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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Lckerinann an Goethe

(S. 137). Wie eifrig Goethe im Frühling 1826 gearbeitet und welchen An¬
teil Eckermann an dieser Arbeit genommen hat, verrät uns Goethes Tagebuch,
besonders die Eintragungen vom Mai 1826. Am Tage der Abreise Ecker¬
manns von Weimar hat Goethe in der Tat die Helena "abgeschlossen", und
den ganzen Juni hindurch beschäftigen ihn die Durchsicht und die Reinschrift
seines Werkes. Darum findet Eckermann bei seiner Heimkehr die Helena fertig
und liest sie am 16. Juli "hinaus". Dies meldet er im ersten Briefe seiner
Braut: "Am nächsten Morgen frühstückte ich mit dem alten Goethe, nachdem
ich zuvor seine Helena gelesen hatte, die während meiner Abwesenheit war
vollendet worden. Es ist ein großes kaum begreifliches Werk. Ihrer Theilnahme,
sagte Goethe, kann ich es doch verdanken, daß das Stück nun vollendet ist."
Wie stolz Eckermann auf diesen Anteil ist, beweist er uns in den "Gesprächen"
(7. März 1836), in denen er an eine ähnliche Anerkennung seines Verdienstes
um den Faust die Bemerkung anknüpft: "Ich freute mich dieser Worte, im Ge¬
fühl, daß daran viel Wahres sein möge."

So zeigen uns die beiden mitgeteilten Briefe, indem sie uns auf die ver¬
schiedensten Gebiete des menschlichen Schaffens, besonders auf die der Dichtung,
der Kunst und des praktischen Lebens, führen, Goethe in seiner ganzen Viel¬
seitigkeit und seinen jüngern Verehrer in dem heißen Bemühn, seinem großen
Vorbilde in dieser Vielseitigkeit der Interessen nachzustreben und immer ähn¬
licher zu werden. Wohltuend wirkt der warme, vertrauliche Ton, den Ecker¬
mann in beiden Briefen anschlägt. Hier schreibt nicht ein niedriger gestellter
steif und förmlich an den Herrn Geheimerat, sondern der jüngere zwanglos und
doch respektvoll an den ältern Freund. Das Verhältnis beider Männer er¬
scheint in dem warmen Lichte reiner, schlichter Menschlichkeit.

Die Geringschätzung Eckermanns, die lange Zeit Mode gewesen ist,*) ist
in den letzten Jahren einer gerechtern Würdigung seines Wesens und seiner
Verdienste gewichen. Auch diese beiden Briefe vermögen das Verständnis für
den schlichten Sohn der Lüneburger Heide mit seiner scharfen Beobachtungs¬
gabe und seiner anspruchslosen, liebenswürdigen Erzählerkunst zu heben und
ihn in seiner treuen, selbstlosen Hingebung an Goethe und in seinem Bestreben,
sich an dem Lebensmeister zu bilden, der Gegenwart näher zu bringen. Er
verdient es gewißlich.





Heine spottete in seinem Tannhäuser:
In Weimar, dein Musemvitwensitz,
Da hört ich viel Klagen erheben,
Man weinte und jammerte: Goethe sei tot,
Und Eckermann sei noch am Leben.
Lckerinann an Goethe

(S. 137). Wie eifrig Goethe im Frühling 1826 gearbeitet und welchen An¬
teil Eckermann an dieser Arbeit genommen hat, verrät uns Goethes Tagebuch,
besonders die Eintragungen vom Mai 1826. Am Tage der Abreise Ecker¬
manns von Weimar hat Goethe in der Tat die Helena „abgeschlossen", und
den ganzen Juni hindurch beschäftigen ihn die Durchsicht und die Reinschrift
seines Werkes. Darum findet Eckermann bei seiner Heimkehr die Helena fertig
und liest sie am 16. Juli „hinaus". Dies meldet er im ersten Briefe seiner
Braut: „Am nächsten Morgen frühstückte ich mit dem alten Goethe, nachdem
ich zuvor seine Helena gelesen hatte, die während meiner Abwesenheit war
vollendet worden. Es ist ein großes kaum begreifliches Werk. Ihrer Theilnahme,
sagte Goethe, kann ich es doch verdanken, daß das Stück nun vollendet ist."
Wie stolz Eckermann auf diesen Anteil ist, beweist er uns in den „Gesprächen"
(7. März 1836), in denen er an eine ähnliche Anerkennung seines Verdienstes
um den Faust die Bemerkung anknüpft: „Ich freute mich dieser Worte, im Ge¬
fühl, daß daran viel Wahres sein möge."

So zeigen uns die beiden mitgeteilten Briefe, indem sie uns auf die ver¬
schiedensten Gebiete des menschlichen Schaffens, besonders auf die der Dichtung,
der Kunst und des praktischen Lebens, führen, Goethe in seiner ganzen Viel¬
seitigkeit und seinen jüngern Verehrer in dem heißen Bemühn, seinem großen
Vorbilde in dieser Vielseitigkeit der Interessen nachzustreben und immer ähn¬
licher zu werden. Wohltuend wirkt der warme, vertrauliche Ton, den Ecker¬
mann in beiden Briefen anschlägt. Hier schreibt nicht ein niedriger gestellter
steif und förmlich an den Herrn Geheimerat, sondern der jüngere zwanglos und
doch respektvoll an den ältern Freund. Das Verhältnis beider Männer er¬
scheint in dem warmen Lichte reiner, schlichter Menschlichkeit.

Die Geringschätzung Eckermanns, die lange Zeit Mode gewesen ist,*) ist
in den letzten Jahren einer gerechtern Würdigung seines Wesens und seiner
Verdienste gewichen. Auch diese beiden Briefe vermögen das Verständnis für
den schlichten Sohn der Lüneburger Heide mit seiner scharfen Beobachtungs¬
gabe und seiner anspruchslosen, liebenswürdigen Erzählerkunst zu heben und
ihn in seiner treuen, selbstlosen Hingebung an Goethe und in seinem Bestreben,
sich an dem Lebensmeister zu bilden, der Gegenwart näher zu bringen. Er
verdient es gewißlich.





Heine spottete in seinem Tannhäuser:
In Weimar, dein Musemvitwensitz,
Da hört ich viel Klagen erheben,
Man weinte und jammerte: Goethe sei tot,
Und Eckermann sei noch am Leben.
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[0150] Lckerinann an Goethe (S. 137). Wie eifrig Goethe im Frühling 1826 gearbeitet und welchen An¬ teil Eckermann an dieser Arbeit genommen hat, verrät uns Goethes Tagebuch, besonders die Eintragungen vom Mai 1826. Am Tage der Abreise Ecker¬ manns von Weimar hat Goethe in der Tat die Helena „abgeschlossen", und den ganzen Juni hindurch beschäftigen ihn die Durchsicht und die Reinschrift seines Werkes. Darum findet Eckermann bei seiner Heimkehr die Helena fertig und liest sie am 16. Juli „hinaus". Dies meldet er im ersten Briefe seiner Braut: „Am nächsten Morgen frühstückte ich mit dem alten Goethe, nachdem ich zuvor seine Helena gelesen hatte, die während meiner Abwesenheit war vollendet worden. Es ist ein großes kaum begreifliches Werk. Ihrer Theilnahme, sagte Goethe, kann ich es doch verdanken, daß das Stück nun vollendet ist." Wie stolz Eckermann auf diesen Anteil ist, beweist er uns in den „Gesprächen" (7. März 1836), in denen er an eine ähnliche Anerkennung seines Verdienstes um den Faust die Bemerkung anknüpft: „Ich freute mich dieser Worte, im Ge¬ fühl, daß daran viel Wahres sein möge." So zeigen uns die beiden mitgeteilten Briefe, indem sie uns auf die ver¬ schiedensten Gebiete des menschlichen Schaffens, besonders auf die der Dichtung, der Kunst und des praktischen Lebens, führen, Goethe in seiner ganzen Viel¬ seitigkeit und seinen jüngern Verehrer in dem heißen Bemühn, seinem großen Vorbilde in dieser Vielseitigkeit der Interessen nachzustreben und immer ähn¬ licher zu werden. Wohltuend wirkt der warme, vertrauliche Ton, den Ecker¬ mann in beiden Briefen anschlägt. Hier schreibt nicht ein niedriger gestellter steif und förmlich an den Herrn Geheimerat, sondern der jüngere zwanglos und doch respektvoll an den ältern Freund. Das Verhältnis beider Männer er¬ scheint in dem warmen Lichte reiner, schlichter Menschlichkeit. Die Geringschätzung Eckermanns, die lange Zeit Mode gewesen ist,*) ist in den letzten Jahren einer gerechtern Würdigung seines Wesens und seiner Verdienste gewichen. Auch diese beiden Briefe vermögen das Verständnis für den schlichten Sohn der Lüneburger Heide mit seiner scharfen Beobachtungs¬ gabe und seiner anspruchslosen, liebenswürdigen Erzählerkunst zu heben und ihn in seiner treuen, selbstlosen Hingebung an Goethe und in seinem Bestreben, sich an dem Lebensmeister zu bilden, der Gegenwart näher zu bringen. Er verdient es gewißlich. Heine spottete in seinem Tannhäuser: In Weimar, dein Musemvitwensitz, Da hört ich viel Klagen erheben, Man weinte und jammerte: Goethe sei tot, Und Eckermann sei noch am Leben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/150>, abgerufen am 23.07.2024.