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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Lckermann an Goethe

Doch traute ich dieser Bekanntschaft nicht recht. Auch I^ora L^ron wollte er
gesehen haben. Er schalt auf L^rons schlechten Character. Ich ließ ihn reden.

Diesem gegenüber, an meiner Seite, saß ein junger Mann von sehr be¬
deutender Persönlichkeit. Seinem Alter nach in den zwanzigen. Groß von
Wuchs, alle seine Bewegungen waren grandios und edel. Sein Gesicht war
bedeutend, ohne genial zu seyn. Seine Züge waren stumpf, entschiedene Biederkeit
war der Ausdruck seines Gesichts. Seine Gesichtsfarbe war gelb. Er trug
einen kleinen schwarzen Schnurrbart wie der König von Preußen. Als er die
Mütze abnahm, sah ich eine sehr edle hohe Stirn. Sein Haar war schwarz
glänzend. Seine Kleidung war grau, bestehend in einem polnischen Oberrock
und Pantalons. Er hatte starke gesunde Zähne. Die Tabackspfeife ließ er nie
kalt werden. Seine Hände waren schlank und fein. Der Hammer an seinem
Stock bezeichnete ihn als einen Bergmann, wenigstens als einen Mineralogen
und das schien er auch zu seyn. Er hatte viele Reisen gemacht und sprach sehr
gut über alle Gegenstünde. Seine Reden verriethen eine gute Familie, gute
Erziehung und sehr vielseitige Ausbildung. Als Mineraloge hatte er gute geo¬
graphische Kenntnisse. Daran schlössen sich die geschichtlichen und politischen.
Ein großes Gedächtniß schien er zu haben. Er nahm seinem Character nach
alles von der moralischen Seite, doch mehr im Großen. Urtheil hatte er weniger.
Er hatte ein treffliches Organ und sprach sehr wohl. Doch merkte man daß
er Gehörtes nachrede. Ich war meistentheils stumm und hörte seinen Gesprächen
mit dem reisenden Aentleillan zu. Von Napoleon, Lord L^ron und Ihnen war
wiederholt die Rede als drey großen Interessen des Tages. Ich that als wüßte
ich von Ihnen wenig. Ich fragte ob Sie in der Mineralogie viel gethan. Er
sagte Sie seyen ein großer Liebhaber von Steinen und hätten bey Ihrer Schweizer¬
reise 5. Frachtwagen mit Mineralien sich nach Msim^r nachfahren lassen. Ich
lachte und that als ob ich es glaubte. Daun sprach er von einigen Ihrer
poetischen Werke mit großer Bewunderung, besonders lieb waren ihm Ihre
.Leinen aus Italien, wie er Ihre Elegien nannte. Von Ihrer Vielseitigkeit
wollte er nicht gutes reden, dagegen rühmte er Klopstock und Schiller. In
Klopstock sagte er finden Sie die religiöse Erhebung ausgesprochen, in
Schiller die moralische Freyheit, allein was in Goethe? Ich sagte: die
Welt! -- Er stutzte und sagte nach: die Welt. -- Es entstand eine große
Pause. Ich war wieder stumm wie vorher, er setzte sodann seine Gespräche
mit dem feinen Lieutenant und Pferdehändler und Freunde von MMer 8<zott
und Noors fort. Mir schienen sie nicht recht mehr zu trauen.

Als schöne Natur und Landschaft entzückte mich der Anblick von Numa<W,
wo die Werra und Fulda zusammenfließen, und wo man die ersten Weserschiffe
sieht. Die sanftgeformten Berge sind mit den frischesten Buchwäldern bedeckt.
Es giebt keinen wohlthätigem Anblick als diese schöne Gegend bey Nünäsn.
Nach 5. Uhr waren wir in 6öttmMn. Eine halbe Stunde verweilte die Post.
Jemanden zu besuchen fehlte es an Neigung und Zeit. Um 6. Uhr fuhren wir


Lckermann an Goethe

Doch traute ich dieser Bekanntschaft nicht recht. Auch I^ora L^ron wollte er
gesehen haben. Er schalt auf L^rons schlechten Character. Ich ließ ihn reden.

Diesem gegenüber, an meiner Seite, saß ein junger Mann von sehr be¬
deutender Persönlichkeit. Seinem Alter nach in den zwanzigen. Groß von
Wuchs, alle seine Bewegungen waren grandios und edel. Sein Gesicht war
bedeutend, ohne genial zu seyn. Seine Züge waren stumpf, entschiedene Biederkeit
war der Ausdruck seines Gesichts. Seine Gesichtsfarbe war gelb. Er trug
einen kleinen schwarzen Schnurrbart wie der König von Preußen. Als er die
Mütze abnahm, sah ich eine sehr edle hohe Stirn. Sein Haar war schwarz
glänzend. Seine Kleidung war grau, bestehend in einem polnischen Oberrock
und Pantalons. Er hatte starke gesunde Zähne. Die Tabackspfeife ließ er nie
kalt werden. Seine Hände waren schlank und fein. Der Hammer an seinem
Stock bezeichnete ihn als einen Bergmann, wenigstens als einen Mineralogen
und das schien er auch zu seyn. Er hatte viele Reisen gemacht und sprach sehr
gut über alle Gegenstünde. Seine Reden verriethen eine gute Familie, gute
Erziehung und sehr vielseitige Ausbildung. Als Mineraloge hatte er gute geo¬
graphische Kenntnisse. Daran schlössen sich die geschichtlichen und politischen.
Ein großes Gedächtniß schien er zu haben. Er nahm seinem Character nach
alles von der moralischen Seite, doch mehr im Großen. Urtheil hatte er weniger.
Er hatte ein treffliches Organ und sprach sehr wohl. Doch merkte man daß
er Gehörtes nachrede. Ich war meistentheils stumm und hörte seinen Gesprächen
mit dem reisenden Aentleillan zu. Von Napoleon, Lord L^ron und Ihnen war
wiederholt die Rede als drey großen Interessen des Tages. Ich that als wüßte
ich von Ihnen wenig. Ich fragte ob Sie in der Mineralogie viel gethan. Er
sagte Sie seyen ein großer Liebhaber von Steinen und hätten bey Ihrer Schweizer¬
reise 5. Frachtwagen mit Mineralien sich nach Msim^r nachfahren lassen. Ich
lachte und that als ob ich es glaubte. Daun sprach er von einigen Ihrer
poetischen Werke mit großer Bewunderung, besonders lieb waren ihm Ihre
.Leinen aus Italien, wie er Ihre Elegien nannte. Von Ihrer Vielseitigkeit
wollte er nicht gutes reden, dagegen rühmte er Klopstock und Schiller. In
Klopstock sagte er finden Sie die religiöse Erhebung ausgesprochen, in
Schiller die moralische Freyheit, allein was in Goethe? Ich sagte: die
Welt! — Er stutzte und sagte nach: die Welt. — Es entstand eine große
Pause. Ich war wieder stumm wie vorher, er setzte sodann seine Gespräche
mit dem feinen Lieutenant und Pferdehändler und Freunde von MMer 8<zott
und Noors fort. Mir schienen sie nicht recht mehr zu trauen.

Als schöne Natur und Landschaft entzückte mich der Anblick von Numa<W,
wo die Werra und Fulda zusammenfließen, und wo man die ersten Weserschiffe
sieht. Die sanftgeformten Berge sind mit den frischesten Buchwäldern bedeckt.
Es giebt keinen wohlthätigem Anblick als diese schöne Gegend bey Nünäsn.
Nach 5. Uhr waren wir in 6öttmMn. Eine halbe Stunde verweilte die Post.
Jemanden zu besuchen fehlte es an Neigung und Zeit. Um 6. Uhr fuhren wir


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[0142] Lckermann an Goethe Doch traute ich dieser Bekanntschaft nicht recht. Auch I^ora L^ron wollte er gesehen haben. Er schalt auf L^rons schlechten Character. Ich ließ ihn reden. Diesem gegenüber, an meiner Seite, saß ein junger Mann von sehr be¬ deutender Persönlichkeit. Seinem Alter nach in den zwanzigen. Groß von Wuchs, alle seine Bewegungen waren grandios und edel. Sein Gesicht war bedeutend, ohne genial zu seyn. Seine Züge waren stumpf, entschiedene Biederkeit war der Ausdruck seines Gesichts. Seine Gesichtsfarbe war gelb. Er trug einen kleinen schwarzen Schnurrbart wie der König von Preußen. Als er die Mütze abnahm, sah ich eine sehr edle hohe Stirn. Sein Haar war schwarz glänzend. Seine Kleidung war grau, bestehend in einem polnischen Oberrock und Pantalons. Er hatte starke gesunde Zähne. Die Tabackspfeife ließ er nie kalt werden. Seine Hände waren schlank und fein. Der Hammer an seinem Stock bezeichnete ihn als einen Bergmann, wenigstens als einen Mineralogen und das schien er auch zu seyn. Er hatte viele Reisen gemacht und sprach sehr gut über alle Gegenstünde. Seine Reden verriethen eine gute Familie, gute Erziehung und sehr vielseitige Ausbildung. Als Mineraloge hatte er gute geo¬ graphische Kenntnisse. Daran schlössen sich die geschichtlichen und politischen. Ein großes Gedächtniß schien er zu haben. Er nahm seinem Character nach alles von der moralischen Seite, doch mehr im Großen. Urtheil hatte er weniger. Er hatte ein treffliches Organ und sprach sehr wohl. Doch merkte man daß er Gehörtes nachrede. Ich war meistentheils stumm und hörte seinen Gesprächen mit dem reisenden Aentleillan zu. Von Napoleon, Lord L^ron und Ihnen war wiederholt die Rede als drey großen Interessen des Tages. Ich that als wüßte ich von Ihnen wenig. Ich fragte ob Sie in der Mineralogie viel gethan. Er sagte Sie seyen ein großer Liebhaber von Steinen und hätten bey Ihrer Schweizer¬ reise 5. Frachtwagen mit Mineralien sich nach Msim^r nachfahren lassen. Ich lachte und that als ob ich es glaubte. Daun sprach er von einigen Ihrer poetischen Werke mit großer Bewunderung, besonders lieb waren ihm Ihre .Leinen aus Italien, wie er Ihre Elegien nannte. Von Ihrer Vielseitigkeit wollte er nicht gutes reden, dagegen rühmte er Klopstock und Schiller. In Klopstock sagte er finden Sie die religiöse Erhebung ausgesprochen, in Schiller die moralische Freyheit, allein was in Goethe? Ich sagte: die Welt! — Er stutzte und sagte nach: die Welt. — Es entstand eine große Pause. Ich war wieder stumm wie vorher, er setzte sodann seine Gespräche mit dem feinen Lieutenant und Pferdehändler und Freunde von MMer 8<zott und Noors fort. Mir schienen sie nicht recht mehr zu trauen. Als schöne Natur und Landschaft entzückte mich der Anblick von Numa<W, wo die Werra und Fulda zusammenfließen, und wo man die ersten Weserschiffe sieht. Die sanftgeformten Berge sind mit den frischesten Buchwäldern bedeckt. Es giebt keinen wohlthätigem Anblick als diese schöne Gegend bey Nünäsn. Nach 5. Uhr waren wir in 6öttmMn. Eine halbe Stunde verweilte die Post. Jemanden zu besuchen fehlte es an Neigung und Zeit. Um 6. Uhr fuhren wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/142>, abgerufen am 27.12.2024.