Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.Drei Tage in Trapezunt ließ es an Offenheit nicht fehlen. Man merkte wohl, daß man es mit einem Als der Alexander II. um Mitternacht den Anker gelichtet hatte, suchten Einsam zog der Dampfer auf der blauen Flut an diesem großartigsten Teil Drei Tage in Trapezunt ließ es an Offenheit nicht fehlen. Man merkte wohl, daß man es mit einem Als der Alexander II. um Mitternacht den Anker gelichtet hatte, suchten Einsam zog der Dampfer auf der blauen Flut an diesem großartigsten Teil <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0426" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300213"/> <fw type="header" place="top"> Drei Tage in Trapezunt</fw><lb/> <p xml:id="ID_1561" prev="#ID_1560"> ließ es an Offenheit nicht fehlen. Man merkte wohl, daß man es mit einem<lb/> tüchtigen Selfmademan zu tun hatte, der gegenüber seinen Untergebnen über<lb/> den richtigen Ton der Bestimmtheit verfügte und sicher auch später auf dem<lb/> von ihm geführten Schiffe Ordnung gehalten hat. Offiziere und Mannschaften<lb/> machten denn auch einen guten Eindruck, und der Dampfer, ein eben renoviertes,<lb/> zur Aushilfe eingestelltes Schiff, war reinlich und ordentlich und ließ fast be¬<lb/> dauern, daß wir uns ihm nicht von vornherein anvertraut hatten. Sein Deck<lb/> war gestopft voll, beherbergte eine Musterkarte verschiedner asiatischer Völker und<lb/> Völkchen, Kaukasier, Perser, Sarten und Inder, und fesselte unsre Aufmerksamkeit:<lb/> den Toilettekunststücken einiger wohlhabender Passagiere aus Teheran zuzusehen,<lb/> war mindestens spaßhaft — ein Einblick in die Julina des uuter seidnem Kciftcm<lb/> verborgnen Kleiderprunks.</p><lb/> <p xml:id="ID_1562"> Als der Alexander II. um Mitternacht den Anker gelichtet hatte, suchten<lb/> wir zum letztenmal die Koje auf und hatten die angenehmste Fahrt. Am Morgen<lb/> lag Rise vor uns, eine prächtige Gartenstadt mit üppig fruchtbarer Umgebung.<lb/> Von diesem Küstenstrich stammen die Kirsche und die Birne, und hier bedecken<lb/> noch immer blühende Kulturen von Nußbäumen, Stein- und Kernobst die Vor¬<lb/> berge. Wein rankt sich in allen Wäldern und Gärten bis in die Wipfel um<lb/> den Baumwuchs. Hart tritt das Lasistangebirge mit seinem Hauptkamm an die<lb/> ersten Höhen heran und wirkt durch seine Masse, durch die Schroffheit seiner<lb/> Formen, die Rauheit seiner vielfach zerklüfteten Hänge, den Wechsel zwischen<lb/> bloßliegenden bunten Urgestein und schneebedeckten Flächen mächtig auf den<lb/> Beschauer. Die Heimat der Lasen ist es, die sich im wesentlichen in dem durch<lb/> die Tschoroch abgeschnürten Gebirgsland zu nicht gerade vorteilhafter Eigen¬<lb/> tümlichkeit entwickelt haben. Durch ihre Sprache, die mit dem Grusinischen,<lb/> Mingrelischen und Sucmischen eine zusammenhängende, abgeschlossene Sprcich-<lb/> gruppe bildet, als Verwandte der südkaukasischen Stämme legitimiert, sind sie ein<lb/> wegen Roheit der Sitten, Grausamkeit und Leidenschaftlichkeit berüchtigtes Räuber¬<lb/> volk, das nach spät erfolgter Annahme des Christentums bald genug dem Moham¬<lb/> medanismus verfiel und dann in religiösem Fanatismus seinesgleichen suchte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1563"> Einsam zog der Dampfer auf der blauen Flut an diesem großartigsten Teil<lb/> der kleinasiatischen Küstenlandschaft, von der Mittagssonne bestrahlt, vorüber<lb/> dem in der Ferne auftauchenden Ziel entgegen. Der Pontus, der als „axenos"<lb/> verschrien ist, war uns wirklich ein „euxenos", ein gastlicher gewesen. Kein<lb/> Mensch vermochte sich so anhaltend prächtigen Wetters zu entsinnen. Was war<lb/> uns nun im Lande Kolchis beschieden?</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0426]
Drei Tage in Trapezunt
ließ es an Offenheit nicht fehlen. Man merkte wohl, daß man es mit einem
tüchtigen Selfmademan zu tun hatte, der gegenüber seinen Untergebnen über
den richtigen Ton der Bestimmtheit verfügte und sicher auch später auf dem
von ihm geführten Schiffe Ordnung gehalten hat. Offiziere und Mannschaften
machten denn auch einen guten Eindruck, und der Dampfer, ein eben renoviertes,
zur Aushilfe eingestelltes Schiff, war reinlich und ordentlich und ließ fast be¬
dauern, daß wir uns ihm nicht von vornherein anvertraut hatten. Sein Deck
war gestopft voll, beherbergte eine Musterkarte verschiedner asiatischer Völker und
Völkchen, Kaukasier, Perser, Sarten und Inder, und fesselte unsre Aufmerksamkeit:
den Toilettekunststücken einiger wohlhabender Passagiere aus Teheran zuzusehen,
war mindestens spaßhaft — ein Einblick in die Julina des uuter seidnem Kciftcm
verborgnen Kleiderprunks.
Als der Alexander II. um Mitternacht den Anker gelichtet hatte, suchten
wir zum letztenmal die Koje auf und hatten die angenehmste Fahrt. Am Morgen
lag Rise vor uns, eine prächtige Gartenstadt mit üppig fruchtbarer Umgebung.
Von diesem Küstenstrich stammen die Kirsche und die Birne, und hier bedecken
noch immer blühende Kulturen von Nußbäumen, Stein- und Kernobst die Vor¬
berge. Wein rankt sich in allen Wäldern und Gärten bis in die Wipfel um
den Baumwuchs. Hart tritt das Lasistangebirge mit seinem Hauptkamm an die
ersten Höhen heran und wirkt durch seine Masse, durch die Schroffheit seiner
Formen, die Rauheit seiner vielfach zerklüfteten Hänge, den Wechsel zwischen
bloßliegenden bunten Urgestein und schneebedeckten Flächen mächtig auf den
Beschauer. Die Heimat der Lasen ist es, die sich im wesentlichen in dem durch
die Tschoroch abgeschnürten Gebirgsland zu nicht gerade vorteilhafter Eigen¬
tümlichkeit entwickelt haben. Durch ihre Sprache, die mit dem Grusinischen,
Mingrelischen und Sucmischen eine zusammenhängende, abgeschlossene Sprcich-
gruppe bildet, als Verwandte der südkaukasischen Stämme legitimiert, sind sie ein
wegen Roheit der Sitten, Grausamkeit und Leidenschaftlichkeit berüchtigtes Räuber¬
volk, das nach spät erfolgter Annahme des Christentums bald genug dem Moham¬
medanismus verfiel und dann in religiösem Fanatismus seinesgleichen suchte.
Einsam zog der Dampfer auf der blauen Flut an diesem großartigsten Teil
der kleinasiatischen Küstenlandschaft, von der Mittagssonne bestrahlt, vorüber
dem in der Ferne auftauchenden Ziel entgegen. Der Pontus, der als „axenos"
verschrien ist, war uns wirklich ein „euxenos", ein gastlicher gewesen. Kein
Mensch vermochte sich so anhaltend prächtigen Wetters zu entsinnen. Was war
uns nun im Lande Kolchis beschieden?
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