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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

durchschaute und mit Hilfe eines wahrhaft kunstreichen Spionageapparats über¬
wachte, doch nicht fallen ließ, sondern sich auch da noch ihrer bediente, wo ihm
die einfachsten Gründe der Vorsicht geboten hätten, sie ihrer verantwortungsvollen
Posten zu entheben. Das scheint zu bedeuten, daß ihm, dem Romanen, der Begriff
der Treue im Sinne der germanischen Rasse völlig fremd war, und daß er sich
einbildete, mit seinem alles überschauenden Blick und seiner straffen militärischen
Organisation auch die ihm widerstrebenden Geister im Zaume halten und seinen
Zwecken dienstbar machen zu können. In diesem Punkte ist der Fehler seines
großen Rechenexempels zu suchen, und er selbst mag nicht wenig erstaunt gewesen
sein, als sich gerade bei denen, deren Fähigkeiten er am wenigsten geschätzt hatte,
schließlich die Anhänglichkeit an ihren gestürzten Herrn offenbarte.

Alles das stellt Kielland überzeugend dar. Es mag für ihn nicht leicht ge¬
wesen sein, die vielen Generale, von denen uns die meisten in mehreren Feldzügen
wieder begegnen, und die fast ohne Ausnahme Wunder der Tapferkeit und der
Geistesgegenwart zu verrichten pflegten, so zu charakterisieren, daß sie für den Leser
Fleisch und Blut annehmen und sich voneinander abheben. Dieser Schwierigkeit ist
sich Kielland bewußt gewesen, und er hat sich dadurch geholfen, daß er von jedem
einzelnen, sobald er ihn aufmarschieren läßt, einen kleinen bezeichnenden Zug, eine
Episode in anekdotenhafter Fassung erzählt, auf die er dann später, wenn dieselbe
Gestalt wieder auftaucht, mit einer kurzen Wendung Bezug nimmt. Das ist ein
einfaches Mittel, auf das die Historiker von Fach gewöhnlich verzichten, das es dem
Leser aber wesentlich erleichtert, sich unter der Fülle von Erscheinungen zurecht¬
zufinden.

Wertvoll scheint uns in dem Buche besonders der Hinweis auf Napoleons
mangelndes Verständnis für Nationalgefühl. Schon bei dem Feldzuge von 1805
"huldigte er der gefährlichen Sitte, große Massen von Soldaten fremder Nationalität
in seinen Dienst zu nehmen und von ihnen ohne weiteres dieselbe Tapferkeit und
Treue wie von den Franzosen zu erwarten, wenn sie nur unter seinen Offizieren
standen". Die Folgen davon haben sich am deutlichsten bei Leipzig gezeigt. Am richtigsten
noch mag er die Polen beurteilt haben. Ihre Freiheitsliebe und ihr Tyrannenhaß
waren nicht nach seinem Geschmack, er schätzte sie als brauchbare Soldaten, aber er
hielt sie mit halben Versprechungen hin und dachte nie daran, ihren Traum von
der Errichtung eines Königreichs Polen zu erfüllen.

Wenn dem Verfasser die Schilderung des rein Persönlichen im allgemeinen
besser geglückt ist als die des Historischen, so verdient seine Darstellung des Zuges
nach Moskau doch als ein Meisterstück allgemeinverständlicher Geschichtschreibung
hervorgehoben zu werden. Ob Kielland seine Quellen überall kritisch benutzt hat,
wird nur der Fachmann entscheiden können. Er gibt sich den Anschein, als habe
er das gesamte Material gewissermaßen im Kopfe aufgespeichert und gebe die Tat¬
sachen wieder, ohne die Literatur noch einmal zu Rate zu ziehn. Aber wir müssen
gesteh", daß die genauen Angaben über Einzelheiten, die wir nachzuprüfen in der
Lage waren, mit der häufig wiederkehrenden Wendung "soviel ich mich erinnere"
oder "wenn ich nicht irre" nicht recht übereinstimmen wollten, denn ein so absolut
zuverlässiges Gedächtnis, wie es Kielland zu haben vorgibt, ist bekanntlich bei pro¬
duktiven Köpfen äußerst selten. Ein paar Kleinigkeiten, die uns aufgefallen sind,
sollen nicht unerwähnt bleiben. Der Verfasser spricht bei Gelegenheit des Treffens
bei Saalfeld von einem preußischen Prinzen Ludwig. Möglicherweise wird der
junge Held, der hier den Tod fand, in den französischen Quellenwerken einfach
Louis genannt, uns Deutschen ist er jedenfalls nur unter dem Namen Prinz Louis
Ferdinand bekannt. Der Fanatiker, der in Schönbrunn das Attentat auf den Kaiser
zu verüben versuchte, hieß Stapß, nicht Stabbs. Ein eisernes Kreuz für Zivil¬
verdienste hat unsers Wissens Napoleon nie gestiftet; vermutlich ist mit der Deko¬
ration, die er dem Opernsänger Crescentini verliehen haben soll, der Orden der
eisernen Krone gemeint. Wenn Kielland aber den Grafen Karl Friedrich von Reinhard,


Maßgebliches und Unmaßgebliches

durchschaute und mit Hilfe eines wahrhaft kunstreichen Spionageapparats über¬
wachte, doch nicht fallen ließ, sondern sich auch da noch ihrer bediente, wo ihm
die einfachsten Gründe der Vorsicht geboten hätten, sie ihrer verantwortungsvollen
Posten zu entheben. Das scheint zu bedeuten, daß ihm, dem Romanen, der Begriff
der Treue im Sinne der germanischen Rasse völlig fremd war, und daß er sich
einbildete, mit seinem alles überschauenden Blick und seiner straffen militärischen
Organisation auch die ihm widerstrebenden Geister im Zaume halten und seinen
Zwecken dienstbar machen zu können. In diesem Punkte ist der Fehler seines
großen Rechenexempels zu suchen, und er selbst mag nicht wenig erstaunt gewesen
sein, als sich gerade bei denen, deren Fähigkeiten er am wenigsten geschätzt hatte,
schließlich die Anhänglichkeit an ihren gestürzten Herrn offenbarte.

Alles das stellt Kielland überzeugend dar. Es mag für ihn nicht leicht ge¬
wesen sein, die vielen Generale, von denen uns die meisten in mehreren Feldzügen
wieder begegnen, und die fast ohne Ausnahme Wunder der Tapferkeit und der
Geistesgegenwart zu verrichten pflegten, so zu charakterisieren, daß sie für den Leser
Fleisch und Blut annehmen und sich voneinander abheben. Dieser Schwierigkeit ist
sich Kielland bewußt gewesen, und er hat sich dadurch geholfen, daß er von jedem
einzelnen, sobald er ihn aufmarschieren läßt, einen kleinen bezeichnenden Zug, eine
Episode in anekdotenhafter Fassung erzählt, auf die er dann später, wenn dieselbe
Gestalt wieder auftaucht, mit einer kurzen Wendung Bezug nimmt. Das ist ein
einfaches Mittel, auf das die Historiker von Fach gewöhnlich verzichten, das es dem
Leser aber wesentlich erleichtert, sich unter der Fülle von Erscheinungen zurecht¬
zufinden.

Wertvoll scheint uns in dem Buche besonders der Hinweis auf Napoleons
mangelndes Verständnis für Nationalgefühl. Schon bei dem Feldzuge von 1805
„huldigte er der gefährlichen Sitte, große Massen von Soldaten fremder Nationalität
in seinen Dienst zu nehmen und von ihnen ohne weiteres dieselbe Tapferkeit und
Treue wie von den Franzosen zu erwarten, wenn sie nur unter seinen Offizieren
standen". Die Folgen davon haben sich am deutlichsten bei Leipzig gezeigt. Am richtigsten
noch mag er die Polen beurteilt haben. Ihre Freiheitsliebe und ihr Tyrannenhaß
waren nicht nach seinem Geschmack, er schätzte sie als brauchbare Soldaten, aber er
hielt sie mit halben Versprechungen hin und dachte nie daran, ihren Traum von
der Errichtung eines Königreichs Polen zu erfüllen.

Wenn dem Verfasser die Schilderung des rein Persönlichen im allgemeinen
besser geglückt ist als die des Historischen, so verdient seine Darstellung des Zuges
nach Moskau doch als ein Meisterstück allgemeinverständlicher Geschichtschreibung
hervorgehoben zu werden. Ob Kielland seine Quellen überall kritisch benutzt hat,
wird nur der Fachmann entscheiden können. Er gibt sich den Anschein, als habe
er das gesamte Material gewissermaßen im Kopfe aufgespeichert und gebe die Tat¬
sachen wieder, ohne die Literatur noch einmal zu Rate zu ziehn. Aber wir müssen
gesteh«, daß die genauen Angaben über Einzelheiten, die wir nachzuprüfen in der
Lage waren, mit der häufig wiederkehrenden Wendung „soviel ich mich erinnere"
oder „wenn ich nicht irre" nicht recht übereinstimmen wollten, denn ein so absolut
zuverlässiges Gedächtnis, wie es Kielland zu haben vorgibt, ist bekanntlich bei pro¬
duktiven Köpfen äußerst selten. Ein paar Kleinigkeiten, die uns aufgefallen sind,
sollen nicht unerwähnt bleiben. Der Verfasser spricht bei Gelegenheit des Treffens
bei Saalfeld von einem preußischen Prinzen Ludwig. Möglicherweise wird der
junge Held, der hier den Tod fand, in den französischen Quellenwerken einfach
Louis genannt, uns Deutschen ist er jedenfalls nur unter dem Namen Prinz Louis
Ferdinand bekannt. Der Fanatiker, der in Schönbrunn das Attentat auf den Kaiser
zu verüben versuchte, hieß Stapß, nicht Stabbs. Ein eisernes Kreuz für Zivil¬
verdienste hat unsers Wissens Napoleon nie gestiftet; vermutlich ist mit der Deko¬
ration, die er dem Opernsänger Crescentini verliehen haben soll, der Orden der
eisernen Krone gemeint. Wenn Kielland aber den Grafen Karl Friedrich von Reinhard,


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[0739] Maßgebliches und Unmaßgebliches durchschaute und mit Hilfe eines wahrhaft kunstreichen Spionageapparats über¬ wachte, doch nicht fallen ließ, sondern sich auch da noch ihrer bediente, wo ihm die einfachsten Gründe der Vorsicht geboten hätten, sie ihrer verantwortungsvollen Posten zu entheben. Das scheint zu bedeuten, daß ihm, dem Romanen, der Begriff der Treue im Sinne der germanischen Rasse völlig fremd war, und daß er sich einbildete, mit seinem alles überschauenden Blick und seiner straffen militärischen Organisation auch die ihm widerstrebenden Geister im Zaume halten und seinen Zwecken dienstbar machen zu können. In diesem Punkte ist der Fehler seines großen Rechenexempels zu suchen, und er selbst mag nicht wenig erstaunt gewesen sein, als sich gerade bei denen, deren Fähigkeiten er am wenigsten geschätzt hatte, schließlich die Anhänglichkeit an ihren gestürzten Herrn offenbarte. Alles das stellt Kielland überzeugend dar. Es mag für ihn nicht leicht ge¬ wesen sein, die vielen Generale, von denen uns die meisten in mehreren Feldzügen wieder begegnen, und die fast ohne Ausnahme Wunder der Tapferkeit und der Geistesgegenwart zu verrichten pflegten, so zu charakterisieren, daß sie für den Leser Fleisch und Blut annehmen und sich voneinander abheben. Dieser Schwierigkeit ist sich Kielland bewußt gewesen, und er hat sich dadurch geholfen, daß er von jedem einzelnen, sobald er ihn aufmarschieren läßt, einen kleinen bezeichnenden Zug, eine Episode in anekdotenhafter Fassung erzählt, auf die er dann später, wenn dieselbe Gestalt wieder auftaucht, mit einer kurzen Wendung Bezug nimmt. Das ist ein einfaches Mittel, auf das die Historiker von Fach gewöhnlich verzichten, das es dem Leser aber wesentlich erleichtert, sich unter der Fülle von Erscheinungen zurecht¬ zufinden. Wertvoll scheint uns in dem Buche besonders der Hinweis auf Napoleons mangelndes Verständnis für Nationalgefühl. Schon bei dem Feldzuge von 1805 „huldigte er der gefährlichen Sitte, große Massen von Soldaten fremder Nationalität in seinen Dienst zu nehmen und von ihnen ohne weiteres dieselbe Tapferkeit und Treue wie von den Franzosen zu erwarten, wenn sie nur unter seinen Offizieren standen". Die Folgen davon haben sich am deutlichsten bei Leipzig gezeigt. Am richtigsten noch mag er die Polen beurteilt haben. Ihre Freiheitsliebe und ihr Tyrannenhaß waren nicht nach seinem Geschmack, er schätzte sie als brauchbare Soldaten, aber er hielt sie mit halben Versprechungen hin und dachte nie daran, ihren Traum von der Errichtung eines Königreichs Polen zu erfüllen. Wenn dem Verfasser die Schilderung des rein Persönlichen im allgemeinen besser geglückt ist als die des Historischen, so verdient seine Darstellung des Zuges nach Moskau doch als ein Meisterstück allgemeinverständlicher Geschichtschreibung hervorgehoben zu werden. Ob Kielland seine Quellen überall kritisch benutzt hat, wird nur der Fachmann entscheiden können. Er gibt sich den Anschein, als habe er das gesamte Material gewissermaßen im Kopfe aufgespeichert und gebe die Tat¬ sachen wieder, ohne die Literatur noch einmal zu Rate zu ziehn. Aber wir müssen gesteh«, daß die genauen Angaben über Einzelheiten, die wir nachzuprüfen in der Lage waren, mit der häufig wiederkehrenden Wendung „soviel ich mich erinnere" oder „wenn ich nicht irre" nicht recht übereinstimmen wollten, denn ein so absolut zuverlässiges Gedächtnis, wie es Kielland zu haben vorgibt, ist bekanntlich bei pro¬ duktiven Köpfen äußerst selten. Ein paar Kleinigkeiten, die uns aufgefallen sind, sollen nicht unerwähnt bleiben. Der Verfasser spricht bei Gelegenheit des Treffens bei Saalfeld von einem preußischen Prinzen Ludwig. Möglicherweise wird der junge Held, der hier den Tod fand, in den französischen Quellenwerken einfach Louis genannt, uns Deutschen ist er jedenfalls nur unter dem Namen Prinz Louis Ferdinand bekannt. Der Fanatiker, der in Schönbrunn das Attentat auf den Kaiser zu verüben versuchte, hieß Stapß, nicht Stabbs. Ein eisernes Kreuz für Zivil¬ verdienste hat unsers Wissens Napoleon nie gestiftet; vermutlich ist mit der Deko¬ ration, die er dem Opernsänger Crescentini verliehen haben soll, der Orden der eisernen Krone gemeint. Wenn Kielland aber den Grafen Karl Friedrich von Reinhard,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/739>, abgerufen am 04.07.2024.