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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Der Bopparder Krieg

vernahm, zum Ave rief, hatte sich der Himmel verfinstert. Über der ganzen Natur
lag eine unheimliche Stille; die Schwalben, die sonst an den langen Sommer¬
abenden bis zum Eintritt der völligen Dunkelheit mit schrillem Schrei um die
Türme schwirrten oder, wenn Regen bevorstand, dicht über dem schwarzen Spiegel
des Burggrabens dahinschossen, waren verschwunden, der Lärm auf den Gassen war
verstummt, und sogar der Rhein, dessen Wellen sonst unter dem Leinpfade in un¬
ablässigem Geplätscher an den Ufersteinen emporhüpften, schien in einen Strom von
flüssigem Blei verwandelt zu sein.

Hin und wieder flammte am südwestlichen Himmel, wo sich die Wolken jetzt
in schwarzen Ballen übereinander türmten, ein Wetterleuchten auf, das sich in den
fernen Luftschichten jenseits des Rheins bis über den Kamper Wald hin gleich
einem zitternden Feuerschein fortsetzte und die weißen Wingertshäuschen auf der
Höhe für kurze Augenblicke von dem dunkeln Hintergrunde abhob. Bald darauf
begann auch der Donner zu rollen, erst in weiter Ferne, dann immer näher und
verstärkt durch das Echo, das er in den tiefen Schluchten des Gebirges weckte.

Die Belagerten gingen von Gemach zu Gemach und beobachteten das Schau¬
spiel, das ihnen der Himmel bot, mit einem aus Neugier, Andacht und Furcht ge¬
mischten Gefühl. Das nahende Unwetter war ihnen als eine Abwechslung in ihrem
alltäglichen Einerlei eigentlich nicht unwillkommen, aber die Furcht, was unter den
obwaltenden Umständen aus ihnen werden würde, wenn ein zündender Blitz in die
Burg schlüge, ließ bei den meisten von ihnen keine reine Freude aufkommen.

Herr Wygant und der Kaplan standen gerade in einer dem Zollhause zu¬
gewandten Fensternische und sahen zu, wie einer der Stadtknechte nach dem andern
aus der Wachtstube trat und den Himmel mit prüfendem Auge betrachtete. Da
fuhr ein Blitz nieder, der alles ringsumher taghell erleuchtete. Ehe noch der
Donner, der die alten Mauern der Burg bis in die Fundamente erschütterte, folgte,
war der Feind im Zollhause verschwunden. Aber auch der Kaplan, den Herr
Wygant doch noch eben an seiner Seite gesehen hatte, war plötzlich unsichtbar ge¬
worden. Der Wackre war in die Burgkapelle geeilt, hatte die am Lichtmeßtage
geweihte Wetterkerze an der Altarlampe entzündet und kehrte jetzt mit diesem Schutz¬
mittel gegen die Launen des zürnenden Himmels beruhigt zurück. Zugleich mit ihm
fand sich die alte Villa in dem Gemach ein, setzte sich so nahe wie möglich zu der
Kerze und betete den Rosenkranz. Sie durfte sich freilich des angenehmen Gefühls
der Sicherheit nicht lange erfreuen, denn der Junker jagte sie mit ein paar derben
Späßen in die Küche und blies zum Entsetzen des Priesters die Kerze aus.

Wollen Gott und den lieben Heiligen nicht ins Handwerk pfuschen, sagte er,
denn sie haben das Unwetter doch für niemand anders zugerichtet denn für uns.

Wie meint Ihr das, Junker Wygant? fragte der Kaplan mit unsichrer
Stimme.

Ihr wißt wohl nicht mehr, daß der Jude diese Nacht die Ochsen bringt?
Glaubt Ihr, daß die Städtischen bei solchem Wetter auf dem Posten sein werden?

Da könnt Ihr Recht haben, Junker. Wenn das Wetter nur anhält! Aber
bevor der Jude kommt, kann uns allesamt der Blitz erschlagen haben.

Wenn uns die Heiligen vertilgen wollten, hätten sie sich das Wettergebräu
ersparen können, fuhr Herr Wygant unbeirrt fort, wir würden alsdann Hungers
sterben. Aber daran, daß sie das Wetter loslassen, kann man leichtlich erkennen,
daß sie uns nicht, wie wir als arme Sünder wohl verdient hätten, strafen, sondern
uns vielmehr aus aller Penur und Not gnädiglich erlösen wollen. Ihr müßt Euch
schlecht auf Euer Geschäft verstehn, Pfäfflein, sonst würden Euch die lieben Heiligen
wohl einmal in ihre Karten haben schauen lassen.

Der Priester wollte etwas erwidern, aber ein neuer Donnerschlag verschloß
ihm den Mund. Zugleich fuhr ein Windstoß durch das Gebäude, der die offen¬
stehenden Türen zuwarf und die geschlossenen aufriß und die gewölbten Korridore
i Mit einem langgezognen Klagegeheul erfüllte, das dem der trostlosen alten Magd


Der Bopparder Krieg

vernahm, zum Ave rief, hatte sich der Himmel verfinstert. Über der ganzen Natur
lag eine unheimliche Stille; die Schwalben, die sonst an den langen Sommer¬
abenden bis zum Eintritt der völligen Dunkelheit mit schrillem Schrei um die
Türme schwirrten oder, wenn Regen bevorstand, dicht über dem schwarzen Spiegel
des Burggrabens dahinschossen, waren verschwunden, der Lärm auf den Gassen war
verstummt, und sogar der Rhein, dessen Wellen sonst unter dem Leinpfade in un¬
ablässigem Geplätscher an den Ufersteinen emporhüpften, schien in einen Strom von
flüssigem Blei verwandelt zu sein.

Hin und wieder flammte am südwestlichen Himmel, wo sich die Wolken jetzt
in schwarzen Ballen übereinander türmten, ein Wetterleuchten auf, das sich in den
fernen Luftschichten jenseits des Rheins bis über den Kamper Wald hin gleich
einem zitternden Feuerschein fortsetzte und die weißen Wingertshäuschen auf der
Höhe für kurze Augenblicke von dem dunkeln Hintergrunde abhob. Bald darauf
begann auch der Donner zu rollen, erst in weiter Ferne, dann immer näher und
verstärkt durch das Echo, das er in den tiefen Schluchten des Gebirges weckte.

Die Belagerten gingen von Gemach zu Gemach und beobachteten das Schau¬
spiel, das ihnen der Himmel bot, mit einem aus Neugier, Andacht und Furcht ge¬
mischten Gefühl. Das nahende Unwetter war ihnen als eine Abwechslung in ihrem
alltäglichen Einerlei eigentlich nicht unwillkommen, aber die Furcht, was unter den
obwaltenden Umständen aus ihnen werden würde, wenn ein zündender Blitz in die
Burg schlüge, ließ bei den meisten von ihnen keine reine Freude aufkommen.

Herr Wygant und der Kaplan standen gerade in einer dem Zollhause zu¬
gewandten Fensternische und sahen zu, wie einer der Stadtknechte nach dem andern
aus der Wachtstube trat und den Himmel mit prüfendem Auge betrachtete. Da
fuhr ein Blitz nieder, der alles ringsumher taghell erleuchtete. Ehe noch der
Donner, der die alten Mauern der Burg bis in die Fundamente erschütterte, folgte,
war der Feind im Zollhause verschwunden. Aber auch der Kaplan, den Herr
Wygant doch noch eben an seiner Seite gesehen hatte, war plötzlich unsichtbar ge¬
worden. Der Wackre war in die Burgkapelle geeilt, hatte die am Lichtmeßtage
geweihte Wetterkerze an der Altarlampe entzündet und kehrte jetzt mit diesem Schutz¬
mittel gegen die Launen des zürnenden Himmels beruhigt zurück. Zugleich mit ihm
fand sich die alte Villa in dem Gemach ein, setzte sich so nahe wie möglich zu der
Kerze und betete den Rosenkranz. Sie durfte sich freilich des angenehmen Gefühls
der Sicherheit nicht lange erfreuen, denn der Junker jagte sie mit ein paar derben
Späßen in die Küche und blies zum Entsetzen des Priesters die Kerze aus.

Wollen Gott und den lieben Heiligen nicht ins Handwerk pfuschen, sagte er,
denn sie haben das Unwetter doch für niemand anders zugerichtet denn für uns.

Wie meint Ihr das, Junker Wygant? fragte der Kaplan mit unsichrer
Stimme.

Ihr wißt wohl nicht mehr, daß der Jude diese Nacht die Ochsen bringt?
Glaubt Ihr, daß die Städtischen bei solchem Wetter auf dem Posten sein werden?

Da könnt Ihr Recht haben, Junker. Wenn das Wetter nur anhält! Aber
bevor der Jude kommt, kann uns allesamt der Blitz erschlagen haben.

Wenn uns die Heiligen vertilgen wollten, hätten sie sich das Wettergebräu
ersparen können, fuhr Herr Wygant unbeirrt fort, wir würden alsdann Hungers
sterben. Aber daran, daß sie das Wetter loslassen, kann man leichtlich erkennen,
daß sie uns nicht, wie wir als arme Sünder wohl verdient hätten, strafen, sondern
uns vielmehr aus aller Penur und Not gnädiglich erlösen wollen. Ihr müßt Euch
schlecht auf Euer Geschäft verstehn, Pfäfflein, sonst würden Euch die lieben Heiligen
wohl einmal in ihre Karten haben schauen lassen.

Der Priester wollte etwas erwidern, aber ein neuer Donnerschlag verschloß
ihm den Mund. Zugleich fuhr ein Windstoß durch das Gebäude, der die offen¬
stehenden Türen zuwarf und die geschlossenen aufriß und die gewölbten Korridore
i Mit einem langgezognen Klagegeheul erfüllte, das dem der trostlosen alten Magd


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[0724] Der Bopparder Krieg vernahm, zum Ave rief, hatte sich der Himmel verfinstert. Über der ganzen Natur lag eine unheimliche Stille; die Schwalben, die sonst an den langen Sommer¬ abenden bis zum Eintritt der völligen Dunkelheit mit schrillem Schrei um die Türme schwirrten oder, wenn Regen bevorstand, dicht über dem schwarzen Spiegel des Burggrabens dahinschossen, waren verschwunden, der Lärm auf den Gassen war verstummt, und sogar der Rhein, dessen Wellen sonst unter dem Leinpfade in un¬ ablässigem Geplätscher an den Ufersteinen emporhüpften, schien in einen Strom von flüssigem Blei verwandelt zu sein. Hin und wieder flammte am südwestlichen Himmel, wo sich die Wolken jetzt in schwarzen Ballen übereinander türmten, ein Wetterleuchten auf, das sich in den fernen Luftschichten jenseits des Rheins bis über den Kamper Wald hin gleich einem zitternden Feuerschein fortsetzte und die weißen Wingertshäuschen auf der Höhe für kurze Augenblicke von dem dunkeln Hintergrunde abhob. Bald darauf begann auch der Donner zu rollen, erst in weiter Ferne, dann immer näher und verstärkt durch das Echo, das er in den tiefen Schluchten des Gebirges weckte. Die Belagerten gingen von Gemach zu Gemach und beobachteten das Schau¬ spiel, das ihnen der Himmel bot, mit einem aus Neugier, Andacht und Furcht ge¬ mischten Gefühl. Das nahende Unwetter war ihnen als eine Abwechslung in ihrem alltäglichen Einerlei eigentlich nicht unwillkommen, aber die Furcht, was unter den obwaltenden Umständen aus ihnen werden würde, wenn ein zündender Blitz in die Burg schlüge, ließ bei den meisten von ihnen keine reine Freude aufkommen. Herr Wygant und der Kaplan standen gerade in einer dem Zollhause zu¬ gewandten Fensternische und sahen zu, wie einer der Stadtknechte nach dem andern aus der Wachtstube trat und den Himmel mit prüfendem Auge betrachtete. Da fuhr ein Blitz nieder, der alles ringsumher taghell erleuchtete. Ehe noch der Donner, der die alten Mauern der Burg bis in die Fundamente erschütterte, folgte, war der Feind im Zollhause verschwunden. Aber auch der Kaplan, den Herr Wygant doch noch eben an seiner Seite gesehen hatte, war plötzlich unsichtbar ge¬ worden. Der Wackre war in die Burgkapelle geeilt, hatte die am Lichtmeßtage geweihte Wetterkerze an der Altarlampe entzündet und kehrte jetzt mit diesem Schutz¬ mittel gegen die Launen des zürnenden Himmels beruhigt zurück. Zugleich mit ihm fand sich die alte Villa in dem Gemach ein, setzte sich so nahe wie möglich zu der Kerze und betete den Rosenkranz. Sie durfte sich freilich des angenehmen Gefühls der Sicherheit nicht lange erfreuen, denn der Junker jagte sie mit ein paar derben Späßen in die Küche und blies zum Entsetzen des Priesters die Kerze aus. Wollen Gott und den lieben Heiligen nicht ins Handwerk pfuschen, sagte er, denn sie haben das Unwetter doch für niemand anders zugerichtet denn für uns. Wie meint Ihr das, Junker Wygant? fragte der Kaplan mit unsichrer Stimme. Ihr wißt wohl nicht mehr, daß der Jude diese Nacht die Ochsen bringt? Glaubt Ihr, daß die Städtischen bei solchem Wetter auf dem Posten sein werden? Da könnt Ihr Recht haben, Junker. Wenn das Wetter nur anhält! Aber bevor der Jude kommt, kann uns allesamt der Blitz erschlagen haben. Wenn uns die Heiligen vertilgen wollten, hätten sie sich das Wettergebräu ersparen können, fuhr Herr Wygant unbeirrt fort, wir würden alsdann Hungers sterben. Aber daran, daß sie das Wetter loslassen, kann man leichtlich erkennen, daß sie uns nicht, wie wir als arme Sünder wohl verdient hätten, strafen, sondern uns vielmehr aus aller Penur und Not gnädiglich erlösen wollen. Ihr müßt Euch schlecht auf Euer Geschäft verstehn, Pfäfflein, sonst würden Euch die lieben Heiligen wohl einmal in ihre Karten haben schauen lassen. Der Priester wollte etwas erwidern, aber ein neuer Donnerschlag verschloß ihm den Mund. Zugleich fuhr ein Windstoß durch das Gebäude, der die offen¬ stehenden Türen zuwarf und die geschlossenen aufriß und die gewölbten Korridore i Mit einem langgezognen Klagegeheul erfüllte, das dem der trostlosen alten Magd

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/724>, abgerufen am 24.07.2024.