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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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besitzes. Die berechtigten Forderungen des Proletariats gründen sich auf die
Genossenschaftsarbeit -- tiavg.it assoois -- und haben als Ausgangspunkt den
Ankauf eines Bruchteils des Industriekapitals durch den Arbeiter. Wenn in
einer Fabrik von fünftausend Arbeitern auch nur fünfhundert eine Aktie von
100 Franken besitzen, wird sich schon sehr viel ändern: zunächst gibt es
dann fünfhundert neue Eigentümer, d. h. fünfhundert Männer, die von nun
an etwas zu bewahren haben -- und dann sicherlich fünfhundert Streikgegner.
Verallgemeinert und entwickelt man diese Erfahrung, macht man dem dema¬
gogischen Sozialismus ein Ende.

Japy, selbst Fabrikbesitzer, führt diese Gedanken näher aus. Jede pro¬
duktive Unternehmung setzt dreierlei voraus: Kapital, Leitung, Handarbeit.
Wenn sich alle drei einig und einer für alle tätig sind, ist es für das Kapital
selbst von Vorteil, einen Teil des Einkommens hinzugeben, um die Arbeiter,
die Werkführer, Ingenieure, Direktoren usw. an dem Unternehmen zu inter¬
essieren. Mit diesem Augenblick wird der Arbeiter ein andrer; seine Dienststunden
sind nicht mehr eine Fron, die er abzukürzen sucht, und er sucht nicht mehr
dem Herrn des Unternehmens zu schaden, wo er kann, durch Wahl feind¬
seliger Abgeordneter, durch Propaganda für betriebsschädliche Gesetze, vor allem
durch Streik. Er wird den sozialdemokratischen Hetzer nach Hause schicken
und sich bei Streitigkeiten mit dem Unternehmer an ein Schiedsgericht wenden,
das zu diesem Zweck mit allen Garantien unparteiischer Rechtsprechung einge¬
richtet wird.

Wie soll aber der Arbeiter dazu kommen, die notwendigen Ersparnisse zu
machen, um eine Aktie zu kaufen? Da wird auf die Sparkassen hingewiesen,
deren Einlagen in Frankreich vier Milliarden betragen, und deren Einzeldepot
1500 Franken gar nicht übersteigen darf. Hier sind also Massen von Arbeitern
schon beteiligt. Läge es nicht mehr in ihrem Interesse, ihr kleines Kapital
mit größerm Vorteil ihrer Industrie anzuvertrauen als dem Staat? Die Unter¬
nehmer werden aber, so wird man einwenden, wenig Neigung haben, ihre
Leute am Gewinn Anteil haben zu lassen. Weil sie die neue Lehre noch nicht
versteh", antworten die Gelben. Als man den Papierindustriellen Laroche-
Joubert, der das gelbe System zuerst in seinem Betrieb eingeführt hat, wegen
seiner "guten Tat" beglückwünschte, erwiderte er: "Vielleicht ist es eine gute
Tat -- aber es ist auch ein gutes Geschäft." Zurzeit haben mehr als
hundert Unternehmungen die neuen Grundsätze der Arbeiterassoziation einge¬
führt, und man nimmt an, daß die Zögernden schließlich gezwungen sein werden
zu folgen, wenn sie nicht erdrückt werden wollen. In dem Musterbetriebe
Laroche-Joubert liegen die Dinge so, daß jeder Arbeiter Ersparnisse, die er
von seinem Arbeitslohn oder sonstwie macht, in dem Geschüft anlegen kann.
Er erhält dafür erstens eine bestimmte Verzinsung und zweitens einen Gewinn¬
prozentsatz am Jahresschluß. Wenn die Einlage den Betrag von 1000 Franken
^reicht, ist der Arbeiter Aktionär. Natürlich kann man auch auf Aktien von


Line neue Arbeiterpartei

besitzes. Die berechtigten Forderungen des Proletariats gründen sich auf die
Genossenschaftsarbeit — tiavg.it assoois — und haben als Ausgangspunkt den
Ankauf eines Bruchteils des Industriekapitals durch den Arbeiter. Wenn in
einer Fabrik von fünftausend Arbeitern auch nur fünfhundert eine Aktie von
100 Franken besitzen, wird sich schon sehr viel ändern: zunächst gibt es
dann fünfhundert neue Eigentümer, d. h. fünfhundert Männer, die von nun
an etwas zu bewahren haben — und dann sicherlich fünfhundert Streikgegner.
Verallgemeinert und entwickelt man diese Erfahrung, macht man dem dema¬
gogischen Sozialismus ein Ende.

Japy, selbst Fabrikbesitzer, führt diese Gedanken näher aus. Jede pro¬
duktive Unternehmung setzt dreierlei voraus: Kapital, Leitung, Handarbeit.
Wenn sich alle drei einig und einer für alle tätig sind, ist es für das Kapital
selbst von Vorteil, einen Teil des Einkommens hinzugeben, um die Arbeiter,
die Werkführer, Ingenieure, Direktoren usw. an dem Unternehmen zu inter¬
essieren. Mit diesem Augenblick wird der Arbeiter ein andrer; seine Dienststunden
sind nicht mehr eine Fron, die er abzukürzen sucht, und er sucht nicht mehr
dem Herrn des Unternehmens zu schaden, wo er kann, durch Wahl feind¬
seliger Abgeordneter, durch Propaganda für betriebsschädliche Gesetze, vor allem
durch Streik. Er wird den sozialdemokratischen Hetzer nach Hause schicken
und sich bei Streitigkeiten mit dem Unternehmer an ein Schiedsgericht wenden,
das zu diesem Zweck mit allen Garantien unparteiischer Rechtsprechung einge¬
richtet wird.

Wie soll aber der Arbeiter dazu kommen, die notwendigen Ersparnisse zu
machen, um eine Aktie zu kaufen? Da wird auf die Sparkassen hingewiesen,
deren Einlagen in Frankreich vier Milliarden betragen, und deren Einzeldepot
1500 Franken gar nicht übersteigen darf. Hier sind also Massen von Arbeitern
schon beteiligt. Läge es nicht mehr in ihrem Interesse, ihr kleines Kapital
mit größerm Vorteil ihrer Industrie anzuvertrauen als dem Staat? Die Unter¬
nehmer werden aber, so wird man einwenden, wenig Neigung haben, ihre
Leute am Gewinn Anteil haben zu lassen. Weil sie die neue Lehre noch nicht
versteh», antworten die Gelben. Als man den Papierindustriellen Laroche-
Joubert, der das gelbe System zuerst in seinem Betrieb eingeführt hat, wegen
seiner „guten Tat" beglückwünschte, erwiderte er: „Vielleicht ist es eine gute
Tat — aber es ist auch ein gutes Geschäft." Zurzeit haben mehr als
hundert Unternehmungen die neuen Grundsätze der Arbeiterassoziation einge¬
führt, und man nimmt an, daß die Zögernden schließlich gezwungen sein werden
zu folgen, wenn sie nicht erdrückt werden wollen. In dem Musterbetriebe
Laroche-Joubert liegen die Dinge so, daß jeder Arbeiter Ersparnisse, die er
von seinem Arbeitslohn oder sonstwie macht, in dem Geschüft anlegen kann.
Er erhält dafür erstens eine bestimmte Verzinsung und zweitens einen Gewinn¬
prozentsatz am Jahresschluß. Wenn die Einlage den Betrag von 1000 Franken
^reicht, ist der Arbeiter Aktionär. Natürlich kann man auch auf Aktien von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/193>, abgerufen am 27.12.2024.