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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Brausteuererhöhung und Genossenschaftsbrauereien

summen zurückgegriffen werden müßte, in der Genossenschaft eine außerordentliche
Unruhe zu zeigen beginnt: Guthaben werden zurückgezogen, viele Mitglieder und
namentlich die wohlhabendsten kündigen, um möglichst bald aus ihrer Haft-
Verpflichtung herauszukommen, und die Verwaltung wird, mag sie auch noch
so unschuldig sein, mit Vorwürfen überhäuft. Irgendwie bedeutende Reserven
zu legen und Betriebsrücklagen zu stellen, scheint der großen unerfahrnen
Menge der Genossenschafter fast immer als etwas vollständig überflüssiges,
man will, unbekümmert darüber, ob man sich mit den fundamentalsten volks¬
wirtschaftlichen Erfahrungssützen in Widerspruch setzt, vor allem sofortigen
direkten persönlichen Nutzen haben.

Eine weitere Frage ist die, ob nun für die Mitglieder der Genossen¬
schaft statutarisch etwa der Zwang festgelegt werden soll, ihren Bedarf von
der gemeinschaftlichen Produktivgenossenschaft zu beziehen, und ob etwa für
Zuwiderhandlungen Konventionalstrafen festgesetzt werden sollen; desgleichen,
ob den Absatz des Produkts auch auf NichtMitglieder und unter welchen Um¬
stünden auszudehnen beabsichtigt wird? Auch hier bedarf es nur des Hinweises
auf diesen Punkt, wenn man auf den ersten Blick eine außerordentliche Menge
von sehr schwer wiegenden Zukunftsereignissen voraussehen will.

Wie zum Beispiel, wenn einem Gastwirt das Bier nicht gut zu sein
scheint, und er nun, sei es mehr oder minder gutwillig oder böswillig, glaubt,
daß er mit diesem Bier sein Geschäft nicht betreiben kann? Schon diese
Perspektive eröffnet eine Aussicht auf Prozesse, die nichts weniger als er¬
freulich ist, und diese Prozesse werden nicht nur kostspielig sein, sondern mit
allen Mitteln geführt werden, die überhaupt nur denkbar sind. Denn auch
Skrupellosigkeit ist in dieser Beziehung ein nur allzu oft angewandtes Prinzip --
es wird hier nicht selten geradezu nach dem Grundsatz gehandelt: Der Zweck
heiligt die Mittel, wie dieser Satz überhaupt vielfach bei genossenschaftlichen
Agitationen zur Quasimaxime genommen wird.

Auf das engste verwandt mit dieser Frage ist ferner die der Konkurrenz
der Brauereien, die durch den gemeinschaftlichen Zusammenschluß haben matt
gesetzt werden sollen. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß hier ein Krieg bis
auf das Messer entstehn wird, bei dem es voraussichtlich ebenfalls irgend¬
welche Bedenken über die anzuwendenden Mittel kaum geben dürfte. Denn
es wird von hüben und drüben nicht nur um Millionen, sondern sogar um
die Existenz gekämpft. Vor allen Dingen werden -- und das ist, wenn es
auch gewiß nicht schön ist, so aber menschlich begreiflich -- die außerhalb
stehenden und durch die Genossenschaft geschädigten Brauereien Zwietracht in
den Kreisen der Genossen zu säen suchen. Es werden sich ebenso natürlich inner¬
halb der Genossen besondre Kreise und Cliquen bilden, denen die Kriegsfackel
in die eignen Kreise der Genossenschafter selbst zu werfen eine Kleinigkeit sein
wird. Damit ist aber alsdann ebenfalls der Anfang vom Ende gegeben.

Hand in Hand hiermit geht weiter die Frage, ob man denn nicht etwa
durch Zwangsmaßregeln einer solchen Zersetzung von vornherein entgegen-


Brausteuererhöhung und Genossenschaftsbrauereien

summen zurückgegriffen werden müßte, in der Genossenschaft eine außerordentliche
Unruhe zu zeigen beginnt: Guthaben werden zurückgezogen, viele Mitglieder und
namentlich die wohlhabendsten kündigen, um möglichst bald aus ihrer Haft-
Verpflichtung herauszukommen, und die Verwaltung wird, mag sie auch noch
so unschuldig sein, mit Vorwürfen überhäuft. Irgendwie bedeutende Reserven
zu legen und Betriebsrücklagen zu stellen, scheint der großen unerfahrnen
Menge der Genossenschafter fast immer als etwas vollständig überflüssiges,
man will, unbekümmert darüber, ob man sich mit den fundamentalsten volks¬
wirtschaftlichen Erfahrungssützen in Widerspruch setzt, vor allem sofortigen
direkten persönlichen Nutzen haben.

Eine weitere Frage ist die, ob nun für die Mitglieder der Genossen¬
schaft statutarisch etwa der Zwang festgelegt werden soll, ihren Bedarf von
der gemeinschaftlichen Produktivgenossenschaft zu beziehen, und ob etwa für
Zuwiderhandlungen Konventionalstrafen festgesetzt werden sollen; desgleichen,
ob den Absatz des Produkts auch auf NichtMitglieder und unter welchen Um¬
stünden auszudehnen beabsichtigt wird? Auch hier bedarf es nur des Hinweises
auf diesen Punkt, wenn man auf den ersten Blick eine außerordentliche Menge
von sehr schwer wiegenden Zukunftsereignissen voraussehen will.

Wie zum Beispiel, wenn einem Gastwirt das Bier nicht gut zu sein
scheint, und er nun, sei es mehr oder minder gutwillig oder böswillig, glaubt,
daß er mit diesem Bier sein Geschäft nicht betreiben kann? Schon diese
Perspektive eröffnet eine Aussicht auf Prozesse, die nichts weniger als er¬
freulich ist, und diese Prozesse werden nicht nur kostspielig sein, sondern mit
allen Mitteln geführt werden, die überhaupt nur denkbar sind. Denn auch
Skrupellosigkeit ist in dieser Beziehung ein nur allzu oft angewandtes Prinzip —
es wird hier nicht selten geradezu nach dem Grundsatz gehandelt: Der Zweck
heiligt die Mittel, wie dieser Satz überhaupt vielfach bei genossenschaftlichen
Agitationen zur Quasimaxime genommen wird.

Auf das engste verwandt mit dieser Frage ist ferner die der Konkurrenz
der Brauereien, die durch den gemeinschaftlichen Zusammenschluß haben matt
gesetzt werden sollen. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß hier ein Krieg bis
auf das Messer entstehn wird, bei dem es voraussichtlich ebenfalls irgend¬
welche Bedenken über die anzuwendenden Mittel kaum geben dürfte. Denn
es wird von hüben und drüben nicht nur um Millionen, sondern sogar um
die Existenz gekämpft. Vor allen Dingen werden — und das ist, wenn es
auch gewiß nicht schön ist, so aber menschlich begreiflich — die außerhalb
stehenden und durch die Genossenschaft geschädigten Brauereien Zwietracht in
den Kreisen der Genossen zu säen suchen. Es werden sich ebenso natürlich inner¬
halb der Genossen besondre Kreise und Cliquen bilden, denen die Kriegsfackel
in die eignen Kreise der Genossenschafter selbst zu werfen eine Kleinigkeit sein
wird. Damit ist aber alsdann ebenfalls der Anfang vom Ende gegeben.

Hand in Hand hiermit geht weiter die Frage, ob man denn nicht etwa
durch Zwangsmaßregeln einer solchen Zersetzung von vornherein entgegen-


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[0399] Brausteuererhöhung und Genossenschaftsbrauereien summen zurückgegriffen werden müßte, in der Genossenschaft eine außerordentliche Unruhe zu zeigen beginnt: Guthaben werden zurückgezogen, viele Mitglieder und namentlich die wohlhabendsten kündigen, um möglichst bald aus ihrer Haft- Verpflichtung herauszukommen, und die Verwaltung wird, mag sie auch noch so unschuldig sein, mit Vorwürfen überhäuft. Irgendwie bedeutende Reserven zu legen und Betriebsrücklagen zu stellen, scheint der großen unerfahrnen Menge der Genossenschafter fast immer als etwas vollständig überflüssiges, man will, unbekümmert darüber, ob man sich mit den fundamentalsten volks¬ wirtschaftlichen Erfahrungssützen in Widerspruch setzt, vor allem sofortigen direkten persönlichen Nutzen haben. Eine weitere Frage ist die, ob nun für die Mitglieder der Genossen¬ schaft statutarisch etwa der Zwang festgelegt werden soll, ihren Bedarf von der gemeinschaftlichen Produktivgenossenschaft zu beziehen, und ob etwa für Zuwiderhandlungen Konventionalstrafen festgesetzt werden sollen; desgleichen, ob den Absatz des Produkts auch auf NichtMitglieder und unter welchen Um¬ stünden auszudehnen beabsichtigt wird? Auch hier bedarf es nur des Hinweises auf diesen Punkt, wenn man auf den ersten Blick eine außerordentliche Menge von sehr schwer wiegenden Zukunftsereignissen voraussehen will. Wie zum Beispiel, wenn einem Gastwirt das Bier nicht gut zu sein scheint, und er nun, sei es mehr oder minder gutwillig oder böswillig, glaubt, daß er mit diesem Bier sein Geschäft nicht betreiben kann? Schon diese Perspektive eröffnet eine Aussicht auf Prozesse, die nichts weniger als er¬ freulich ist, und diese Prozesse werden nicht nur kostspielig sein, sondern mit allen Mitteln geführt werden, die überhaupt nur denkbar sind. Denn auch Skrupellosigkeit ist in dieser Beziehung ein nur allzu oft angewandtes Prinzip — es wird hier nicht selten geradezu nach dem Grundsatz gehandelt: Der Zweck heiligt die Mittel, wie dieser Satz überhaupt vielfach bei genossenschaftlichen Agitationen zur Quasimaxime genommen wird. Auf das engste verwandt mit dieser Frage ist ferner die der Konkurrenz der Brauereien, die durch den gemeinschaftlichen Zusammenschluß haben matt gesetzt werden sollen. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß hier ein Krieg bis auf das Messer entstehn wird, bei dem es voraussichtlich ebenfalls irgend¬ welche Bedenken über die anzuwendenden Mittel kaum geben dürfte. Denn es wird von hüben und drüben nicht nur um Millionen, sondern sogar um die Existenz gekämpft. Vor allen Dingen werden — und das ist, wenn es auch gewiß nicht schön ist, so aber menschlich begreiflich — die außerhalb stehenden und durch die Genossenschaft geschädigten Brauereien Zwietracht in den Kreisen der Genossen zu säen suchen. Es werden sich ebenso natürlich inner¬ halb der Genossen besondre Kreise und Cliquen bilden, denen die Kriegsfackel in die eignen Kreise der Genossenschafter selbst zu werfen eine Kleinigkeit sein wird. Damit ist aber alsdann ebenfalls der Anfang vom Ende gegeben. Hand in Hand hiermit geht weiter die Frage, ob man denn nicht etwa durch Zwangsmaßregeln einer solchen Zersetzung von vornherein entgegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/399>, abgerufen am 23.07.2024.