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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Zur Iustizreform

und schwierige Aufgabe gelöst haben. Unter der Herrschaft des neuen Rechts
entwickeln die Diener der Themis eine in dem Maße früher nie gekannte lite¬
rarische Fruchtbarkeit. Die mehr oder minder abfälligen Urteile über die Rechts¬
pflege sind vielmehr auf das Zusammenwirken einer Reihe sachlicher Umstünde
zurückzuführen. Daß die richterliche Tätigkeit, die sich zum großen Teile in
dem vollen Lichte der Öffentlichkeit abspielt, einer fortwährenden Kritik aus¬
gesetzt ist, liegt in der Natur der Sache und gereicht ihr, sofern die Kritik objektiv
ist, mehr zum Vorteil als zum Schaden. Daß aber die Kritik in manchen
Fällen nicht objektiv, geschweige denn wohlwollend gesinnt ist, erscheint ebenso
einleuchtend. Man denke nur an die Angeklagten, die verurteilt worden sind,
an die Parteien und deren Vertreter, die unterlegen sind, an die Zeugen, deren
Zunge im Interesse der Wahrheit gelöst oder gehütet werden mußte, endlich
an die Sachverständigen, deren Gutachten keine Anerkennung gefunden hat.
Allen diesen Leuten hieße fast Übermenschliches zumuten, wemi man von ihnen
unter Verleugnung ihrer Person oder wichtiger Interessen eine objektive Beur¬
teilung richterlicher Tätigkeit erwarten wollte. Aber auch die Kritik der Kreise,
die an der Rechtsprechung nicht unmittelbar beteiligt sind, ist keineswegs immer
eine objektive und sachkundige. Zu einer sachkundigen Kritik gehört die genaue
und vollständige Kenntnis des Tatbestandes und der einschlagenden, vielfach
komplizierten und dem Laien kaum verständlichen Gesetzesbestimmungen. Je mehr
das Urteil des Kritikers durch Mangel an Sachkenntnis getrübt und je geringer
sein Verantwortlichkeitsgefühl ist, um so absprechender und vernichtender füllt
oftmals die Kritik aus. Auch die Urteile der Tagespresse über die Rechtspflege
erfreuen sich keineswegs immer der notwendigen Zuverlässigkeit, insbesondre nicht
immer der notwendigen Objektivität. Aber nicht bloß aus Laienkreisen stammen
die Klagen. Kein geringerer als der Oberlandesgerichtspräsident a. D. Dr. Hamm
hat das Wort "Weltfremd!)eit der Richter" geprägt, um damit die den An¬
forderungen des Lebens nicht entsprechende Richtung der Rechtsprechung zu kenn¬
zeichnen. Die Weltfremdheit der Richter ist nachgerade zu einem geflügelten
Wort geworden. Auch der dem Nichterstcmde sonst wohlgesinnte Oberbürger¬
meister Dr. Adickes klagt hierüber in der Deutschen Juristenzeitung 1906
Seite 502 ff. wie folgt: '

"Dabei ist es nur natürlich, daß die durch die Gemeinsamkeit der Berufs¬
interessen verbundnen Richter regelmäßig nur in engem und begrenztem Umkreise
Gelegenheit zum Erwerb von Menschen-, Verkehrs- und Geschäftskenntnis haben
können, zumal sie amtlich nur in der Lage sind, von oben herab auf die wirt¬
schaftlich arbeitenden Kreise herniederzusehen, ohne sich in ihre Stimmungen und
die Beweggründe ihrer Entschließungen und Handlungen hineinversetzen zu
können. Daher stammt die Weltfremdheit, die der Begabte zwar in erheblichem
Maße überwinden, der Mann des Mittelmaßes aber vergeblich bekämpfen wird."

Wenn man von Weltfremdheit der Richter hört, so kann man auf den
Gedanken kommen, die Richter seien auf einer einsamen, entlegnen Insel geboren,


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und schwierige Aufgabe gelöst haben. Unter der Herrschaft des neuen Rechts
entwickeln die Diener der Themis eine in dem Maße früher nie gekannte lite¬
rarische Fruchtbarkeit. Die mehr oder minder abfälligen Urteile über die Rechts¬
pflege sind vielmehr auf das Zusammenwirken einer Reihe sachlicher Umstünde
zurückzuführen. Daß die richterliche Tätigkeit, die sich zum großen Teile in
dem vollen Lichte der Öffentlichkeit abspielt, einer fortwährenden Kritik aus¬
gesetzt ist, liegt in der Natur der Sache und gereicht ihr, sofern die Kritik objektiv
ist, mehr zum Vorteil als zum Schaden. Daß aber die Kritik in manchen
Fällen nicht objektiv, geschweige denn wohlwollend gesinnt ist, erscheint ebenso
einleuchtend. Man denke nur an die Angeklagten, die verurteilt worden sind,
an die Parteien und deren Vertreter, die unterlegen sind, an die Zeugen, deren
Zunge im Interesse der Wahrheit gelöst oder gehütet werden mußte, endlich
an die Sachverständigen, deren Gutachten keine Anerkennung gefunden hat.
Allen diesen Leuten hieße fast Übermenschliches zumuten, wemi man von ihnen
unter Verleugnung ihrer Person oder wichtiger Interessen eine objektive Beur¬
teilung richterlicher Tätigkeit erwarten wollte. Aber auch die Kritik der Kreise,
die an der Rechtsprechung nicht unmittelbar beteiligt sind, ist keineswegs immer
eine objektive und sachkundige. Zu einer sachkundigen Kritik gehört die genaue
und vollständige Kenntnis des Tatbestandes und der einschlagenden, vielfach
komplizierten und dem Laien kaum verständlichen Gesetzesbestimmungen. Je mehr
das Urteil des Kritikers durch Mangel an Sachkenntnis getrübt und je geringer
sein Verantwortlichkeitsgefühl ist, um so absprechender und vernichtender füllt
oftmals die Kritik aus. Auch die Urteile der Tagespresse über die Rechtspflege
erfreuen sich keineswegs immer der notwendigen Zuverlässigkeit, insbesondre nicht
immer der notwendigen Objektivität. Aber nicht bloß aus Laienkreisen stammen
die Klagen. Kein geringerer als der Oberlandesgerichtspräsident a. D. Dr. Hamm
hat das Wort „Weltfremd!)eit der Richter" geprägt, um damit die den An¬
forderungen des Lebens nicht entsprechende Richtung der Rechtsprechung zu kenn¬
zeichnen. Die Weltfremdheit der Richter ist nachgerade zu einem geflügelten
Wort geworden. Auch der dem Nichterstcmde sonst wohlgesinnte Oberbürger¬
meister Dr. Adickes klagt hierüber in der Deutschen Juristenzeitung 1906
Seite 502 ff. wie folgt: '

„Dabei ist es nur natürlich, daß die durch die Gemeinsamkeit der Berufs¬
interessen verbundnen Richter regelmäßig nur in engem und begrenztem Umkreise
Gelegenheit zum Erwerb von Menschen-, Verkehrs- und Geschäftskenntnis haben
können, zumal sie amtlich nur in der Lage sind, von oben herab auf die wirt¬
schaftlich arbeitenden Kreise herniederzusehen, ohne sich in ihre Stimmungen und
die Beweggründe ihrer Entschließungen und Handlungen hineinversetzen zu
können. Daher stammt die Weltfremdheit, die der Begabte zwar in erheblichem
Maße überwinden, der Mann des Mittelmaßes aber vergeblich bekämpfen wird."

Wenn man von Weltfremdheit der Richter hört, so kann man auf den
Gedanken kommen, die Richter seien auf einer einsamen, entlegnen Insel geboren,


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[0138] Zur Iustizreform und schwierige Aufgabe gelöst haben. Unter der Herrschaft des neuen Rechts entwickeln die Diener der Themis eine in dem Maße früher nie gekannte lite¬ rarische Fruchtbarkeit. Die mehr oder minder abfälligen Urteile über die Rechts¬ pflege sind vielmehr auf das Zusammenwirken einer Reihe sachlicher Umstünde zurückzuführen. Daß die richterliche Tätigkeit, die sich zum großen Teile in dem vollen Lichte der Öffentlichkeit abspielt, einer fortwährenden Kritik aus¬ gesetzt ist, liegt in der Natur der Sache und gereicht ihr, sofern die Kritik objektiv ist, mehr zum Vorteil als zum Schaden. Daß aber die Kritik in manchen Fällen nicht objektiv, geschweige denn wohlwollend gesinnt ist, erscheint ebenso einleuchtend. Man denke nur an die Angeklagten, die verurteilt worden sind, an die Parteien und deren Vertreter, die unterlegen sind, an die Zeugen, deren Zunge im Interesse der Wahrheit gelöst oder gehütet werden mußte, endlich an die Sachverständigen, deren Gutachten keine Anerkennung gefunden hat. Allen diesen Leuten hieße fast Übermenschliches zumuten, wemi man von ihnen unter Verleugnung ihrer Person oder wichtiger Interessen eine objektive Beur¬ teilung richterlicher Tätigkeit erwarten wollte. Aber auch die Kritik der Kreise, die an der Rechtsprechung nicht unmittelbar beteiligt sind, ist keineswegs immer eine objektive und sachkundige. Zu einer sachkundigen Kritik gehört die genaue und vollständige Kenntnis des Tatbestandes und der einschlagenden, vielfach komplizierten und dem Laien kaum verständlichen Gesetzesbestimmungen. Je mehr das Urteil des Kritikers durch Mangel an Sachkenntnis getrübt und je geringer sein Verantwortlichkeitsgefühl ist, um so absprechender und vernichtender füllt oftmals die Kritik aus. Auch die Urteile der Tagespresse über die Rechtspflege erfreuen sich keineswegs immer der notwendigen Zuverlässigkeit, insbesondre nicht immer der notwendigen Objektivität. Aber nicht bloß aus Laienkreisen stammen die Klagen. Kein geringerer als der Oberlandesgerichtspräsident a. D. Dr. Hamm hat das Wort „Weltfremd!)eit der Richter" geprägt, um damit die den An¬ forderungen des Lebens nicht entsprechende Richtung der Rechtsprechung zu kenn¬ zeichnen. Die Weltfremdheit der Richter ist nachgerade zu einem geflügelten Wort geworden. Auch der dem Nichterstcmde sonst wohlgesinnte Oberbürger¬ meister Dr. Adickes klagt hierüber in der Deutschen Juristenzeitung 1906 Seite 502 ff. wie folgt: ' „Dabei ist es nur natürlich, daß die durch die Gemeinsamkeit der Berufs¬ interessen verbundnen Richter regelmäßig nur in engem und begrenztem Umkreise Gelegenheit zum Erwerb von Menschen-, Verkehrs- und Geschäftskenntnis haben können, zumal sie amtlich nur in der Lage sind, von oben herab auf die wirt¬ schaftlich arbeitenden Kreise herniederzusehen, ohne sich in ihre Stimmungen und die Beweggründe ihrer Entschließungen und Handlungen hineinversetzen zu können. Daher stammt die Weltfremdheit, die der Begabte zwar in erheblichem Maße überwinden, der Mann des Mittelmaßes aber vergeblich bekämpfen wird." Wenn man von Weltfremdheit der Richter hört, so kann man auf den Gedanken kommen, die Richter seien auf einer einsamen, entlegnen Insel geboren,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/138>, abgerufen am 25.08.2024.