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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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An der Nordküste von Kleinasien

anfing, abscheulich zu stampfen, werde ich ihn: nie vergessen. Denn da ich in
eifrigem Studium des Vorschiffs und der Aukerheißvorrichtung die einschneidende
Bewegung in die Wellentäler mit besondrer Gründlichkeit mitgemacht hatte, so
konnten die Folgen nicht ausbleiben. Sie gestalteten sich jedoch nicht zur vor¬
schriftsmäßigen Seekrankheit; ich war boshaft genug, den Reisegefährten damit
die Freude am Mittagsmahl noch mehr zu verderben, als es die Eßkunststücke
eines jungen Türken, des einzigen Mitpassagiers der ersten Klasse, vermocht
hatten. Der arme Mensch! Welche qualvollen Gebete entrangen sich hinterher
zwischen bangem Gestöhn seiner gepeinigten Seele, und was hat er für
Schmeicheleien hören müssen, die er nicht verstand!

Die Genossen der zweiten Klasse waren annähernd ebenso erfreulich; ein
ganz gut aussehender junger türkischer Generalstabsoffizier, der nach seinem Be¬
stimmungsort Ersing-jam reiste, und ein persischer Offizier aus dem Kosaken-
leibregiment des Schäds, das nach russischem Reglement ausgebildet und mit
Russen besetzt wird, machten aber eine rühmliche Ausnahme. Der persische Offizier
reiste in ebenso einfacher wie kleidsamer Uniform und kostete mich, bis später
des Rätsels Lösung kam, viel Kopfzerbrechen, da seine himmelblauen Hosen und
das schwarze Uniformjackett in meine Kenntnis russischer Uniformen nicht hinein¬
passen wollte. Von den Deckpassagieren schälten sich Abends und Morgens
einige aus der Pracht ihrer Decken und Lager am Schornstein, um auf dem
Promenadendeck über dem Salon zu beten. Man ließ sie gewähren. Andre
gaben, obgleich der Koran es nicht will, und sie sich etwas zierten, wenigstens
brauchbare Bildertypen.

Bei zehn Seemeilen Fahrt kam am folgenden Morgen sehr bald Land in
Sicht, und das Meer wurde etwas ruhiger. Noch aber hingen dicke Wolken
um den Bergen tief zum Wasser herunter und versperrten jede Aussicht. Ver-
schiedne kleine Orte tauchten am Ufer auf, und Flußmündungen öffneten die
Kulissen der Uferlandschaft, die teils jäh zum Meer abstürzt, teils wenig Anbau
verratend und wenig Straßen, wenig Leben zeigend hoch aufsteigt und noch
bedeutendere Höhen im Innern verspricht. Norwegens Küste wird zum Ver¬
gleich herangezogen. Düster ist jedoch das Bild, und wenig erfreulich noch die
Fahrt. Um zwei Uhr Nachmittags geht der Unsitte in dem gelb erscheinenden
Wasser der Reede von Jneboli zu Anker, löscht, nimmt neue Ladung und
erleichtert sich um eine ganze Anzahl Deckpassagiere. Viele Kalks mit bunt
bcturbanten und fetzenbekleideten Ruderern drängen an das Schiff. Der Agent
des Lloyds, ein schwarzbärtiger, nur italienisch und ebenso geläufig wie schlecht
französisch sprechender Herr, der vor einiger Zeit von Alexandrette auf zwei bis
drei Jahre hierher versetzt worden ist -- der Arme! --, nimmt uns an Land.

Sein Kalk führt um die aus glücklicherer Zeit stammenden Reste der Mole
zum Bureau des Hafenbeamten, der uns gütigst Erlaubnis zum Aufenthalt an
Land erteilt. Jneboli ist ein gottverlassenes Nest, das mit einer Kastellruine
und einer hohen Schutzmauer gegen die starke Brandung von entschwundner


An der Nordküste von Kleinasien

anfing, abscheulich zu stampfen, werde ich ihn: nie vergessen. Denn da ich in
eifrigem Studium des Vorschiffs und der Aukerheißvorrichtung die einschneidende
Bewegung in die Wellentäler mit besondrer Gründlichkeit mitgemacht hatte, so
konnten die Folgen nicht ausbleiben. Sie gestalteten sich jedoch nicht zur vor¬
schriftsmäßigen Seekrankheit; ich war boshaft genug, den Reisegefährten damit
die Freude am Mittagsmahl noch mehr zu verderben, als es die Eßkunststücke
eines jungen Türken, des einzigen Mitpassagiers der ersten Klasse, vermocht
hatten. Der arme Mensch! Welche qualvollen Gebete entrangen sich hinterher
zwischen bangem Gestöhn seiner gepeinigten Seele, und was hat er für
Schmeicheleien hören müssen, die er nicht verstand!

Die Genossen der zweiten Klasse waren annähernd ebenso erfreulich; ein
ganz gut aussehender junger türkischer Generalstabsoffizier, der nach seinem Be¬
stimmungsort Ersing-jam reiste, und ein persischer Offizier aus dem Kosaken-
leibregiment des Schäds, das nach russischem Reglement ausgebildet und mit
Russen besetzt wird, machten aber eine rühmliche Ausnahme. Der persische Offizier
reiste in ebenso einfacher wie kleidsamer Uniform und kostete mich, bis später
des Rätsels Lösung kam, viel Kopfzerbrechen, da seine himmelblauen Hosen und
das schwarze Uniformjackett in meine Kenntnis russischer Uniformen nicht hinein¬
passen wollte. Von den Deckpassagieren schälten sich Abends und Morgens
einige aus der Pracht ihrer Decken und Lager am Schornstein, um auf dem
Promenadendeck über dem Salon zu beten. Man ließ sie gewähren. Andre
gaben, obgleich der Koran es nicht will, und sie sich etwas zierten, wenigstens
brauchbare Bildertypen.

Bei zehn Seemeilen Fahrt kam am folgenden Morgen sehr bald Land in
Sicht, und das Meer wurde etwas ruhiger. Noch aber hingen dicke Wolken
um den Bergen tief zum Wasser herunter und versperrten jede Aussicht. Ver-
schiedne kleine Orte tauchten am Ufer auf, und Flußmündungen öffneten die
Kulissen der Uferlandschaft, die teils jäh zum Meer abstürzt, teils wenig Anbau
verratend und wenig Straßen, wenig Leben zeigend hoch aufsteigt und noch
bedeutendere Höhen im Innern verspricht. Norwegens Küste wird zum Ver¬
gleich herangezogen. Düster ist jedoch das Bild, und wenig erfreulich noch die
Fahrt. Um zwei Uhr Nachmittags geht der Unsitte in dem gelb erscheinenden
Wasser der Reede von Jneboli zu Anker, löscht, nimmt neue Ladung und
erleichtert sich um eine ganze Anzahl Deckpassagiere. Viele Kalks mit bunt
bcturbanten und fetzenbekleideten Ruderern drängen an das Schiff. Der Agent
des Lloyds, ein schwarzbärtiger, nur italienisch und ebenso geläufig wie schlecht
französisch sprechender Herr, der vor einiger Zeit von Alexandrette auf zwei bis
drei Jahre hierher versetzt worden ist — der Arme! —, nimmt uns an Land.

Sein Kalk führt um die aus glücklicherer Zeit stammenden Reste der Mole
zum Bureau des Hafenbeamten, der uns gütigst Erlaubnis zum Aufenthalt an
Land erteilt. Jneboli ist ein gottverlassenes Nest, das mit einer Kastellruine
und einer hohen Schutzmauer gegen die starke Brandung von entschwundner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/264>, abgerufen am 27.12.2024.