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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Christliche Liebestätigkeit

nur an jenes eine Kind, das dort Hilfe fand, und denken wir an ein aus
dem Gefängnis entlassenes Mädchen, das vor der Rückkehr auf Wege der
Sünde und des Verderbens behütet worden ist, oder an eine hilflose arme
Kranke oder an einen Heiden, wie sie ohne die barmherzige christliche Liebe
elend zugrunde gegangen wären und durch diese Liebe gerettet sind! Und
denken wir nun an die großen Zahlen derer, die sich haben helfen lassen, dann
werden all die Mühen, die darauf verwandt worden sind, alle die Opfer, die
dafür gebracht worden sind, schon hierdurch allein reich belohnt erscheinen.

Aber bei der "innern Mission", deren Herold ja Wiehern geworden ist, hat
es sich von Anfang an keineswegs bloß um Einzelhilfen gehandelt. Erreicht
ist vielmehr zweitens: eine die weitesten Gebiete menschlichen Lebens um¬
fassende Organisation zur Hilfe. Es ist nicht meine Aufgabe, diese Organisation
hier auch nur auszugsweise darzustellen. Es kann dazu verwiesen werden
auf die "Statistik der Innern Mission der deutschen evangelischen Kirche",
bearbeitet und herausgegeben vom Zentralausschuß für innere Mission (im
Buchhandel 4 Mark). Dieses Werk, das auf 452 Seiten eine Fülle des
reichsten Stoffes in höchst übersichtlicher Form darbietet, gibt allein schon
Zeugnis genug von der Leistungsfähigkeit der innern Mission. Hier sei nur
auf einzelnes hingewiesen: auf die Diakonissenhüuser des Kaiserswerther Ver¬
bandes mit ihren 14000 Schwestern, der Kerntruppe der innern Mission; auf
die vielverzweigte und breite Schichten des Volkes heranziehende Arbeit der
vaterländischen Frauenvereine, die aus den Anregungen der Kriege und aus
den Bestrebungen unsers Königlichen Hauses die stärkste Förderung empfangen
hat, wie denn die Mitarbeit preußischer Königinnen an diesem Gebiet noch
eine besondre Würdigung verdiente. Mit den sonstigen an Zahl ebenfalls
sehr bedeutenden Schwesternschaften, die nicht zum Kaiserswerther Verband
gehören, nenne ich den Diakvnieverein, dessen Hauptgedanke ist, Gelegenheit
und Ausbildung zu schaffen für weibliche Berufstätigkeit und Berufstüchtig¬
keit. Es ist hier eine Beantwortung der Frage angestrebt, an die beim
Beginn der christlichen Liebestätigkeit Amalie Sieveking in Hamburg ihr Leben
gesetzt hat: "Muß das Leben eines Mädchens, das sich nicht verheiratet,
wirklich ein verfehltes und armes sein?" Möge nur diese Frage auch in der
Gegenwart immer so tüchtig, so weiblich, so christlich-sittlich beantwortet
werden, wie es bei dieser Bahnbrecherin christlicher Frauenfreiheit geschah,
und nie beschränkt werden auf die Erlangung eines Diploms und bloßen Brot¬
erwerbs.

Neben diesen Anstalten und Vereinen aber steht die ganze Fülle der
freien Liebestätigkeit, zu der insbesondre die Diakonissenhäuser immer wieder
in einer wahrhaft großartigen und hochherzigen Weise die Hand gereicht haben
zum Beispiel in der Ausbildung "freier Hilfsschwestern", die für die empfangn"
Ausbildung keine andre Verpflichtung übernehmen als die, irgendwie in ihrem
Kreise Liebestätigkeit zu üben. Auf die Jungfrauenvereine mit 84000, d:e


Christliche Liebestätigkeit

nur an jenes eine Kind, das dort Hilfe fand, und denken wir an ein aus
dem Gefängnis entlassenes Mädchen, das vor der Rückkehr auf Wege der
Sünde und des Verderbens behütet worden ist, oder an eine hilflose arme
Kranke oder an einen Heiden, wie sie ohne die barmherzige christliche Liebe
elend zugrunde gegangen wären und durch diese Liebe gerettet sind! Und
denken wir nun an die großen Zahlen derer, die sich haben helfen lassen, dann
werden all die Mühen, die darauf verwandt worden sind, alle die Opfer, die
dafür gebracht worden sind, schon hierdurch allein reich belohnt erscheinen.

Aber bei der „innern Mission", deren Herold ja Wiehern geworden ist, hat
es sich von Anfang an keineswegs bloß um Einzelhilfen gehandelt. Erreicht
ist vielmehr zweitens: eine die weitesten Gebiete menschlichen Lebens um¬
fassende Organisation zur Hilfe. Es ist nicht meine Aufgabe, diese Organisation
hier auch nur auszugsweise darzustellen. Es kann dazu verwiesen werden
auf die „Statistik der Innern Mission der deutschen evangelischen Kirche",
bearbeitet und herausgegeben vom Zentralausschuß für innere Mission (im
Buchhandel 4 Mark). Dieses Werk, das auf 452 Seiten eine Fülle des
reichsten Stoffes in höchst übersichtlicher Form darbietet, gibt allein schon
Zeugnis genug von der Leistungsfähigkeit der innern Mission. Hier sei nur
auf einzelnes hingewiesen: auf die Diakonissenhüuser des Kaiserswerther Ver¬
bandes mit ihren 14000 Schwestern, der Kerntruppe der innern Mission; auf
die vielverzweigte und breite Schichten des Volkes heranziehende Arbeit der
vaterländischen Frauenvereine, die aus den Anregungen der Kriege und aus
den Bestrebungen unsers Königlichen Hauses die stärkste Förderung empfangen
hat, wie denn die Mitarbeit preußischer Königinnen an diesem Gebiet noch
eine besondre Würdigung verdiente. Mit den sonstigen an Zahl ebenfalls
sehr bedeutenden Schwesternschaften, die nicht zum Kaiserswerther Verband
gehören, nenne ich den Diakvnieverein, dessen Hauptgedanke ist, Gelegenheit
und Ausbildung zu schaffen für weibliche Berufstätigkeit und Berufstüchtig¬
keit. Es ist hier eine Beantwortung der Frage angestrebt, an die beim
Beginn der christlichen Liebestätigkeit Amalie Sieveking in Hamburg ihr Leben
gesetzt hat: „Muß das Leben eines Mädchens, das sich nicht verheiratet,
wirklich ein verfehltes und armes sein?" Möge nur diese Frage auch in der
Gegenwart immer so tüchtig, so weiblich, so christlich-sittlich beantwortet
werden, wie es bei dieser Bahnbrecherin christlicher Frauenfreiheit geschah,
und nie beschränkt werden auf die Erlangung eines Diploms und bloßen Brot¬
erwerbs.

Neben diesen Anstalten und Vereinen aber steht die ganze Fülle der
freien Liebestätigkeit, zu der insbesondre die Diakonissenhäuser immer wieder
in einer wahrhaft großartigen und hochherzigen Weise die Hand gereicht haben
zum Beispiel in der Ausbildung „freier Hilfsschwestern", die für die empfangn«
Ausbildung keine andre Verpflichtung übernehmen als die, irgendwie in ihrem
Kreise Liebestätigkeit zu üben. Auf die Jungfrauenvereine mit 84000, d:e


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[0608] Christliche Liebestätigkeit nur an jenes eine Kind, das dort Hilfe fand, und denken wir an ein aus dem Gefängnis entlassenes Mädchen, das vor der Rückkehr auf Wege der Sünde und des Verderbens behütet worden ist, oder an eine hilflose arme Kranke oder an einen Heiden, wie sie ohne die barmherzige christliche Liebe elend zugrunde gegangen wären und durch diese Liebe gerettet sind! Und denken wir nun an die großen Zahlen derer, die sich haben helfen lassen, dann werden all die Mühen, die darauf verwandt worden sind, alle die Opfer, die dafür gebracht worden sind, schon hierdurch allein reich belohnt erscheinen. Aber bei der „innern Mission", deren Herold ja Wiehern geworden ist, hat es sich von Anfang an keineswegs bloß um Einzelhilfen gehandelt. Erreicht ist vielmehr zweitens: eine die weitesten Gebiete menschlichen Lebens um¬ fassende Organisation zur Hilfe. Es ist nicht meine Aufgabe, diese Organisation hier auch nur auszugsweise darzustellen. Es kann dazu verwiesen werden auf die „Statistik der Innern Mission der deutschen evangelischen Kirche", bearbeitet und herausgegeben vom Zentralausschuß für innere Mission (im Buchhandel 4 Mark). Dieses Werk, das auf 452 Seiten eine Fülle des reichsten Stoffes in höchst übersichtlicher Form darbietet, gibt allein schon Zeugnis genug von der Leistungsfähigkeit der innern Mission. Hier sei nur auf einzelnes hingewiesen: auf die Diakonissenhüuser des Kaiserswerther Ver¬ bandes mit ihren 14000 Schwestern, der Kerntruppe der innern Mission; auf die vielverzweigte und breite Schichten des Volkes heranziehende Arbeit der vaterländischen Frauenvereine, die aus den Anregungen der Kriege und aus den Bestrebungen unsers Königlichen Hauses die stärkste Förderung empfangen hat, wie denn die Mitarbeit preußischer Königinnen an diesem Gebiet noch eine besondre Würdigung verdiente. Mit den sonstigen an Zahl ebenfalls sehr bedeutenden Schwesternschaften, die nicht zum Kaiserswerther Verband gehören, nenne ich den Diakvnieverein, dessen Hauptgedanke ist, Gelegenheit und Ausbildung zu schaffen für weibliche Berufstätigkeit und Berufstüchtig¬ keit. Es ist hier eine Beantwortung der Frage angestrebt, an die beim Beginn der christlichen Liebestätigkeit Amalie Sieveking in Hamburg ihr Leben gesetzt hat: „Muß das Leben eines Mädchens, das sich nicht verheiratet, wirklich ein verfehltes und armes sein?" Möge nur diese Frage auch in der Gegenwart immer so tüchtig, so weiblich, so christlich-sittlich beantwortet werden, wie es bei dieser Bahnbrecherin christlicher Frauenfreiheit geschah, und nie beschränkt werden auf die Erlangung eines Diploms und bloßen Brot¬ erwerbs. Neben diesen Anstalten und Vereinen aber steht die ganze Fülle der freien Liebestätigkeit, zu der insbesondre die Diakonissenhäuser immer wieder in einer wahrhaft großartigen und hochherzigen Weise die Hand gereicht haben zum Beispiel in der Ausbildung „freier Hilfsschwestern", die für die empfangn« Ausbildung keine andre Verpflichtung übernehmen als die, irgendwie in ihrem Kreise Liebestätigkeit zu üben. Auf die Jungfrauenvereine mit 84000, d:e

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/608>, abgerufen am 23.07.2024.