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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

desselben giltigen Rechts sowie zur Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volkes"
einen ewigen Bund geschlossen haben. Auf diesen drei Fundamentsteinen ruht das
Reich, sie sind die Ziele, zugleich aber auch die Voraussetzung und Bedingung
seines Bestehns. Mit dem "giltigen Recht" verträgt sich der Begriff des regierenden
Parlaments nicht; dazu ist der ewige Bund nicht geschlossen worden.
"

Wer die oben zitierten Sätze der "Zukunft gelesen hat, wird unwillkürlich
zu der Schlußfolgerung kommen: "Also weg mit diesem Reichstage, weg mit dem
Wahlrecht, aus dem er hervorgegangen ist!" Weit gefehlt! Die Schlußfolgerung
lautet wörtlich: "Das nächste Ziel politischen Trachtens muß die Sicherung des
xg,rIiain<zntÄr^ Aovörninont, nach britischen Muster sein." Für den gesunden Menschen¬
verstand ist das schwer zusammenzureimen. Erstens wollen wir doch in Dentsch-
land nach deutschem und nicht nach britischen Muster regiert werden. Ein Re-
gierungssystem muß sich historisch entwickeln, muß auf den in der Geschichte seines
Volkes gegebnen historischen Grundlagen ruhen, es läßt sich nicht wie eine Be¬
kleidungsmode oder eine Hutform aus dem Auslande importieren. Auch würde
es keinem Engländer jemals einfallen, nach einer ausländischen Regierungsform
-- und wäre sie zehnmal freiheitlicher als die britische -- zu verlangen oder der
Verfassung seines Landes eine inferiore Rolle zuzuweisen. Dazu wäre er zu stolz
und hätte zuviel Nationalbewußtsein.

Vor allem aber ist die deutsche Reichsverfassung von ihrem Schöpfer, unter dessen
Flagge ja die "Zukunft" noch gelegentlich segelt, für xariiamsutai^ Kovsrnmknt
nicht gemacht und nicht eingerichtet worden. Bismarck war gewiß nicht gewillt,
ohne Volksvertretung zu regieren. Er hat uns im Gegenteil ein Parlament auf
so demokratischer Grundlage gegeben, daß wir darin hinter keiner republikanischen
Verfassung zurückstehn, ja er hat in der Verfassung sogar einstweilen die große
Lücke zugelassen, daß einem so demokratischen Wahlrecht nicht das Korrektiv eines
Oberhauses zur Seite gesetzt wurde. Aber die obere Begrenzung ihrer Rechte muß
diese Volksvertretung doch immer an den Rechten der Souveränitäten finden, die
den Bund geschlossen haben, zu dessen Zwecken die Volksvertretung mitwirken
soll, denn mitwirken, nicht regieren soll bei uns das Parlament. Nicht gleich¬
berechtigt, sondern regierend steht über dem Parlament der Bundesrat als Aus¬
druck der Gesamtsouveräuität, die den Bund geschaffen und geschlossen hat; steht
der Kaiser, dem die landesherrlichen Befugnisse der Einzelstaaten für weite Ge¬
biete der innern und der äußern Reichspolitik durch Vertrag und Verfassung delegiert
sind. Nicht durch Reichstagsbeschluß, sondern aus den Händen der deutschen Fürsten
trägt der König von Preußen den Kaisertitel als Ausdruck der höchsten Reichs¬
gewalt -- innerhalb dieses Rahmens ist für MrliamsutÄ,^ AovsrnMönt kein Raum.
Und das ist ein Glück! Wohin sollten wir kommen, wenn ein Reichstag, dessen
Tiefstand die "Zukunft" so drastisch schildert, auch gar noch zur Ausübung der Re¬
gierungsgewalt berufen wäre, d. h. daß aus der Mitte seiner jeweiligen Majorität
der Reichskanzler erkoren werden müßte? Wen will die "Zukunft" vorschlagen?
Herrn Müller-Meiningen, Herrn Erzberger oder Herrn Bebel? Diese Namen
charakterisieren die Majorität des heutigen Reichstags. Es ist ausgeschlossen, daß
der König von Preußen oder irgend ein andrer der deutschen Fürsten, auch die
Hansarepubliken nicht, geneigt sein könnten, einer Abänderung der Reichsverfassung
zuzustimmen, die dem Kaiser den Zwang auferlegen würde, den Kanzler aus den
Führern der jeweiligen Majorität zu wählen. Die Beispiele, die wir ringsum in
"parlamentarisch" regierten Ländern sehen, sind wahrlich nicht verlockend, für den
Bundesstaat aber schon aus den natürlichsten Gründen nicht nachahmbar.

Der Posten des deutschen Reichskanzlers ist einzig in seiner Art. Es gibt
auf der Welt nicht seinesgleichen, schon aus dem Grunde nicht, weil er nicht nur
der alleinige Träger der politischen Verantwortlichkeit für ein Reich von sechzig


Maßgebliches und Unmaßgebliches

desselben giltigen Rechts sowie zur Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volkes"
einen ewigen Bund geschlossen haben. Auf diesen drei Fundamentsteinen ruht das
Reich, sie sind die Ziele, zugleich aber auch die Voraussetzung und Bedingung
seines Bestehns. Mit dem „giltigen Recht" verträgt sich der Begriff des regierenden
Parlaments nicht; dazu ist der ewige Bund nicht geschlossen worden.
"

Wer die oben zitierten Sätze der „Zukunft gelesen hat, wird unwillkürlich
zu der Schlußfolgerung kommen: „Also weg mit diesem Reichstage, weg mit dem
Wahlrecht, aus dem er hervorgegangen ist!" Weit gefehlt! Die Schlußfolgerung
lautet wörtlich: „Das nächste Ziel politischen Trachtens muß die Sicherung des
xg,rIiain<zntÄr^ Aovörninont, nach britischen Muster sein." Für den gesunden Menschen¬
verstand ist das schwer zusammenzureimen. Erstens wollen wir doch in Dentsch-
land nach deutschem und nicht nach britischen Muster regiert werden. Ein Re-
gierungssystem muß sich historisch entwickeln, muß auf den in der Geschichte seines
Volkes gegebnen historischen Grundlagen ruhen, es läßt sich nicht wie eine Be¬
kleidungsmode oder eine Hutform aus dem Auslande importieren. Auch würde
es keinem Engländer jemals einfallen, nach einer ausländischen Regierungsform
— und wäre sie zehnmal freiheitlicher als die britische — zu verlangen oder der
Verfassung seines Landes eine inferiore Rolle zuzuweisen. Dazu wäre er zu stolz
und hätte zuviel Nationalbewußtsein.

Vor allem aber ist die deutsche Reichsverfassung von ihrem Schöpfer, unter dessen
Flagge ja die „Zukunft" noch gelegentlich segelt, für xariiamsutai^ Kovsrnmknt
nicht gemacht und nicht eingerichtet worden. Bismarck war gewiß nicht gewillt,
ohne Volksvertretung zu regieren. Er hat uns im Gegenteil ein Parlament auf
so demokratischer Grundlage gegeben, daß wir darin hinter keiner republikanischen
Verfassung zurückstehn, ja er hat in der Verfassung sogar einstweilen die große
Lücke zugelassen, daß einem so demokratischen Wahlrecht nicht das Korrektiv eines
Oberhauses zur Seite gesetzt wurde. Aber die obere Begrenzung ihrer Rechte muß
diese Volksvertretung doch immer an den Rechten der Souveränitäten finden, die
den Bund geschlossen haben, zu dessen Zwecken die Volksvertretung mitwirken
soll, denn mitwirken, nicht regieren soll bei uns das Parlament. Nicht gleich¬
berechtigt, sondern regierend steht über dem Parlament der Bundesrat als Aus¬
druck der Gesamtsouveräuität, die den Bund geschaffen und geschlossen hat; steht
der Kaiser, dem die landesherrlichen Befugnisse der Einzelstaaten für weite Ge¬
biete der innern und der äußern Reichspolitik durch Vertrag und Verfassung delegiert
sind. Nicht durch Reichstagsbeschluß, sondern aus den Händen der deutschen Fürsten
trägt der König von Preußen den Kaisertitel als Ausdruck der höchsten Reichs¬
gewalt — innerhalb dieses Rahmens ist für MrliamsutÄ,^ AovsrnMönt kein Raum.
Und das ist ein Glück! Wohin sollten wir kommen, wenn ein Reichstag, dessen
Tiefstand die „Zukunft" so drastisch schildert, auch gar noch zur Ausübung der Re¬
gierungsgewalt berufen wäre, d. h. daß aus der Mitte seiner jeweiligen Majorität
der Reichskanzler erkoren werden müßte? Wen will die „Zukunft" vorschlagen?
Herrn Müller-Meiningen, Herrn Erzberger oder Herrn Bebel? Diese Namen
charakterisieren die Majorität des heutigen Reichstags. Es ist ausgeschlossen, daß
der König von Preußen oder irgend ein andrer der deutschen Fürsten, auch die
Hansarepubliken nicht, geneigt sein könnten, einer Abänderung der Reichsverfassung
zuzustimmen, die dem Kaiser den Zwang auferlegen würde, den Kanzler aus den
Führern der jeweiligen Majorität zu wählen. Die Beispiele, die wir ringsum in
„parlamentarisch" regierten Ländern sehen, sind wahrlich nicht verlockend, für den
Bundesstaat aber schon aus den natürlichsten Gründen nicht nachahmbar.

Der Posten des deutschen Reichskanzlers ist einzig in seiner Art. Es gibt
auf der Welt nicht seinesgleichen, schon aus dem Grunde nicht, weil er nicht nur
der alleinige Träger der politischen Verantwortlichkeit für ein Reich von sechzig


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[0060] Maßgebliches und Unmaßgebliches desselben giltigen Rechts sowie zur Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volkes" einen ewigen Bund geschlossen haben. Auf diesen drei Fundamentsteinen ruht das Reich, sie sind die Ziele, zugleich aber auch die Voraussetzung und Bedingung seines Bestehns. Mit dem „giltigen Recht" verträgt sich der Begriff des regierenden Parlaments nicht; dazu ist der ewige Bund nicht geschlossen worden. " Wer die oben zitierten Sätze der „Zukunft gelesen hat, wird unwillkürlich zu der Schlußfolgerung kommen: „Also weg mit diesem Reichstage, weg mit dem Wahlrecht, aus dem er hervorgegangen ist!" Weit gefehlt! Die Schlußfolgerung lautet wörtlich: „Das nächste Ziel politischen Trachtens muß die Sicherung des xg,rIiain<zntÄr^ Aovörninont, nach britischen Muster sein." Für den gesunden Menschen¬ verstand ist das schwer zusammenzureimen. Erstens wollen wir doch in Dentsch- land nach deutschem und nicht nach britischen Muster regiert werden. Ein Re- gierungssystem muß sich historisch entwickeln, muß auf den in der Geschichte seines Volkes gegebnen historischen Grundlagen ruhen, es läßt sich nicht wie eine Be¬ kleidungsmode oder eine Hutform aus dem Auslande importieren. Auch würde es keinem Engländer jemals einfallen, nach einer ausländischen Regierungsform — und wäre sie zehnmal freiheitlicher als die britische — zu verlangen oder der Verfassung seines Landes eine inferiore Rolle zuzuweisen. Dazu wäre er zu stolz und hätte zuviel Nationalbewußtsein. Vor allem aber ist die deutsche Reichsverfassung von ihrem Schöpfer, unter dessen Flagge ja die „Zukunft" noch gelegentlich segelt, für xariiamsutai^ Kovsrnmknt nicht gemacht und nicht eingerichtet worden. Bismarck war gewiß nicht gewillt, ohne Volksvertretung zu regieren. Er hat uns im Gegenteil ein Parlament auf so demokratischer Grundlage gegeben, daß wir darin hinter keiner republikanischen Verfassung zurückstehn, ja er hat in der Verfassung sogar einstweilen die große Lücke zugelassen, daß einem so demokratischen Wahlrecht nicht das Korrektiv eines Oberhauses zur Seite gesetzt wurde. Aber die obere Begrenzung ihrer Rechte muß diese Volksvertretung doch immer an den Rechten der Souveränitäten finden, die den Bund geschlossen haben, zu dessen Zwecken die Volksvertretung mitwirken soll, denn mitwirken, nicht regieren soll bei uns das Parlament. Nicht gleich¬ berechtigt, sondern regierend steht über dem Parlament der Bundesrat als Aus¬ druck der Gesamtsouveräuität, die den Bund geschaffen und geschlossen hat; steht der Kaiser, dem die landesherrlichen Befugnisse der Einzelstaaten für weite Ge¬ biete der innern und der äußern Reichspolitik durch Vertrag und Verfassung delegiert sind. Nicht durch Reichstagsbeschluß, sondern aus den Händen der deutschen Fürsten trägt der König von Preußen den Kaisertitel als Ausdruck der höchsten Reichs¬ gewalt — innerhalb dieses Rahmens ist für MrliamsutÄ,^ AovsrnMönt kein Raum. Und das ist ein Glück! Wohin sollten wir kommen, wenn ein Reichstag, dessen Tiefstand die „Zukunft" so drastisch schildert, auch gar noch zur Ausübung der Re¬ gierungsgewalt berufen wäre, d. h. daß aus der Mitte seiner jeweiligen Majorität der Reichskanzler erkoren werden müßte? Wen will die „Zukunft" vorschlagen? Herrn Müller-Meiningen, Herrn Erzberger oder Herrn Bebel? Diese Namen charakterisieren die Majorität des heutigen Reichstags. Es ist ausgeschlossen, daß der König von Preußen oder irgend ein andrer der deutschen Fürsten, auch die Hansarepubliken nicht, geneigt sein könnten, einer Abänderung der Reichsverfassung zuzustimmen, die dem Kaiser den Zwang auferlegen würde, den Kanzler aus den Führern der jeweiligen Majorität zu wählen. Die Beispiele, die wir ringsum in „parlamentarisch" regierten Ländern sehen, sind wahrlich nicht verlockend, für den Bundesstaat aber schon aus den natürlichsten Gründen nicht nachahmbar. Der Posten des deutschen Reichskanzlers ist einzig in seiner Art. Es gibt auf der Welt nicht seinesgleichen, schon aus dem Grunde nicht, weil er nicht nur der alleinige Träger der politischen Verantwortlichkeit für ein Reich von sechzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/60>, abgerufen am 23.07.2024.