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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Russische Briefe

Auslandes wegen gehalten. Herren des Landes aber waren der reaktionäre
Minister des Innern, Durnowo, und die Sozialisten.




Die ersten Folgen dieser Politik machten sich bei dem jungen "Verbände
vom 17. Oktober" bemerkbar. Wie sein Name schon andeutet, begründet der
Verband sein politisches Aktionsprogramm auf den im Manifest vom Zaren
zur Verfügung gestellten Freiheiten. Seine Schöpfer waren jene 27 Sjemstwo-
männer, die im November 1904 für die kürzere Form des Z 10 gestimmt hatten,
mit den schon genannten Dmitri Nikolajcwitsch und Alexander Graf Heyden
an der Spitze. Sie wollten eine bürgerliche Organisation schaffen, keine poli¬
tische Partei, um die Wahl gemäßigter, arbeitstüchtiger Abgeordneten in die
erste Duma zu ermöglichen. Die erste Duma sollte befähigt sein, den republi¬
kanischen Ansprüchen der Sozialisten wie den reaktionären Tendenzen der "alt¬
russischen Männer" entgegenzutreten. In dem Programm des Verbandes war
jedoch ein schwerwiegender Fehler. Die Frage, ob die Selbstherrschaft bei¬
behalten werden sollte oder nicht, war offen gelassen worden; man wollte
ihre Beantwortung der Volksvertretung überlassen. Schuldig an dieser Unter¬
lassung waren die liberalen Slavjanophilen. Dadurch wurde nämlich die Grenze
zwischen den Absolutisten und den Konstitutionalisten von vornherein verwischt,
und dem Verbände strömten mit der "Partei der Rechtsordnung" und der
"Handelspartei" ausgesprochen reaktionäre Elemente zu. Auf der andern Seite
grenzte sich der Verband scharf nach links ab. Dagegen wäre an sich nichts
einzuwenden gewesen, wenn die Regierung ein ehrliches Bündnis mit dein Ver¬
bände eingegangen und kraftvoll aufgetreten wäre. So aber war es ein tak¬
tischer Fehler auch gegenüber den linksstehenden Gruppen. Denn die Oswo-
boshdjence wurde durch den Abstrom gemäßigter Elemente organisch nur noch
empfänglicher für den Einfluß der Radikalen. Unter diesen Verhältnissen war
es für die seit dem Spätherbst in die "Konstitutionell demokratische Partei" um¬
gewandelten Oswoboshdjenee nicht schwer, ihrerseits den Verband als reaktionär
anzuschwärzen. Der Verband wurde bei den Wahlen von vereinigten Kadetten
und Sozialisten auf der ganze" Linie geschlagen.

Die Siege der konstitutionellen Demokraten oder "Kadetten", wie sie im
Volksmunde hießen, waren jedoch problematisch. Ihre anch bei den Wahlen
befolgte Taktik, sich auf die revolutionären Kreise im Lande zu stützen, sich
dagegen nach rechts scharf abzuschließen, untergrub ihre eigne Macht. Ihr
Programm war für wahre Vertreter des Bürgertums eine Ungeheuerlichkeit.
Mit Hilfe der an sich ausgezeichneten Kadettenorganisation wurden so viele
Sozialrevolutionäre, Sozialdemokraten und Anarchisten in die Duma gewählt,
daß sie, als Arbeitsgruppe vereinigt, die tatsächliche Mehrheit im Parlament
bildeten. Die Kadetten wurden aber zum ausführenden Organ dieser unge¬
bildeten Gesellschaft herabgedrückt. Leider sind sich die Kadetten des Beschämenden


Russische Briefe

Auslandes wegen gehalten. Herren des Landes aber waren der reaktionäre
Minister des Innern, Durnowo, und die Sozialisten.




Die ersten Folgen dieser Politik machten sich bei dem jungen „Verbände
vom 17. Oktober" bemerkbar. Wie sein Name schon andeutet, begründet der
Verband sein politisches Aktionsprogramm auf den im Manifest vom Zaren
zur Verfügung gestellten Freiheiten. Seine Schöpfer waren jene 27 Sjemstwo-
männer, die im November 1904 für die kürzere Form des Z 10 gestimmt hatten,
mit den schon genannten Dmitri Nikolajcwitsch und Alexander Graf Heyden
an der Spitze. Sie wollten eine bürgerliche Organisation schaffen, keine poli¬
tische Partei, um die Wahl gemäßigter, arbeitstüchtiger Abgeordneten in die
erste Duma zu ermöglichen. Die erste Duma sollte befähigt sein, den republi¬
kanischen Ansprüchen der Sozialisten wie den reaktionären Tendenzen der „alt¬
russischen Männer" entgegenzutreten. In dem Programm des Verbandes war
jedoch ein schwerwiegender Fehler. Die Frage, ob die Selbstherrschaft bei¬
behalten werden sollte oder nicht, war offen gelassen worden; man wollte
ihre Beantwortung der Volksvertretung überlassen. Schuldig an dieser Unter¬
lassung waren die liberalen Slavjanophilen. Dadurch wurde nämlich die Grenze
zwischen den Absolutisten und den Konstitutionalisten von vornherein verwischt,
und dem Verbände strömten mit der „Partei der Rechtsordnung" und der
„Handelspartei" ausgesprochen reaktionäre Elemente zu. Auf der andern Seite
grenzte sich der Verband scharf nach links ab. Dagegen wäre an sich nichts
einzuwenden gewesen, wenn die Regierung ein ehrliches Bündnis mit dein Ver¬
bände eingegangen und kraftvoll aufgetreten wäre. So aber war es ein tak¬
tischer Fehler auch gegenüber den linksstehenden Gruppen. Denn die Oswo-
boshdjence wurde durch den Abstrom gemäßigter Elemente organisch nur noch
empfänglicher für den Einfluß der Radikalen. Unter diesen Verhältnissen war
es für die seit dem Spätherbst in die „Konstitutionell demokratische Partei" um¬
gewandelten Oswoboshdjenee nicht schwer, ihrerseits den Verband als reaktionär
anzuschwärzen. Der Verband wurde bei den Wahlen von vereinigten Kadetten
und Sozialisten auf der ganze» Linie geschlagen.

Die Siege der konstitutionellen Demokraten oder „Kadetten", wie sie im
Volksmunde hießen, waren jedoch problematisch. Ihre anch bei den Wahlen
befolgte Taktik, sich auf die revolutionären Kreise im Lande zu stützen, sich
dagegen nach rechts scharf abzuschließen, untergrub ihre eigne Macht. Ihr
Programm war für wahre Vertreter des Bürgertums eine Ungeheuerlichkeit.
Mit Hilfe der an sich ausgezeichneten Kadettenorganisation wurden so viele
Sozialrevolutionäre, Sozialdemokraten und Anarchisten in die Duma gewählt,
daß sie, als Arbeitsgruppe vereinigt, die tatsächliche Mehrheit im Parlament
bildeten. Die Kadetten wurden aber zum ausführenden Organ dieser unge¬
bildeten Gesellschaft herabgedrückt. Leider sind sich die Kadetten des Beschämenden


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[0135] Russische Briefe Auslandes wegen gehalten. Herren des Landes aber waren der reaktionäre Minister des Innern, Durnowo, und die Sozialisten. Die ersten Folgen dieser Politik machten sich bei dem jungen „Verbände vom 17. Oktober" bemerkbar. Wie sein Name schon andeutet, begründet der Verband sein politisches Aktionsprogramm auf den im Manifest vom Zaren zur Verfügung gestellten Freiheiten. Seine Schöpfer waren jene 27 Sjemstwo- männer, die im November 1904 für die kürzere Form des Z 10 gestimmt hatten, mit den schon genannten Dmitri Nikolajcwitsch und Alexander Graf Heyden an der Spitze. Sie wollten eine bürgerliche Organisation schaffen, keine poli¬ tische Partei, um die Wahl gemäßigter, arbeitstüchtiger Abgeordneten in die erste Duma zu ermöglichen. Die erste Duma sollte befähigt sein, den republi¬ kanischen Ansprüchen der Sozialisten wie den reaktionären Tendenzen der „alt¬ russischen Männer" entgegenzutreten. In dem Programm des Verbandes war jedoch ein schwerwiegender Fehler. Die Frage, ob die Selbstherrschaft bei¬ behalten werden sollte oder nicht, war offen gelassen worden; man wollte ihre Beantwortung der Volksvertretung überlassen. Schuldig an dieser Unter¬ lassung waren die liberalen Slavjanophilen. Dadurch wurde nämlich die Grenze zwischen den Absolutisten und den Konstitutionalisten von vornherein verwischt, und dem Verbände strömten mit der „Partei der Rechtsordnung" und der „Handelspartei" ausgesprochen reaktionäre Elemente zu. Auf der andern Seite grenzte sich der Verband scharf nach links ab. Dagegen wäre an sich nichts einzuwenden gewesen, wenn die Regierung ein ehrliches Bündnis mit dein Ver¬ bände eingegangen und kraftvoll aufgetreten wäre. So aber war es ein tak¬ tischer Fehler auch gegenüber den linksstehenden Gruppen. Denn die Oswo- boshdjence wurde durch den Abstrom gemäßigter Elemente organisch nur noch empfänglicher für den Einfluß der Radikalen. Unter diesen Verhältnissen war es für die seit dem Spätherbst in die „Konstitutionell demokratische Partei" um¬ gewandelten Oswoboshdjenee nicht schwer, ihrerseits den Verband als reaktionär anzuschwärzen. Der Verband wurde bei den Wahlen von vereinigten Kadetten und Sozialisten auf der ganze» Linie geschlagen. Die Siege der konstitutionellen Demokraten oder „Kadetten", wie sie im Volksmunde hießen, waren jedoch problematisch. Ihre anch bei den Wahlen befolgte Taktik, sich auf die revolutionären Kreise im Lande zu stützen, sich dagegen nach rechts scharf abzuschließen, untergrub ihre eigne Macht. Ihr Programm war für wahre Vertreter des Bürgertums eine Ungeheuerlichkeit. Mit Hilfe der an sich ausgezeichneten Kadettenorganisation wurden so viele Sozialrevolutionäre, Sozialdemokraten und Anarchisten in die Duma gewählt, daß sie, als Arbeitsgruppe vereinigt, die tatsächliche Mehrheit im Parlament bildeten. Die Kadetten wurden aber zum ausführenden Organ dieser unge¬ bildeten Gesellschaft herabgedrückt. Leider sind sich die Kadetten des Beschämenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/135>, abgerufen am 23.07.2024.