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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Koloniale Lisenbahnxolitik

So begann denn im vorletzten Jahre im Reichstag eine noch nie da-
gewesne Bewilligungsfreudigkeit, die auch sonst allen Kolonialforderungen grund¬
sätzlich ablehnend gegenüberstehende Parteien ergriffen hatte. Eine Kolonie nach
der andern präsentierte ihre vernünftigerweise in bescheidnen Grenzen gehaltnen
Eisenbahnwünsche -- Ostafrika, Togo, Kamerun -- und bekam sie beinahe
schmerzlos erfüllt. Die Kolonialfreunde frohlockten und sahen im Geiste das
goldne Zeitalter der Kolonialpolitik herausziehn.

Der Rückschlag blieb nicht aus und zeigte deutlich, auf wie schwachen
Füßen die Kolonialfreundlichkeit des Reichstags denn doch noch steht, wenn
sie ein kräftiges Wort eines Negierungsvertreters -- im Reichstag ist man an
solche Töne eben noch nicht gewöhnt -- umblasen konnte. Der Reichstag ist
zudem sehr kritisch geworden, zu kritisch fast für unsre noch im argen liegenden
kolonialen Verwaltungsverhältnisse.

Die Regierung wird gut tun, viel guten Willen in der Abstellung von
Mißständen, aber ebensoviel Festigkeit in der Vertretung berechtigter Wünsche
der Kolonien zu zeigen. Auch den kolonialen Kreisen des deutschen Volks ist
dringend zu raten, die Politik der Sammlung einzuschlagen, sich über die bei
der Erschließungsarbeit einzuschlagenden Wege nach reiflicher Überlegung zu
einigen, wohlbegründete und durchdachte Pläne und Wünsche dann aber auch
mit Konsequenz zu verfechten und durchzuführen. Die Volksvertretung muß mit
der Zeit die Überzeugung gewinnen, daß die von der Regierung eingebrachten
Kolonialvorlagen auf Grund gewissenhafter und nüchterner Beurteilung der
wirklichen Bedürfnisse der Kolonien zustande gekommen und dreimal gesiebt in
ihre Hände gelangt sind. Dieser Grundsatz gilt namentlich auch für die koloniale
Verkehrspolitik. Von der Entwicklung des Verkehrs durch Eisenbahnen
hängt die Zukunft unsrer afrikanischen Schutzgebiete ab. Andre Verkehrsmittel
kommen, wie die Verhältnisse nun einmal liegen, kaum in Betracht. Größere,
das ganze Jahr hindurch brauchbare Wasserstraßen gibt es in unsern Kolonien
nicht; was hier und da vorhanden ist, genügt zur Not örtlichen Bedürfnissen.
Es gibt zwar auch ältere Karawanenstraßen, doch scheiden diese für unsre heutige
Erschließungstätigkeit aus. Sie waren im Zeitalter der Sklaven, als die Trüger
selbst eine am Endpunkte der Reise gewinnbringende Ware darstellten, rentabel,
heute müssen die Träger verhältnismäßig hoch entlohnt werden, und so bleiben
nur Produkte mit hohem Marktwerte konkurrenzfähig; die gewöhnlichen afri¬
kanischen Massenprodukte sind auf weitere Entfernungen ausgeschlossen. Auch
laufen diese alten Karawanenstraßen häufig den deutschen Interessen direkt zu¬
wider, da sie sich nicht an die politischen Grenzen halten, die dank früherer
gedankenloser Abgrenzungspolitik allzuhüufig mit den wirtschaftlichen Grenzen
nicht zusammenfallen.

Also Eisenbahnen! Hier erhebt sich aber die nüchterne Frage: Was be¬
zwecken wir mit unsern Kolonialbahnen, was können wir demnach dafür aus¬
geben? Jahrelang hatten die Riesenunternehmen der Engländer -- die ägyptische


Koloniale Lisenbahnxolitik

So begann denn im vorletzten Jahre im Reichstag eine noch nie da-
gewesne Bewilligungsfreudigkeit, die auch sonst allen Kolonialforderungen grund¬
sätzlich ablehnend gegenüberstehende Parteien ergriffen hatte. Eine Kolonie nach
der andern präsentierte ihre vernünftigerweise in bescheidnen Grenzen gehaltnen
Eisenbahnwünsche — Ostafrika, Togo, Kamerun — und bekam sie beinahe
schmerzlos erfüllt. Die Kolonialfreunde frohlockten und sahen im Geiste das
goldne Zeitalter der Kolonialpolitik herausziehn.

Der Rückschlag blieb nicht aus und zeigte deutlich, auf wie schwachen
Füßen die Kolonialfreundlichkeit des Reichstags denn doch noch steht, wenn
sie ein kräftiges Wort eines Negierungsvertreters — im Reichstag ist man an
solche Töne eben noch nicht gewöhnt — umblasen konnte. Der Reichstag ist
zudem sehr kritisch geworden, zu kritisch fast für unsre noch im argen liegenden
kolonialen Verwaltungsverhältnisse.

Die Regierung wird gut tun, viel guten Willen in der Abstellung von
Mißständen, aber ebensoviel Festigkeit in der Vertretung berechtigter Wünsche
der Kolonien zu zeigen. Auch den kolonialen Kreisen des deutschen Volks ist
dringend zu raten, die Politik der Sammlung einzuschlagen, sich über die bei
der Erschließungsarbeit einzuschlagenden Wege nach reiflicher Überlegung zu
einigen, wohlbegründete und durchdachte Pläne und Wünsche dann aber auch
mit Konsequenz zu verfechten und durchzuführen. Die Volksvertretung muß mit
der Zeit die Überzeugung gewinnen, daß die von der Regierung eingebrachten
Kolonialvorlagen auf Grund gewissenhafter und nüchterner Beurteilung der
wirklichen Bedürfnisse der Kolonien zustande gekommen und dreimal gesiebt in
ihre Hände gelangt sind. Dieser Grundsatz gilt namentlich auch für die koloniale
Verkehrspolitik. Von der Entwicklung des Verkehrs durch Eisenbahnen
hängt die Zukunft unsrer afrikanischen Schutzgebiete ab. Andre Verkehrsmittel
kommen, wie die Verhältnisse nun einmal liegen, kaum in Betracht. Größere,
das ganze Jahr hindurch brauchbare Wasserstraßen gibt es in unsern Kolonien
nicht; was hier und da vorhanden ist, genügt zur Not örtlichen Bedürfnissen.
Es gibt zwar auch ältere Karawanenstraßen, doch scheiden diese für unsre heutige
Erschließungstätigkeit aus. Sie waren im Zeitalter der Sklaven, als die Trüger
selbst eine am Endpunkte der Reise gewinnbringende Ware darstellten, rentabel,
heute müssen die Träger verhältnismäßig hoch entlohnt werden, und so bleiben
nur Produkte mit hohem Marktwerte konkurrenzfähig; die gewöhnlichen afri¬
kanischen Massenprodukte sind auf weitere Entfernungen ausgeschlossen. Auch
laufen diese alten Karawanenstraßen häufig den deutschen Interessen direkt zu¬
wider, da sie sich nicht an die politischen Grenzen halten, die dank früherer
gedankenloser Abgrenzungspolitik allzuhüufig mit den wirtschaftlichen Grenzen
nicht zusammenfallen.

Also Eisenbahnen! Hier erhebt sich aber die nüchterne Frage: Was be¬
zwecken wir mit unsern Kolonialbahnen, was können wir demnach dafür aus¬
geben? Jahrelang hatten die Riesenunternehmen der Engländer — die ägyptische


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[0238] Koloniale Lisenbahnxolitik So begann denn im vorletzten Jahre im Reichstag eine noch nie da- gewesne Bewilligungsfreudigkeit, die auch sonst allen Kolonialforderungen grund¬ sätzlich ablehnend gegenüberstehende Parteien ergriffen hatte. Eine Kolonie nach der andern präsentierte ihre vernünftigerweise in bescheidnen Grenzen gehaltnen Eisenbahnwünsche — Ostafrika, Togo, Kamerun — und bekam sie beinahe schmerzlos erfüllt. Die Kolonialfreunde frohlockten und sahen im Geiste das goldne Zeitalter der Kolonialpolitik herausziehn. Der Rückschlag blieb nicht aus und zeigte deutlich, auf wie schwachen Füßen die Kolonialfreundlichkeit des Reichstags denn doch noch steht, wenn sie ein kräftiges Wort eines Negierungsvertreters — im Reichstag ist man an solche Töne eben noch nicht gewöhnt — umblasen konnte. Der Reichstag ist zudem sehr kritisch geworden, zu kritisch fast für unsre noch im argen liegenden kolonialen Verwaltungsverhältnisse. Die Regierung wird gut tun, viel guten Willen in der Abstellung von Mißständen, aber ebensoviel Festigkeit in der Vertretung berechtigter Wünsche der Kolonien zu zeigen. Auch den kolonialen Kreisen des deutschen Volks ist dringend zu raten, die Politik der Sammlung einzuschlagen, sich über die bei der Erschließungsarbeit einzuschlagenden Wege nach reiflicher Überlegung zu einigen, wohlbegründete und durchdachte Pläne und Wünsche dann aber auch mit Konsequenz zu verfechten und durchzuführen. Die Volksvertretung muß mit der Zeit die Überzeugung gewinnen, daß die von der Regierung eingebrachten Kolonialvorlagen auf Grund gewissenhafter und nüchterner Beurteilung der wirklichen Bedürfnisse der Kolonien zustande gekommen und dreimal gesiebt in ihre Hände gelangt sind. Dieser Grundsatz gilt namentlich auch für die koloniale Verkehrspolitik. Von der Entwicklung des Verkehrs durch Eisenbahnen hängt die Zukunft unsrer afrikanischen Schutzgebiete ab. Andre Verkehrsmittel kommen, wie die Verhältnisse nun einmal liegen, kaum in Betracht. Größere, das ganze Jahr hindurch brauchbare Wasserstraßen gibt es in unsern Kolonien nicht; was hier und da vorhanden ist, genügt zur Not örtlichen Bedürfnissen. Es gibt zwar auch ältere Karawanenstraßen, doch scheiden diese für unsre heutige Erschließungstätigkeit aus. Sie waren im Zeitalter der Sklaven, als die Trüger selbst eine am Endpunkte der Reise gewinnbringende Ware darstellten, rentabel, heute müssen die Träger verhältnismäßig hoch entlohnt werden, und so bleiben nur Produkte mit hohem Marktwerte konkurrenzfähig; die gewöhnlichen afri¬ kanischen Massenprodukte sind auf weitere Entfernungen ausgeschlossen. Auch laufen diese alten Karawanenstraßen häufig den deutschen Interessen direkt zu¬ wider, da sie sich nicht an die politischen Grenzen halten, die dank früherer gedankenloser Abgrenzungspolitik allzuhüufig mit den wirtschaftlichen Grenzen nicht zusammenfallen. Also Eisenbahnen! Hier erhebt sich aber die nüchterne Frage: Was be¬ zwecken wir mit unsern Kolonialbahnen, was können wir demnach dafür aus¬ geben? Jahrelang hatten die Riesenunternehmen der Engländer — die ägyptische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/238>, abgerufen am 27.12.2024.