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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Über Budapest nach Bukurescht

Wache, ich glaube von einem Jägerbataillon, unter den Klängen eines heimatlich
berührenden Marsches in auffällig schnellem Schritt, aber in recht guter Ordnung
abrückte. Es ist doch eigentümlich, daß ein guter Teil der in die aufstrebenden
Staaten verpflanzten deutschen Kultur militärisch ist, und für den Soldaten ist
es hocherfreulich, zu sehen, daß durch diese eigentümliche Kulturmission vielfach
segensreich in diesen Ländern gewirkt wird. Ohne unsern Paradedrill und den
auf das Äußerliche gerichteten Teil unsrer Ausbildung bedingungslos loben zu
wollen, habe ich nun doch den Eindruck gewonnen, daß mit dieser wenig er¬
hebenden, vielfach kleinlichen Arbeit der allgemeinen Erziehung zur Ordnung
wesentlich genützt wird. Der erste Friedrich Wilhelm hat mit soldatischer Zucht
und Ordnung einen zuverlässigen Beamtenstand gegründet, Friedrich der Große
seinen Offizieren die Pünktlichkeit und die Genauigkeit eingeschärft, und Kaiser
Wilhelm bewußt die vielfach verspottete stramme Exerzierdisziplin auch auf dem
Gefechtsfelde gefordert, die uns bei allen Fehlern 1866 und 1870 in den schwersten
Augenblicken hat aushalten lassen. Das Königreich an der untern Donau hat
sich entschieden mit unsern Formen auch den Geist in ihnen angeeignet und ist
ein im ganzen wohlgeordnetes Staatengebilde geworden.

Der Erfolg der Regententätigkeit des Hohenzollern in Rumänien spricht
sich unter anderm in der äußerlichen Umgestaltung der Hauptstadt aus. Eine
Reihe geschmackvoll aussehender öffentlicher Gebäude ziert sie. Darunter nimmt
die Post am Ende der Calea Victoriei entschieden eine bevorzugte Stelle ein.
Ein großer quadratischer Bau in Sandstein mit Freitreppen an der Hauptfront,
im Innern sehr sachgemäß eingeteilt, nach der Calea mit einer Unzahl Schaltern
in einem großen breiten und hellen Flur versehen, große Höfe enthaltend, ist
er auf eine bedeutende Verkehrssteigerung zugeschnitten und fordert dadurch die
Kritik der Krämerseelen heraus. Die in der Stadt verstreuten Ministerien ent¬
sprechen in ihren geringern Dimensionen der Bedeutung des Königreichs etwas
besser; nur das Justizministerium ist ein größerer, dafür ziemlich unschöner
Bau. Die Metropolitankirche an günstiger Stelle, von der man einen schönen
Überblick über die Stadt hat, entbehrt als Hauptstätte des Knies auch äußerlich
der ihr zukommenden Bedeutung nicht. Das Schloß des Königs ist ein ein¬
stöckiger Bau in Hufeisenform, nicht viel größer als das Reichskanzlerpalais in
Berlin. Es ehrt durch seine Einfachheit den Sinn seines Bewohners.

Auf Spazierfahrten und Spaziergängen blieb uns leider die Beobachtung
nicht erspart, daß das städtische Budget zu einer gründlichen Beseitigung der
Zugaben der winterlichen Temperatur nicht ausreicht. Ich sage leider, denn
es passierte uns allen, daß wir auf den Trottoirs der besten Straßen aus¬
glitten, weil der zu Glatteis gefrorne Schnee nicht entfernt worden war;
und als die Mittagssonne auf Dächer und Trottoirs wirkte, entstanden an
solchen Stellen kleine Schmutzlachen, die uns ebensowenig erfreuten, wie sie den
seidnen Jupons der Vertreterinnen des Ewig-Weiblichen nützlich waren. Vollends
auf der Nachmittagsfahrt mußten wir uns durch Tauwasserpfützen mit darauf
schwimmenden, in Schnee und Eis konservierten Unreinlichkeiten in schlankem
Trabe durcharbeiten und manches mitnehmen, was uns wenig genußreich er¬
schien. Der Dembowitza, einem Bukurescht durchströmendem Zufluß des Ardshis,


Über Budapest nach Bukurescht

Wache, ich glaube von einem Jägerbataillon, unter den Klängen eines heimatlich
berührenden Marsches in auffällig schnellem Schritt, aber in recht guter Ordnung
abrückte. Es ist doch eigentümlich, daß ein guter Teil der in die aufstrebenden
Staaten verpflanzten deutschen Kultur militärisch ist, und für den Soldaten ist
es hocherfreulich, zu sehen, daß durch diese eigentümliche Kulturmission vielfach
segensreich in diesen Ländern gewirkt wird. Ohne unsern Paradedrill und den
auf das Äußerliche gerichteten Teil unsrer Ausbildung bedingungslos loben zu
wollen, habe ich nun doch den Eindruck gewonnen, daß mit dieser wenig er¬
hebenden, vielfach kleinlichen Arbeit der allgemeinen Erziehung zur Ordnung
wesentlich genützt wird. Der erste Friedrich Wilhelm hat mit soldatischer Zucht
und Ordnung einen zuverlässigen Beamtenstand gegründet, Friedrich der Große
seinen Offizieren die Pünktlichkeit und die Genauigkeit eingeschärft, und Kaiser
Wilhelm bewußt die vielfach verspottete stramme Exerzierdisziplin auch auf dem
Gefechtsfelde gefordert, die uns bei allen Fehlern 1866 und 1870 in den schwersten
Augenblicken hat aushalten lassen. Das Königreich an der untern Donau hat
sich entschieden mit unsern Formen auch den Geist in ihnen angeeignet und ist
ein im ganzen wohlgeordnetes Staatengebilde geworden.

Der Erfolg der Regententätigkeit des Hohenzollern in Rumänien spricht
sich unter anderm in der äußerlichen Umgestaltung der Hauptstadt aus. Eine
Reihe geschmackvoll aussehender öffentlicher Gebäude ziert sie. Darunter nimmt
die Post am Ende der Calea Victoriei entschieden eine bevorzugte Stelle ein.
Ein großer quadratischer Bau in Sandstein mit Freitreppen an der Hauptfront,
im Innern sehr sachgemäß eingeteilt, nach der Calea mit einer Unzahl Schaltern
in einem großen breiten und hellen Flur versehen, große Höfe enthaltend, ist
er auf eine bedeutende Verkehrssteigerung zugeschnitten und fordert dadurch die
Kritik der Krämerseelen heraus. Die in der Stadt verstreuten Ministerien ent¬
sprechen in ihren geringern Dimensionen der Bedeutung des Königreichs etwas
besser; nur das Justizministerium ist ein größerer, dafür ziemlich unschöner
Bau. Die Metropolitankirche an günstiger Stelle, von der man einen schönen
Überblick über die Stadt hat, entbehrt als Hauptstätte des Knies auch äußerlich
der ihr zukommenden Bedeutung nicht. Das Schloß des Königs ist ein ein¬
stöckiger Bau in Hufeisenform, nicht viel größer als das Reichskanzlerpalais in
Berlin. Es ehrt durch seine Einfachheit den Sinn seines Bewohners.

Auf Spazierfahrten und Spaziergängen blieb uns leider die Beobachtung
nicht erspart, daß das städtische Budget zu einer gründlichen Beseitigung der
Zugaben der winterlichen Temperatur nicht ausreicht. Ich sage leider, denn
es passierte uns allen, daß wir auf den Trottoirs der besten Straßen aus¬
glitten, weil der zu Glatteis gefrorne Schnee nicht entfernt worden war;
und als die Mittagssonne auf Dächer und Trottoirs wirkte, entstanden an
solchen Stellen kleine Schmutzlachen, die uns ebensowenig erfreuten, wie sie den
seidnen Jupons der Vertreterinnen des Ewig-Weiblichen nützlich waren. Vollends
auf der Nachmittagsfahrt mußten wir uns durch Tauwasserpfützen mit darauf
schwimmenden, in Schnee und Eis konservierten Unreinlichkeiten in schlankem
Trabe durcharbeiten und manches mitnehmen, was uns wenig genußreich er¬
schien. Der Dembowitza, einem Bukurescht durchströmendem Zufluß des Ardshis,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/504>, abgerufen am 27.12.2024.