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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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zahlreicher und verwickelter werdenden Gemeinde- und Verkehrsbedürfnisse zu
befriedigen. Man scheidet demnach diese Privatbills in solche, die das Verkehrs¬
wesen betreffen (Eisenbahnen, Kanüle, Häfen. Tramways, Wasserwerke usw.),
und in Lokal-, wir würden sagen Kommunalbills. Diese haben Friedhof¬
anlagen. Pflasterung, Beleuchtung, Polizei, Assanierung, Stadt- und Graf-
Ichaftsverwaltung, Verkuppelung, Drainierung und viel andres zu Gegenständen,
^e Arbeitslast ruht aber uicht auf dem Plenum des Hauses, das nur die
Formalitäten erledigt und dazu im Jahre 1902 z. B. von der ganzen Ver-
landlnngszeit nur 28 Stunden zu opfern brauchte, sondern auf den Mitgliedern
^ Spezialausschüsse. Von dieser Arbeitslast, die nicht allein eine Unmasse
an technischem Wissen, sondern auch richterliche Praxis erfordere und richter-
Verantwortung auferlege, mache man sich, meint Redlich, auf dem
ontinent kaum einen Begriff. Darin müsse aber auch eine der unzerstörbaren
wurzeln der politischen Kraft und der realen Macht des englischen Parla¬
mentarismus erkannt werden. In der verantwortlichen und mühevollen ^und
nvesoldeten!^ Tätigkeit des ?rivg.es LuswöW liege auch ein den kontinentalen
^olksvertretungen völlig fremdes ethisches Element des Parlamentarismus,
cum gerade diese im allgemeinen Staatsinteresse geübte Tätigkeit bringe dein
ageordneten das Gefühl seiner persönlichen Verpflichtung und Verantwortung
Zum Bewußtsein, das den innersten Kern des Verfassungslebens ausmachen
w^ß, "wenn die Verfassung nicht zur leeren Phrase, das Parlament nicht zu
!ner Arena ohnmächtiger Wichtigtuerei oder kleinlichen Gezänks werden soll."

Die Privatbillgesetzgebung ist etwas, das unser Verfassungsleben gar nicht
eure; sie ist nichts weniger und nichts andres als die Zentralverwaltung, die
er uns von den Fachministerien geübt wird. Gesetzgebung und Verwaltung
^"o in England nicht getrennt;"') die gesetzgebende Versammlung ist zugleich
e höchste Verwaltungsbehörde. Die Privatbillgesetzgebung wurzelt in der
y ^adanschanung des englischen Staatsrechts, "in der Grundregel von der
Alleinherrschaft des Rechts auf dem ganzen Gebiet alles öffentlichen Tuns,
er Lulg ok los 1^. Diese besagt, daß jede Anwendung öffentlicher Gewalt,
ö eichviel von welchem Staatsorgan sie geübt wird, auf spezieller gesetzlicher
^'"ächtigung beruhen muß. Diese Anschauung führte schon auf den frühern
utwicklungsstufen der englischen Rechtsbildung dazu, daß auch jeder einzelne,
er in Verfolgung seines Sonderinteresses über die Sphäre des ihm durch das
Mammon Law zugewiesnen privaten Rechtskreises hinausstrebte, zur Legali-
Uernng Tuns einer besondern Erlaubnis des Gesetzgebers bedürfte. . . .



^. Freilich, schreibt Redlich, sei die Exekutive ausschließlich dem Xws w vourr und dem
WZ <Zg^^ vorbehalten, aber diese Ausschließung des Parlaments von der Exekutive sei
.formell. In Wirklichkeit beherrsche das Unterhaus die Verwaltung einerseits dadurch, daß
vouuoil, das Kabinett, tatsächlich der Exekutivausschuß des Hauses ist, und dann durch seine
l^lechthin unbegrenzte legislative Kompetenz, die alle öffentlichen Vorgänge in den Bereich der
Gesetzgebung zieht.

zahlreicher und verwickelter werdenden Gemeinde- und Verkehrsbedürfnisse zu
befriedigen. Man scheidet demnach diese Privatbills in solche, die das Verkehrs¬
wesen betreffen (Eisenbahnen, Kanüle, Häfen. Tramways, Wasserwerke usw.),
und in Lokal-, wir würden sagen Kommunalbills. Diese haben Friedhof¬
anlagen. Pflasterung, Beleuchtung, Polizei, Assanierung, Stadt- und Graf-
Ichaftsverwaltung, Verkuppelung, Drainierung und viel andres zu Gegenständen,
^e Arbeitslast ruht aber uicht auf dem Plenum des Hauses, das nur die
Formalitäten erledigt und dazu im Jahre 1902 z. B. von der ganzen Ver-
landlnngszeit nur 28 Stunden zu opfern brauchte, sondern auf den Mitgliedern
^ Spezialausschüsse. Von dieser Arbeitslast, die nicht allein eine Unmasse
an technischem Wissen, sondern auch richterliche Praxis erfordere und richter-
Verantwortung auferlege, mache man sich, meint Redlich, auf dem
ontinent kaum einen Begriff. Darin müsse aber auch eine der unzerstörbaren
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mentarismus erkannt werden. In der verantwortlichen und mühevollen ^und
nvesoldeten!^ Tätigkeit des ?rivg.es LuswöW liege auch ein den kontinentalen
^olksvertretungen völlig fremdes ethisches Element des Parlamentarismus,
cum gerade diese im allgemeinen Staatsinteresse geübte Tätigkeit bringe dein
ageordneten das Gefühl seiner persönlichen Verpflichtung und Verantwortung
Zum Bewußtsein, das den innersten Kern des Verfassungslebens ausmachen
w^ß, „wenn die Verfassung nicht zur leeren Phrase, das Parlament nicht zu
!ner Arena ohnmächtiger Wichtigtuerei oder kleinlichen Gezänks werden soll."

Die Privatbillgesetzgebung ist etwas, das unser Verfassungsleben gar nicht
eure; sie ist nichts weniger und nichts andres als die Zentralverwaltung, die
er uns von den Fachministerien geübt wird. Gesetzgebung und Verwaltung
^"o in England nicht getrennt;"') die gesetzgebende Versammlung ist zugleich
e höchste Verwaltungsbehörde. Die Privatbillgesetzgebung wurzelt in der
y ^adanschanung des englischen Staatsrechts, „in der Grundregel von der
Alleinherrschaft des Rechts auf dem ganzen Gebiet alles öffentlichen Tuns,
er Lulg ok los 1^. Diese besagt, daß jede Anwendung öffentlicher Gewalt,
ö eichviel von welchem Staatsorgan sie geübt wird, auf spezieller gesetzlicher
^'"ächtigung beruhen muß. Diese Anschauung führte schon auf den frühern
utwicklungsstufen der englischen Rechtsbildung dazu, daß auch jeder einzelne,
er in Verfolgung seines Sonderinteresses über die Sphäre des ihm durch das
Mammon Law zugewiesnen privaten Rechtskreises hinausstrebte, zur Legali-
Uernng Tuns einer besondern Erlaubnis des Gesetzgebers bedürfte. . . .



^. Freilich, schreibt Redlich, sei die Exekutive ausschließlich dem Xws w vourr und dem
WZ <Zg^^ vorbehalten, aber diese Ausschließung des Parlaments von der Exekutive sei
.formell. In Wirklichkeit beherrsche das Unterhaus die Verwaltung einerseits dadurch, daß
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Gesetzgebung zieht.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/571>, abgerufen am 23.07.2024.