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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Der Bopparder Krieg

genießen konnte. Und da des Ochsens Wohlgestalt und Körperfülle einen tiefern
Eindruck auf den alten Herrn machten als des Ratsschreibers theologische Argu¬
mente, traten ihm Tränen der Rührung in die Augen, und er gab seinem Dank
in bewegten Worten Ausdruck, wobei er zugleich bat, man möchte das Tier seinen
Leuten in Kamp hinüberbringen, damit auch sie, die der Kirmes hätten fern bleiben
müssen, einer Festfreude teilhaftig würden.

Die Ratsherren unten im Hofe, in deren Häuptern der auf der Wiese ge¬
nossene Wein Wetter wirkte und die heitersten Phantasmen erzeugte, hatten Mühe,
bei diesen Worten ernst zu bleiben. Sobald sich jedoch der Kurfürst wieder zurück¬
gezogen hatte, steckten sie die Köpfe zusammen, raunten einander höchst unehrerbietige
Späße zu und beeilten sich, mit ihrem Ochsen aus dem Bereiche des Klosters zu
kommen, um draußen nach Herzenslust lachen zu können. Und weil der Erfolg
ihren Mut ins ungemessene steigerte und ihrer Neigung, dem alten fröhlichen
Widersacher eine Nase zu drehen, neuen Ansporn gab, faßten sie den Beschluß, dem
Kurfürsten auch noch für seine in Filsen liegende Mannschaft einen Ochsen zu
stiften, der natürlich kein andrer sein konnte als der, den man ihm soeben dar¬
gebracht hatte, und den man jetzt über den Rhein nach Kamp schaffen sollte. Man
geleitete also in eorxors das arme Opfertier in die Stadt, brachte es jedoch nicht
in den Fährnachen, sondern wiederum in Engel Thulls Hof und überstrich es dort
vom Kopf bis zu der Schwanzspitze so gründlich und vollständig mit Kalk, daß
es die Lilien auf dem Felde an strahlender Reinheit übertraf. Da aber erhob
der Metzgermeister Balduin Bochler seine warnende Stimme, meinte, die übergroße
Weiße möchte doch wohl den ganzen Anschlag ans Licht bringen, und bestand darauf,
daß Meister Thull, der diesesmal selbst den Pinsel geführt hatte, den Stellen, die
bei weißem Rindvieh gemeiniglich ein wenig gelb oder bräunlich seien, insonderheit
den untern Beinen, dem Bauch und den Keulen, mit verdünnter Lohbrühe die
natürliche Farbe gebe. Engel Thull ließ sich bekehren, und weil er aus Furcht,
durch den braune" Ton die Wirkung der Grundfarbe allzusehr zu beeinträchtigen,
mit der Lohbrühe äußerst sparsam umging und sie so verdünnt wie möglich auf¬
trug, entstand ein Werk von einer so subtilen Natürlichkeit, daß sich dessen keiner
der großen Kölner Schildermeister hätte zu schämen brauchen.

Und nun wandelte das lebende Gemälde, vom Künstler selbst am Strick ge¬
führt und von der ganzen Natsversammlung geleitet, bergan zum Kloster, und da
es, des ungewohnten Promenierens überdrüssig, im Hofe gerade unter den Fenstern
des Refektoriums ein klägliches Gebrüll ausstieß, so rief es den Kurfürsten an das
Fenster, bevor man Severus Classen zum zweitenmal an den Gebietenden ab<
ordnen konnte.

Der Ratsschreiber war froh, sich den sauern Weg ersparen zu können und die
Ansprache aus sichrer Ferne halten zu dürfen.

Kurfürstliche Gnaden, so sagte er etwa, verzeihet, daß wir Euer Ohr ein
andermal mit einer demütigen Bitte zu belästigen uns erkühnen, aber es scheint
uns unbillig, daß Eure Leute zu Filsen leer ausgehn sollten, wenn die zu Kamp
einen Ochsen erhalten. Erlaubt, daß wir diesen hier, der gewiß nicht um ein Quent-
lein leichter ist denn der Schenke, den Fähnlein von Montabaur und von Limburg
hinüberbringen.

Und ehe der Kurfürst feiner Verwunderung Herr zu werden und seinen
gnädigen Dank abzustatten vermochte, setzte sich die verwegne Schar mit dem ge¬
schminkten Wiederkäuer in Bewegung und zog unter Lachen und Jauchzen wieder
in die Stadt. Besonnene Männer rieten, des Schelmenstückleins jetzt genug sein
zu lassen und das Tier nach einer gründlichen Säuberung wieder in den Burg-


Der Bopparder Krieg

genießen konnte. Und da des Ochsens Wohlgestalt und Körperfülle einen tiefern
Eindruck auf den alten Herrn machten als des Ratsschreibers theologische Argu¬
mente, traten ihm Tränen der Rührung in die Augen, und er gab seinem Dank
in bewegten Worten Ausdruck, wobei er zugleich bat, man möchte das Tier seinen
Leuten in Kamp hinüberbringen, damit auch sie, die der Kirmes hätten fern bleiben
müssen, einer Festfreude teilhaftig würden.

Die Ratsherren unten im Hofe, in deren Häuptern der auf der Wiese ge¬
nossene Wein Wetter wirkte und die heitersten Phantasmen erzeugte, hatten Mühe,
bei diesen Worten ernst zu bleiben. Sobald sich jedoch der Kurfürst wieder zurück¬
gezogen hatte, steckten sie die Köpfe zusammen, raunten einander höchst unehrerbietige
Späße zu und beeilten sich, mit ihrem Ochsen aus dem Bereiche des Klosters zu
kommen, um draußen nach Herzenslust lachen zu können. Und weil der Erfolg
ihren Mut ins ungemessene steigerte und ihrer Neigung, dem alten fröhlichen
Widersacher eine Nase zu drehen, neuen Ansporn gab, faßten sie den Beschluß, dem
Kurfürsten auch noch für seine in Filsen liegende Mannschaft einen Ochsen zu
stiften, der natürlich kein andrer sein konnte als der, den man ihm soeben dar¬
gebracht hatte, und den man jetzt über den Rhein nach Kamp schaffen sollte. Man
geleitete also in eorxors das arme Opfertier in die Stadt, brachte es jedoch nicht
in den Fährnachen, sondern wiederum in Engel Thulls Hof und überstrich es dort
vom Kopf bis zu der Schwanzspitze so gründlich und vollständig mit Kalk, daß
es die Lilien auf dem Felde an strahlender Reinheit übertraf. Da aber erhob
der Metzgermeister Balduin Bochler seine warnende Stimme, meinte, die übergroße
Weiße möchte doch wohl den ganzen Anschlag ans Licht bringen, und bestand darauf,
daß Meister Thull, der diesesmal selbst den Pinsel geführt hatte, den Stellen, die
bei weißem Rindvieh gemeiniglich ein wenig gelb oder bräunlich seien, insonderheit
den untern Beinen, dem Bauch und den Keulen, mit verdünnter Lohbrühe die
natürliche Farbe gebe. Engel Thull ließ sich bekehren, und weil er aus Furcht,
durch den braune» Ton die Wirkung der Grundfarbe allzusehr zu beeinträchtigen,
mit der Lohbrühe äußerst sparsam umging und sie so verdünnt wie möglich auf¬
trug, entstand ein Werk von einer so subtilen Natürlichkeit, daß sich dessen keiner
der großen Kölner Schildermeister hätte zu schämen brauchen.

Und nun wandelte das lebende Gemälde, vom Künstler selbst am Strick ge¬
führt und von der ganzen Natsversammlung geleitet, bergan zum Kloster, und da
es, des ungewohnten Promenierens überdrüssig, im Hofe gerade unter den Fenstern
des Refektoriums ein klägliches Gebrüll ausstieß, so rief es den Kurfürsten an das
Fenster, bevor man Severus Classen zum zweitenmal an den Gebietenden ab<
ordnen konnte.

Der Ratsschreiber war froh, sich den sauern Weg ersparen zu können und die
Ansprache aus sichrer Ferne halten zu dürfen.

Kurfürstliche Gnaden, so sagte er etwa, verzeihet, daß wir Euer Ohr ein
andermal mit einer demütigen Bitte zu belästigen uns erkühnen, aber es scheint
uns unbillig, daß Eure Leute zu Filsen leer ausgehn sollten, wenn die zu Kamp
einen Ochsen erhalten. Erlaubt, daß wir diesen hier, der gewiß nicht um ein Quent-
lein leichter ist denn der Schenke, den Fähnlein von Montabaur und von Limburg
hinüberbringen.

Und ehe der Kurfürst feiner Verwunderung Herr zu werden und seinen
gnädigen Dank abzustatten vermochte, setzte sich die verwegne Schar mit dem ge¬
schminkten Wiederkäuer in Bewegung und zog unter Lachen und Jauchzen wieder
in die Stadt. Besonnene Männer rieten, des Schelmenstückleins jetzt genug sein
zu lassen und das Tier nach einer gründlichen Säuberung wieder in den Burg-


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[0116] Der Bopparder Krieg genießen konnte. Und da des Ochsens Wohlgestalt und Körperfülle einen tiefern Eindruck auf den alten Herrn machten als des Ratsschreibers theologische Argu¬ mente, traten ihm Tränen der Rührung in die Augen, und er gab seinem Dank in bewegten Worten Ausdruck, wobei er zugleich bat, man möchte das Tier seinen Leuten in Kamp hinüberbringen, damit auch sie, die der Kirmes hätten fern bleiben müssen, einer Festfreude teilhaftig würden. Die Ratsherren unten im Hofe, in deren Häuptern der auf der Wiese ge¬ nossene Wein Wetter wirkte und die heitersten Phantasmen erzeugte, hatten Mühe, bei diesen Worten ernst zu bleiben. Sobald sich jedoch der Kurfürst wieder zurück¬ gezogen hatte, steckten sie die Köpfe zusammen, raunten einander höchst unehrerbietige Späße zu und beeilten sich, mit ihrem Ochsen aus dem Bereiche des Klosters zu kommen, um draußen nach Herzenslust lachen zu können. Und weil der Erfolg ihren Mut ins ungemessene steigerte und ihrer Neigung, dem alten fröhlichen Widersacher eine Nase zu drehen, neuen Ansporn gab, faßten sie den Beschluß, dem Kurfürsten auch noch für seine in Filsen liegende Mannschaft einen Ochsen zu stiften, der natürlich kein andrer sein konnte als der, den man ihm soeben dar¬ gebracht hatte, und den man jetzt über den Rhein nach Kamp schaffen sollte. Man geleitete also in eorxors das arme Opfertier in die Stadt, brachte es jedoch nicht in den Fährnachen, sondern wiederum in Engel Thulls Hof und überstrich es dort vom Kopf bis zu der Schwanzspitze so gründlich und vollständig mit Kalk, daß es die Lilien auf dem Felde an strahlender Reinheit übertraf. Da aber erhob der Metzgermeister Balduin Bochler seine warnende Stimme, meinte, die übergroße Weiße möchte doch wohl den ganzen Anschlag ans Licht bringen, und bestand darauf, daß Meister Thull, der diesesmal selbst den Pinsel geführt hatte, den Stellen, die bei weißem Rindvieh gemeiniglich ein wenig gelb oder bräunlich seien, insonderheit den untern Beinen, dem Bauch und den Keulen, mit verdünnter Lohbrühe die natürliche Farbe gebe. Engel Thull ließ sich bekehren, und weil er aus Furcht, durch den braune» Ton die Wirkung der Grundfarbe allzusehr zu beeinträchtigen, mit der Lohbrühe äußerst sparsam umging und sie so verdünnt wie möglich auf¬ trug, entstand ein Werk von einer so subtilen Natürlichkeit, daß sich dessen keiner der großen Kölner Schildermeister hätte zu schämen brauchen. Und nun wandelte das lebende Gemälde, vom Künstler selbst am Strick ge¬ führt und von der ganzen Natsversammlung geleitet, bergan zum Kloster, und da es, des ungewohnten Promenierens überdrüssig, im Hofe gerade unter den Fenstern des Refektoriums ein klägliches Gebrüll ausstieß, so rief es den Kurfürsten an das Fenster, bevor man Severus Classen zum zweitenmal an den Gebietenden ab< ordnen konnte. Der Ratsschreiber war froh, sich den sauern Weg ersparen zu können und die Ansprache aus sichrer Ferne halten zu dürfen. Kurfürstliche Gnaden, so sagte er etwa, verzeihet, daß wir Euer Ohr ein andermal mit einer demütigen Bitte zu belästigen uns erkühnen, aber es scheint uns unbillig, daß Eure Leute zu Filsen leer ausgehn sollten, wenn die zu Kamp einen Ochsen erhalten. Erlaubt, daß wir diesen hier, der gewiß nicht um ein Quent- lein leichter ist denn der Schenke, den Fähnlein von Montabaur und von Limburg hinüberbringen. Und ehe der Kurfürst feiner Verwunderung Herr zu werden und seinen gnädigen Dank abzustatten vermochte, setzte sich die verwegne Schar mit dem ge¬ schminkten Wiederkäuer in Bewegung und zog unter Lachen und Jauchzen wieder in die Stadt. Besonnene Männer rieten, des Schelmenstückleins jetzt genug sein zu lassen und das Tier nach einer gründlichen Säuberung wieder in den Burg-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/116>, abgerufen am 27.12.2024.