von Preußen zum Reichstage des Norddeutschen Bundes berühre. Aber sein
Fernbleiben wurde um so mehr bemerkt, als der Antrag seines Königs sowie
dessen Mitteilung von der Zustimmung aller deutschen Fürsten doch die eigent¬
liche Grundlage der Feier bildeten.

Noch in der Nacht zuvor hatten dem König nahestehende Fürsten Mühe
gehabt, ihn zur Erteilung der gewünschten Antwort zu bewegen. Mit tränenden
Augen sprach er sich nach dem offiziellen Akt über die Schwere des Moments
gegen seine Generale aus, wie Roon in den Briefen an die Seinigen mitteilt.
Roon schreibt darin sehr hübsch: „Weil Sieg und Niederlage nach Gottes
Willen erfolgt, fo erblicke ich in dieser neusten Entwicklungsphase unsrer deutschen
Geschichte den unverkennbaren Finger Gottes und halte jede andre, auf Eitel¬
keit und Hochmut basierte Auffassung für frevelhaft, das auf preußisch-partiku-
laristischer Sentimentalität beruhende Streben aber für unberechtigt." An einer
andern Stelle: „Sehr gehoben war der Kronprinz, der sich bei Bismarck und
dann bei mir ausdrücklich für das Gewordne bedankte." Nach der großen
Tafel, an der alle Fürsten und Deputierten teilnahmen, hatte der Großherzog
Friedrich ein längeres Gespräch mit Roon, den er Abends noch in seinem
Quartier aufsuchte, um die Unterredung fortzusetzen. Roon bemerkt dazu:
„Ich bin von seiner Aufrichtigkeit überzeugt, wenn er mir in allen mich be¬
trübenden vorangegangnen Differenzen zustimmt und seine Unterstützung zu-


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[0160] Grotzherzog Friedrich von Baden in Versailles Mittag zwei Uhr stattfinden werde. Der feierliche Hergang ist in vielen Geschichtsbüchern erzählt. Simsons schöne würdige Ansprache, die vom König unter tiefer Bewegung vorgetragne Antwort — als der Flügeladjutant Graf Lehndorf ihm die Erwiderung überreichte, konnte er zuerst vor Schluchzen die Worte nicht hervorbringen — alle diese Momente sind zur Genüge bekannt. Die in Versailles anwesenden Fürsten und Prinzen, die Generale und die Staatsmänner waren nach einer erst Vormittags nach dem Gottesdienst getroffnen Anordnung des Königs bei dem feierlichen Akte zugegen. Das Ereignis sollte mehr dem Charakter eines häuslichen Festes angepaßt sein, nicht ein Staatsakt, der bei der Abwesenheit der meisten Fürsten den Schwerpunkt der Wieder¬ aufrichtung der Kaiserwürde in den Reichstag und in die von diesem beschlossene Adresse verlegt haben würde. Bismarck hatte auch deshalb dafür Sorge getragen, daß in der Antwort des Königs der Anteil des Reichstags von dem, was die Fürsten für die Herstellung des Kaisertums in Übereinstimmung in den Wünschen und Hoffnungen der deutschen Nation und ihrer Vertreter getan hätten, genau auseinander gehalten blieb. Den persönlichen Empfindungen des Königs hatte Bismarck durch den Satz Rechnung getragen, daß er die Kaiser¬ krone nicht nach eignem Gefühl und Urteil, sondern aus Pflichtgefühl annehme. Der König hatte Bismarck, Roon und Moltke, ganz besonders aber den ersten, nach beendeter Feier mit sichtbarer Freude und Dankbarkeit ausgezeichnet. Prinz Luitpold von Bayern war der Feierlichkeit fern geblieben, vielleicht in der An¬ nahme, daß es sich nur um einen Akt handle, der das Verhältnis des Königs von Preußen zum Reichstage des Norddeutschen Bundes berühre. Aber sein Fernbleiben wurde um so mehr bemerkt, als der Antrag seines Königs sowie dessen Mitteilung von der Zustimmung aller deutschen Fürsten doch die eigent¬ liche Grundlage der Feier bildeten. Noch in der Nacht zuvor hatten dem König nahestehende Fürsten Mühe gehabt, ihn zur Erteilung der gewünschten Antwort zu bewegen. Mit tränenden Augen sprach er sich nach dem offiziellen Akt über die Schwere des Moments gegen seine Generale aus, wie Roon in den Briefen an die Seinigen mitteilt. Roon schreibt darin sehr hübsch: „Weil Sieg und Niederlage nach Gottes Willen erfolgt, fo erblicke ich in dieser neusten Entwicklungsphase unsrer deutschen Geschichte den unverkennbaren Finger Gottes und halte jede andre, auf Eitel¬ keit und Hochmut basierte Auffassung für frevelhaft, das auf preußisch-partiku- laristischer Sentimentalität beruhende Streben aber für unberechtigt." An einer andern Stelle: „Sehr gehoben war der Kronprinz, der sich bei Bismarck und dann bei mir ausdrücklich für das Gewordne bedankte." Nach der großen Tafel, an der alle Fürsten und Deputierten teilnahmen, hatte der Großherzog Friedrich ein längeres Gespräch mit Roon, den er Abends noch in seinem Quartier aufsuchte, um die Unterredung fortzusetzen. Roon bemerkt dazu: „Ich bin von seiner Aufrichtigkeit überzeugt, wenn er mir in allen mich be¬ trübenden vorangegangnen Differenzen zustimmt und seine Unterstützung zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/160>, abgerufen am 23.07.2024.