Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.Aus der Hauptstadt des Sultans Wenn man sich aber zu Einkäufen verleiten ließ, war eine geistige Anstrengung Natürlich hat auch der Fremde von der Billigkeit der Lebensbedürfnisse Die städtische Wirtschaft läßt aber bei der ungelösten Frage, woher die Das Bild von Konstantinopel wäre unvollständig, wenn man es nicht Aus der Hauptstadt des Sultans Wenn man sich aber zu Einkäufen verleiten ließ, war eine geistige Anstrengung Natürlich hat auch der Fremde von der Billigkeit der Lebensbedürfnisse Die städtische Wirtschaft läßt aber bei der ungelösten Frage, woher die Das Bild von Konstantinopel wäre unvollständig, wenn man es nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0720" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299761"/> <fw type="header" place="top"> Aus der Hauptstadt des Sultans</fw><lb/> <p xml:id="ID_3142" prev="#ID_3141"> Wenn man sich aber zu Einkäufen verleiten ließ, war eine geistige Anstrengung<lb/> unerläßlich, gelangte jedoch nur mit Hilfe des Dragomans zu befriedigender<lb/> Übereinstimmung mit den Verkäufern, denn deren Französisch ist Phantasie.<lb/> Für die erstaunlich billigen Preise vieler Handelsartikel auf dem Basar, die<lb/> auffordern, nach Gründen dafür zu forschen, fanden wir diese zum Teil in der<lb/> niedrigen Bewertung der im Harem angefertigten Arbeiten, zum Teil in der<lb/> allgemeinen Bedürfnislosigkeit und der Billigkeit der Lebenshaltung der Arbeiter<lb/> und der Kleinhändler, die in der Geringwertigkeit des Para, der kleinsten Münz¬<lb/> einheit im Betrag eines halben Pfennigs, ihre Ursache hat und zum Ausdruck<lb/> gelangt. Umgekehrt ist natürlich die Steuerkraft dieses Volkes überaus gering.</p><lb/> <p xml:id="ID_3143"> Natürlich hat auch der Fremde von der Billigkeit der Lebensbedürfnisse<lb/> seine Vorteile. Sogar die Fahrten in mehr oder minder guten Droschken, bei<lb/> denen in den engen, oft abschüssigen Straßen und steilen Windungen auf Tod<lb/> und Leben gefahren wird, kosten für gewöhnlich nur wenig Piaster, werden<lb/> allerdings bei besondern Gelegenheiten zu ebenso unwahrscheinlicher Höhe ge¬<lb/> steigert. Im allgemeinen kann Konstantinopel doch als eine der billigsten Gro߬<lb/> städte angesehen werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_3144"> Die städtische Wirtschaft läßt aber bei der ungelösten Frage, woher die<lb/> Barmittel für die notwendigsten Ausgaben beschafft werden sollen, alles zu<lb/> wünschen übrig. Straßen- und Sanitütspolizei liegen beide im argen. Für<lb/> jene ist die Ordnung des Feuerlöschwesens, Wachen auf dem Galata- und dem<lb/> Seraskieratturm, die Feuermeldung durch Läufer und die Beteiligung der frei¬<lb/> willigen Feuerwehr, einer wahren Räuberbande, mit viel Geschrei und wenig<lb/> Wasser an der Bekämpfung von Feuersbrünsten ebenso bezeichnend, wie das<lb/> Fehlen jeder Straßenreinigung und Kanalisation und die Duldung der berühmten<lb/> Hunde diese charakterisiert. Von der Hundewirtschaft kann man sich, ohne sie<lb/> gesehen zu haben, schlechterdings keinen Begriff machen. Sie beleben die nächt¬<lb/> liche Straße und sorgen durch Vertilgung der auf die Straße geworfnen<lb/> Haushaltsabfälle bei nächtlichem Schmaus nach Möglichkeit für Sanierung der<lb/> Straße. Dafür erfreuen sie sich unbedingter Duldung und Schonung ihrer<lb/> Tagesruhe durch Passanten und Wagenführer, wo sie anch liegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3145" next="#ID_3146"> Das Bild von Konstantinopel wäre unvollständig, wenn man es nicht<lb/> von außen betrachtete. Stambul war umschlossen von einer starken Mauer,<lb/> die mit festen Schlössern an die Wasserbecken, das Marmcirameer und das<lb/> Goldne Horn anschlössen. Den Zugang zu Wasser durch die Meerengen ver¬<lb/> boten Kastelle, deren malerische Ruinen jetzt den Reiz der Bosporusidyllen er¬<lb/> höhen. Den Ruinen der Mauer wurde ein Nachmittag gewidmet. Zu verfallner<lb/> Größe führt eine kurze Fahrt auf der Eisenbahn am Marmarameer entlang-<lb/> Trümmerwerk mit efeuüberwucherten Türmen und unregelmäßig ausgezackten<lb/> Mauern, verschlossene frühere Ausfallpforten und offne Tore, Stillstand jeder<lb/> Entwicklung! Kein Leben blüht aus diesen Ruinen, denen die Zeit übrigens<lb/> verhältnismäßig wenig hat anhaben können. Malerisch sind sie, und der solches<lb/> liebende fleißige Pinsel Wereschtschagins Hütte einen dankbaren Vorwurf in dem<lb/> sonnenbeschienenen ragenden Nest ehemaliger Wehrhaftigkeit gefunden, vor dem<lb/> sich Hunde und Krähen die Bellte frisch gefallnen Viehes in widerlicher Gier</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0720]
Aus der Hauptstadt des Sultans
Wenn man sich aber zu Einkäufen verleiten ließ, war eine geistige Anstrengung
unerläßlich, gelangte jedoch nur mit Hilfe des Dragomans zu befriedigender
Übereinstimmung mit den Verkäufern, denn deren Französisch ist Phantasie.
Für die erstaunlich billigen Preise vieler Handelsartikel auf dem Basar, die
auffordern, nach Gründen dafür zu forschen, fanden wir diese zum Teil in der
niedrigen Bewertung der im Harem angefertigten Arbeiten, zum Teil in der
allgemeinen Bedürfnislosigkeit und der Billigkeit der Lebenshaltung der Arbeiter
und der Kleinhändler, die in der Geringwertigkeit des Para, der kleinsten Münz¬
einheit im Betrag eines halben Pfennigs, ihre Ursache hat und zum Ausdruck
gelangt. Umgekehrt ist natürlich die Steuerkraft dieses Volkes überaus gering.
Natürlich hat auch der Fremde von der Billigkeit der Lebensbedürfnisse
seine Vorteile. Sogar die Fahrten in mehr oder minder guten Droschken, bei
denen in den engen, oft abschüssigen Straßen und steilen Windungen auf Tod
und Leben gefahren wird, kosten für gewöhnlich nur wenig Piaster, werden
allerdings bei besondern Gelegenheiten zu ebenso unwahrscheinlicher Höhe ge¬
steigert. Im allgemeinen kann Konstantinopel doch als eine der billigsten Gro߬
städte angesehen werden.
Die städtische Wirtschaft läßt aber bei der ungelösten Frage, woher die
Barmittel für die notwendigsten Ausgaben beschafft werden sollen, alles zu
wünschen übrig. Straßen- und Sanitütspolizei liegen beide im argen. Für
jene ist die Ordnung des Feuerlöschwesens, Wachen auf dem Galata- und dem
Seraskieratturm, die Feuermeldung durch Läufer und die Beteiligung der frei¬
willigen Feuerwehr, einer wahren Räuberbande, mit viel Geschrei und wenig
Wasser an der Bekämpfung von Feuersbrünsten ebenso bezeichnend, wie das
Fehlen jeder Straßenreinigung und Kanalisation und die Duldung der berühmten
Hunde diese charakterisiert. Von der Hundewirtschaft kann man sich, ohne sie
gesehen zu haben, schlechterdings keinen Begriff machen. Sie beleben die nächt¬
liche Straße und sorgen durch Vertilgung der auf die Straße geworfnen
Haushaltsabfälle bei nächtlichem Schmaus nach Möglichkeit für Sanierung der
Straße. Dafür erfreuen sie sich unbedingter Duldung und Schonung ihrer
Tagesruhe durch Passanten und Wagenführer, wo sie anch liegen.
Das Bild von Konstantinopel wäre unvollständig, wenn man es nicht
von außen betrachtete. Stambul war umschlossen von einer starken Mauer,
die mit festen Schlössern an die Wasserbecken, das Marmcirameer und das
Goldne Horn anschlössen. Den Zugang zu Wasser durch die Meerengen ver¬
boten Kastelle, deren malerische Ruinen jetzt den Reiz der Bosporusidyllen er¬
höhen. Den Ruinen der Mauer wurde ein Nachmittag gewidmet. Zu verfallner
Größe führt eine kurze Fahrt auf der Eisenbahn am Marmarameer entlang-
Trümmerwerk mit efeuüberwucherten Türmen und unregelmäßig ausgezackten
Mauern, verschlossene frühere Ausfallpforten und offne Tore, Stillstand jeder
Entwicklung! Kein Leben blüht aus diesen Ruinen, denen die Zeit übrigens
verhältnismäßig wenig hat anhaben können. Malerisch sind sie, und der solches
liebende fleißige Pinsel Wereschtschagins Hütte einen dankbaren Vorwurf in dem
sonnenbeschienenen ragenden Nest ehemaliger Wehrhaftigkeit gefunden, vor dem
sich Hunde und Krähen die Bellte frisch gefallnen Viehes in widerlicher Gier
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