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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Landschaftsbilder von der Rüste Norwegens

überall Plakate in norwegischer, deutscher und englischer Sprache angebracht
waren, die zur Vorsicht mit dem Licht mahnten, hinderte jedoch meinen fast
siebzigjährigen Schlafkameraden uicht, im Bett zu rauchen. Ich habe den
Mann allerdings auf der ganzen Reise auch sonst nie ohne Zigarre gesehen.

Am andern Tage ging es wieder sacht aufwärts, dem Oberlauf der Oeta
folgend, vorbei an tief eingefahrenen Seen und rechts und links fortwährend
begleitet von schneestarrenden und eisgekrönten Bergwänden, es war dieselbe
Hochtalszenerie wie die letzten drei Stunden am Abend zuvor, aber wie anders
wirkte sie jetzt am frischen Morgen und im strahlenden Sonnenschein! Am
Quellsee der Oeta steht bei etwa 1000 Metern Höhe ein kleines Gasthaus, wo
wir Mittagsrast hielten, die Djupvashütte. Alles war im tiefsten Schnee,
aber auf der Veranda der Djupvashütte war es zu heiß zum Sitzen, und die
Milch zu unserm wohlverdienten Kaffee war geronnen, hart neben dem tief-
gefrornen See.

Wenig Minuten hinter der Djupvashütte bezeichnet ein Denkstein in alt¬
norwegischer Form, eine hohe, dünne Granitplatte, die Wasserscheide zwischen
dem Skagerrcck, dem die Oeta zueilt, und dem freien Atlantischen Ozean, dessen
nächster Punkt, der Geirangerfjord, 1000 Meter tief unter uns, aber in der
Luftlinie nur noch 6000 Meter von uns entfernt liegt. Die Bergstraße hinunter
nach dem Fjord braucht 15 Kilometer und ist wahrhaftig noch kühn genug,
aber der Gletscherbach, der ihr den Weg vorgezeichnet hat, nein, der reißende
Bergstrom, saust zu Tal wie der Sturmwind von Klippe zu Klippe, einen
prächtigen Bogen nach dem andern bildend, dann und wann in Felsenrunsen
verschwindend, einmal nach dem andern zerstäubend und in allen Farben des
Regenbogens leuchtend, bis er in dem spiegelglatten Fjord zur Ruhe kommt.

Der Abstieg von der Djupvashütte nach Merok am Geirangerfjord gilt
für eine der allergroßartigsten Glanzpartien Norwegens; ich kann darüber nicht
urteilen, da ich zu wenig von Norwegen gesehen habe, aber wer ihn auszuführen
das Glück gehabt hat, kann ihn nie vergessen, ebensowenig wie den Blick vom
Fjord rückwärts nach dem hohen Berg und dem Silberband seines Berg¬
stromes. Den würdigen Beschluß des schönen Tages bildete die Fahrt auf
unserm Dampfer durch den Geirangerfjord nach dem offnen Meer zu.

Das Einzigartige der norwegischen Landschaft besteht ja eben in dem
Ineinandergreifen von Meer und Gebirge; das Meer streckt seine Fühler bis
an das Herz des Gebirges, und die Gletscher baden sich im Meer.

Es kann kaum einen höhern Rcisegenuß geben, als nach einer frischen
Binnenwanderung in der Abenddämmerung dahinzugleiten durch die Meeres¬
pfade, bis man felbst ins Reich der Träume hinübergleitet.




Grenzboten III 190648
Landschaftsbilder von der Rüste Norwegens

überall Plakate in norwegischer, deutscher und englischer Sprache angebracht
waren, die zur Vorsicht mit dem Licht mahnten, hinderte jedoch meinen fast
siebzigjährigen Schlafkameraden uicht, im Bett zu rauchen. Ich habe den
Mann allerdings auf der ganzen Reise auch sonst nie ohne Zigarre gesehen.

Am andern Tage ging es wieder sacht aufwärts, dem Oberlauf der Oeta
folgend, vorbei an tief eingefahrenen Seen und rechts und links fortwährend
begleitet von schneestarrenden und eisgekrönten Bergwänden, es war dieselbe
Hochtalszenerie wie die letzten drei Stunden am Abend zuvor, aber wie anders
wirkte sie jetzt am frischen Morgen und im strahlenden Sonnenschein! Am
Quellsee der Oeta steht bei etwa 1000 Metern Höhe ein kleines Gasthaus, wo
wir Mittagsrast hielten, die Djupvashütte. Alles war im tiefsten Schnee,
aber auf der Veranda der Djupvashütte war es zu heiß zum Sitzen, und die
Milch zu unserm wohlverdienten Kaffee war geronnen, hart neben dem tief-
gefrornen See.

Wenig Minuten hinter der Djupvashütte bezeichnet ein Denkstein in alt¬
norwegischer Form, eine hohe, dünne Granitplatte, die Wasserscheide zwischen
dem Skagerrcck, dem die Oeta zueilt, und dem freien Atlantischen Ozean, dessen
nächster Punkt, der Geirangerfjord, 1000 Meter tief unter uns, aber in der
Luftlinie nur noch 6000 Meter von uns entfernt liegt. Die Bergstraße hinunter
nach dem Fjord braucht 15 Kilometer und ist wahrhaftig noch kühn genug,
aber der Gletscherbach, der ihr den Weg vorgezeichnet hat, nein, der reißende
Bergstrom, saust zu Tal wie der Sturmwind von Klippe zu Klippe, einen
prächtigen Bogen nach dem andern bildend, dann und wann in Felsenrunsen
verschwindend, einmal nach dem andern zerstäubend und in allen Farben des
Regenbogens leuchtend, bis er in dem spiegelglatten Fjord zur Ruhe kommt.

Der Abstieg von der Djupvashütte nach Merok am Geirangerfjord gilt
für eine der allergroßartigsten Glanzpartien Norwegens; ich kann darüber nicht
urteilen, da ich zu wenig von Norwegen gesehen habe, aber wer ihn auszuführen
das Glück gehabt hat, kann ihn nie vergessen, ebensowenig wie den Blick vom
Fjord rückwärts nach dem hohen Berg und dem Silberband seines Berg¬
stromes. Den würdigen Beschluß des schönen Tages bildete die Fahrt auf
unserm Dampfer durch den Geirangerfjord nach dem offnen Meer zu.

Das Einzigartige der norwegischen Landschaft besteht ja eben in dem
Ineinandergreifen von Meer und Gebirge; das Meer streckt seine Fühler bis
an das Herz des Gebirges, und die Gletscher baden sich im Meer.

Es kann kaum einen höhern Rcisegenuß geben, als nach einer frischen
Binnenwanderung in der Abenddämmerung dahinzugleiten durch die Meeres¬
pfade, bis man felbst ins Reich der Träume hinübergleitet.




Grenzboten III 190648
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[0373] Landschaftsbilder von der Rüste Norwegens überall Plakate in norwegischer, deutscher und englischer Sprache angebracht waren, die zur Vorsicht mit dem Licht mahnten, hinderte jedoch meinen fast siebzigjährigen Schlafkameraden uicht, im Bett zu rauchen. Ich habe den Mann allerdings auf der ganzen Reise auch sonst nie ohne Zigarre gesehen. Am andern Tage ging es wieder sacht aufwärts, dem Oberlauf der Oeta folgend, vorbei an tief eingefahrenen Seen und rechts und links fortwährend begleitet von schneestarrenden und eisgekrönten Bergwänden, es war dieselbe Hochtalszenerie wie die letzten drei Stunden am Abend zuvor, aber wie anders wirkte sie jetzt am frischen Morgen und im strahlenden Sonnenschein! Am Quellsee der Oeta steht bei etwa 1000 Metern Höhe ein kleines Gasthaus, wo wir Mittagsrast hielten, die Djupvashütte. Alles war im tiefsten Schnee, aber auf der Veranda der Djupvashütte war es zu heiß zum Sitzen, und die Milch zu unserm wohlverdienten Kaffee war geronnen, hart neben dem tief- gefrornen See. Wenig Minuten hinter der Djupvashütte bezeichnet ein Denkstein in alt¬ norwegischer Form, eine hohe, dünne Granitplatte, die Wasserscheide zwischen dem Skagerrcck, dem die Oeta zueilt, und dem freien Atlantischen Ozean, dessen nächster Punkt, der Geirangerfjord, 1000 Meter tief unter uns, aber in der Luftlinie nur noch 6000 Meter von uns entfernt liegt. Die Bergstraße hinunter nach dem Fjord braucht 15 Kilometer und ist wahrhaftig noch kühn genug, aber der Gletscherbach, der ihr den Weg vorgezeichnet hat, nein, der reißende Bergstrom, saust zu Tal wie der Sturmwind von Klippe zu Klippe, einen prächtigen Bogen nach dem andern bildend, dann und wann in Felsenrunsen verschwindend, einmal nach dem andern zerstäubend und in allen Farben des Regenbogens leuchtend, bis er in dem spiegelglatten Fjord zur Ruhe kommt. Der Abstieg von der Djupvashütte nach Merok am Geirangerfjord gilt für eine der allergroßartigsten Glanzpartien Norwegens; ich kann darüber nicht urteilen, da ich zu wenig von Norwegen gesehen habe, aber wer ihn auszuführen das Glück gehabt hat, kann ihn nie vergessen, ebensowenig wie den Blick vom Fjord rückwärts nach dem hohen Berg und dem Silberband seines Berg¬ stromes. Den würdigen Beschluß des schönen Tages bildete die Fahrt auf unserm Dampfer durch den Geirangerfjord nach dem offnen Meer zu. Das Einzigartige der norwegischen Landschaft besteht ja eben in dem Ineinandergreifen von Meer und Gebirge; das Meer streckt seine Fühler bis an das Herz des Gebirges, und die Gletscher baden sich im Meer. Es kann kaum einen höhern Rcisegenuß geben, als nach einer frischen Binnenwanderung in der Abenddämmerung dahinzugleiten durch die Meeres¬ pfade, bis man felbst ins Reich der Träume hinübergleitet. Grenzboten III 190648

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/373>, abgerufen am 23.07.2024.