Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.Vorgeschichte der französischen Revolution von 1.739 der Ämter wurde abgeschafft, die Rechtspflege beschleunigt und besonders auf Als Ludwig der Sechzehnte 1774 seinem Großvater in der Regierung Vorgeschichte der französischen Revolution von 1.739 der Ämter wurde abgeschafft, die Rechtspflege beschleunigt und besonders auf Als Ludwig der Sechzehnte 1774 seinem Großvater in der Regierung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0301" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300088"/> <fw type="header" place="top"> Vorgeschichte der französischen Revolution von 1.739</fw><lb/> <p xml:id="ID_1043" prev="#ID_1042"> der Ämter wurde abgeschafft, die Rechtspflege beschleunigt und besonders auf<lb/> dem Lande verbessert und verbilligt. Das Pariser Parlament sah aber in<lb/> alledem einen Eingriff in seine Freiheiten, und die Masse des Volkes stimmte<lb/> ihm bei. Der schwache Nachfolger nahm deshalb in seiner Gutmütigkeit auch<lb/> diese Reform zurück, was ihn freilich Krone und Leben kosten sollte. An einer<lb/> Steuerreform endlich arbeitete die Regierung Ludwigs des Fünfzehnten ebenfalls<lb/> ernstlich; es wurde auch einiges Wenige erreicht, besonders in bezug auf die<lb/> Taille, aber in der Hauptsache blieb es bei der Nachgiebigkeit und Schwäche<lb/> des Staates doch beim alten, so bei den Privilegien der beiden ersten Stände<lb/> und der Begünstigung des beweglichen Kapitals, des Handels und des Gewerbes.<lb/> Also auf allen Gebieten des staatlichen Lebens dieselbe Erscheinung: ehrliche<lb/> Versuche der Regierung, dem Volke zu helfen im Sinne der neuen Ideen, aber<lb/> Widerstreben der öffentlichen Meinung, der Parlamente und der Masse des<lb/> Volkes selbst, und vor allem die nachgiebige Schwäche der Regierung. Der<lb/> Ruf nach Freiheit war bei der damaligen Stimmung des Volkes lauter als<lb/> der nach Reformen, und Freiheit bedeutete hier nichts andres als Macht.<lb/> Ein Machtkampf tobte schon lange zwischen Krone und Parlament; zu einem<lb/> solchen Kampfe zeigten sich unter Ludwig dem Sechzehnten auch die privi¬<lb/> legierten Stände bereit, und nach Macht, nach Volkssouveränitüt dürstete die<lb/> Menge der Gebildeten. So stand man schon 1774, im Todesjahre Ludwigs<lb/> des Fünfzehnten, einer Revolution recht nahe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1044" next="#ID_1045"> Als Ludwig der Sechzehnte 1774 seinem Großvater in der Regierung<lb/> folgte, zählte er erst neunzehn Jahre. Zwischen beiden bestand insofern eine<lb/> Ähnlichkeit, als sie infolge einer gewissen Schüchternheit nicht zu repräsentieren<lb/> verstanden und von der göttlichen Mission ihres Berufes nicht durchdrungen<lb/> waren. Mehr noch erinnerte der neue König an seinen schon (1765) früh ver¬<lb/> storbnen Vater, den Dauphin. Wie dieser, neigte er äußerlich schon in jungen<lb/> Jahren zu starker Beleibtheit und Schwerfälligkeit; wie diesen erfüllten auch<lb/> ihn strenge Religiosität, Sittenreinheit und Widerwillen gegen die Lebensweise<lb/> Ludwigs des Fünfzehnten. Die Sittenreinheit wurde ihm von der Natur<lb/> allerdings dadurch erleichtert, daß er sich erst einer Operation hätte unterziehn<lb/> müssen, wenn er sündigen wollte. So war es ihm möglich, auch noch längere<lb/> Zeit in der Ehe dahin zu leben, ohne etwas andres als nur dem Namen nach<lb/> der Gatte seines Weibes zu sein. Überhaupt empfand er keine Leidenschaft,<lb/> keine Demütigung, keine Zurücksetzung, kaum eine Antipathie gegen andre Leute,<lb/> als etwa die, die keinen Glauben hatten oder besondre Tatkraft und Lebendig¬<lb/> keit zeigten. Gutmütigkeit und Gleichgiltigkeit waren ihm besonders eigen; in<lb/> der schrecklichsten Stunde, am 10. August 1792, als er ins Gefängnis abge¬<lb/> führt wurde, verlangte er, dort angekommen, zunächst eine Mahlzeit, die er<lb/> Ma Entsetzen seiner Gemahlin mit Appetit verzehrte. Sein Wille war schwach<lb/> und nachgiebig, sein Verstand normal aber ohne Größe. Richtig erkannte er,<lb/> daß England'der Hauptfeind Frankreichs sei, und daß er, wenn er auch eine</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0301]
Vorgeschichte der französischen Revolution von 1.739
der Ämter wurde abgeschafft, die Rechtspflege beschleunigt und besonders auf
dem Lande verbessert und verbilligt. Das Pariser Parlament sah aber in
alledem einen Eingriff in seine Freiheiten, und die Masse des Volkes stimmte
ihm bei. Der schwache Nachfolger nahm deshalb in seiner Gutmütigkeit auch
diese Reform zurück, was ihn freilich Krone und Leben kosten sollte. An einer
Steuerreform endlich arbeitete die Regierung Ludwigs des Fünfzehnten ebenfalls
ernstlich; es wurde auch einiges Wenige erreicht, besonders in bezug auf die
Taille, aber in der Hauptsache blieb es bei der Nachgiebigkeit und Schwäche
des Staates doch beim alten, so bei den Privilegien der beiden ersten Stände
und der Begünstigung des beweglichen Kapitals, des Handels und des Gewerbes.
Also auf allen Gebieten des staatlichen Lebens dieselbe Erscheinung: ehrliche
Versuche der Regierung, dem Volke zu helfen im Sinne der neuen Ideen, aber
Widerstreben der öffentlichen Meinung, der Parlamente und der Masse des
Volkes selbst, und vor allem die nachgiebige Schwäche der Regierung. Der
Ruf nach Freiheit war bei der damaligen Stimmung des Volkes lauter als
der nach Reformen, und Freiheit bedeutete hier nichts andres als Macht.
Ein Machtkampf tobte schon lange zwischen Krone und Parlament; zu einem
solchen Kampfe zeigten sich unter Ludwig dem Sechzehnten auch die privi¬
legierten Stände bereit, und nach Macht, nach Volkssouveränitüt dürstete die
Menge der Gebildeten. So stand man schon 1774, im Todesjahre Ludwigs
des Fünfzehnten, einer Revolution recht nahe.
Als Ludwig der Sechzehnte 1774 seinem Großvater in der Regierung
folgte, zählte er erst neunzehn Jahre. Zwischen beiden bestand insofern eine
Ähnlichkeit, als sie infolge einer gewissen Schüchternheit nicht zu repräsentieren
verstanden und von der göttlichen Mission ihres Berufes nicht durchdrungen
waren. Mehr noch erinnerte der neue König an seinen schon (1765) früh ver¬
storbnen Vater, den Dauphin. Wie dieser, neigte er äußerlich schon in jungen
Jahren zu starker Beleibtheit und Schwerfälligkeit; wie diesen erfüllten auch
ihn strenge Religiosität, Sittenreinheit und Widerwillen gegen die Lebensweise
Ludwigs des Fünfzehnten. Die Sittenreinheit wurde ihm von der Natur
allerdings dadurch erleichtert, daß er sich erst einer Operation hätte unterziehn
müssen, wenn er sündigen wollte. So war es ihm möglich, auch noch längere
Zeit in der Ehe dahin zu leben, ohne etwas andres als nur dem Namen nach
der Gatte seines Weibes zu sein. Überhaupt empfand er keine Leidenschaft,
keine Demütigung, keine Zurücksetzung, kaum eine Antipathie gegen andre Leute,
als etwa die, die keinen Glauben hatten oder besondre Tatkraft und Lebendig¬
keit zeigten. Gutmütigkeit und Gleichgiltigkeit waren ihm besonders eigen; in
der schrecklichsten Stunde, am 10. August 1792, als er ins Gefängnis abge¬
führt wurde, verlangte er, dort angekommen, zunächst eine Mahlzeit, die er
Ma Entsetzen seiner Gemahlin mit Appetit verzehrte. Sein Wille war schwach
und nachgiebig, sein Verstand normal aber ohne Größe. Richtig erkannte er,
daß England'der Hauptfeind Frankreichs sei, und daß er, wenn er auch eine
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |