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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Menschenfrühling

Vieh und Schafen weiden das kurze junge Gras ab. Schloß Finckenstein macht
einen so guten Eindruck, als man hierzulande nur erwarte" kann. Das Dorf
ist in bestem Zustande; doch ist alles überfüllt. Der Kronprinz von Bayern
wohnt in der Schule. Peres hat hier eine längere Audienz bei dem Kaiser,
mit dem er in einem großen Saale in der Diagonale auf und ab wandelt. Das
Gespräch dreht sich um militürchirurgische Dinge, die Zahl der Verwundeten
von Preußisch-Eylau und ähnliche Themata. Bei einem zweiten Besuche in
Finckenstein findet Percy dort den persischen Gesandten, und es ist noch voller
dort im Schlosse geworden. Den Kaiser kann er diesesmal nicht sprechen.




Menschensrühling
Charlotte Niese von (Fortsetzung)

red war durch die Hecke verschwunden, und Christel stieß einen
schrillen Schrei aus. Dann sah sie Anneli, die noch immer neben
ihrem kleinen Grabe kniete und der schnellen Unterhaltung halb im
Traum gefolgt war. Ihr Kopf schmerzte von neuem, und sie mußte
mehr an Virneburg und an die Kirchhofecke denken als an das
Feuer hier.

Nun stand Christel neben ihr und strich über ihren schweren Kopf.

Cäsar hat es gut. Er ist tot, und ich lebe noch. Und nun kommt das Ge¬
fängnis, und alle Leute werden von mir schwatzen. Frau Bürgermeisterin wird
einen Kaffee geben, und Karoline wird mich nicht mehr grüßen. Und wenn ich
wieder frei bin, wird kein Mensch etwas mit mir zu tun haben wollen. Nicht
einmal Fred. Anneli, was fange ich an?

Ihre Stimme war sonderbar geworden, und ihre Augen hatten einen gläsernen
Blick. Anneli wußte keinen Rat. Sie hatte nur verstanden, daß Cäsar von
Christel getötet worden war, und sie strich mit den Händen über sein kleines Grab
und schluchzte.

Eine Zeit lang stand Christel "eben ihr, dann lief sie durch den Garten,
starrte vor sich hin, flüsterte halblaute Worte und fuhr zusammen, wenn sie ein
Geräusch auf der Straße hörte.

Frau Doktor Sudeck lag noch im Bett, sie durfte niemand sehen, und Anneli
erhielt ihr Abendbrot in der Küche.

Später kam der Doktor von einer anstrengenden Fahrt nach Hause, und
Christel stand auf der Treppe und horchte auf seine Stimme. Aber er schalt nur,
weil die Kartoffeln zu seinem Abendessen nicht scharf genug gebraten waren.

Dann kam die Nacht, eine Mondscheinnacht, in der Anneli ihren schmerzenden
Kopf auf die Kissen legte, nicht schlafen konnte und doch zu müde war. als daß
W Hütte denken mögen. Gelegentlich wunderte sie sich, daß Christel Feuer anze¬
igt hatte, und über ihren Cäsar hätte sie am liebsten immer geweint, aber dann
^f sie durch Virneburgs enge Gassen, die Frau Bäckermeister lachte hinter ihr
^r. und um die Straßenecke, gerade dort, wo das Heiligenbild mit dem ewigen
Lichte stand, kam ihr Vater gegangen und reichte ihr die Hand. Er war nicht
"'ehr blaß und müde, er hatte rote Wangen und glänzende Augen. Hinter ihm
"ver stand ein Engel mit schneeweißen Flügeln. Sie schillerten in der Sonne und


Menschenfrühling

Vieh und Schafen weiden das kurze junge Gras ab. Schloß Finckenstein macht
einen so guten Eindruck, als man hierzulande nur erwarte» kann. Das Dorf
ist in bestem Zustande; doch ist alles überfüllt. Der Kronprinz von Bayern
wohnt in der Schule. Peres hat hier eine längere Audienz bei dem Kaiser,
mit dem er in einem großen Saale in der Diagonale auf und ab wandelt. Das
Gespräch dreht sich um militürchirurgische Dinge, die Zahl der Verwundeten
von Preußisch-Eylau und ähnliche Themata. Bei einem zweiten Besuche in
Finckenstein findet Percy dort den persischen Gesandten, und es ist noch voller
dort im Schlosse geworden. Den Kaiser kann er diesesmal nicht sprechen.




Menschensrühling
Charlotte Niese von (Fortsetzung)

red war durch die Hecke verschwunden, und Christel stieß einen
schrillen Schrei aus. Dann sah sie Anneli, die noch immer neben
ihrem kleinen Grabe kniete und der schnellen Unterhaltung halb im
Traum gefolgt war. Ihr Kopf schmerzte von neuem, und sie mußte
mehr an Virneburg und an die Kirchhofecke denken als an das
Feuer hier.

Nun stand Christel neben ihr und strich über ihren schweren Kopf.

Cäsar hat es gut. Er ist tot, und ich lebe noch. Und nun kommt das Ge¬
fängnis, und alle Leute werden von mir schwatzen. Frau Bürgermeisterin wird
einen Kaffee geben, und Karoline wird mich nicht mehr grüßen. Und wenn ich
wieder frei bin, wird kein Mensch etwas mit mir zu tun haben wollen. Nicht
einmal Fred. Anneli, was fange ich an?

Ihre Stimme war sonderbar geworden, und ihre Augen hatten einen gläsernen
Blick. Anneli wußte keinen Rat. Sie hatte nur verstanden, daß Cäsar von
Christel getötet worden war, und sie strich mit den Händen über sein kleines Grab
und schluchzte.

Eine Zeit lang stand Christel »eben ihr, dann lief sie durch den Garten,
starrte vor sich hin, flüsterte halblaute Worte und fuhr zusammen, wenn sie ein
Geräusch auf der Straße hörte.

Frau Doktor Sudeck lag noch im Bett, sie durfte niemand sehen, und Anneli
erhielt ihr Abendbrot in der Küche.

Später kam der Doktor von einer anstrengenden Fahrt nach Hause, und
Christel stand auf der Treppe und horchte auf seine Stimme. Aber er schalt nur,
weil die Kartoffeln zu seinem Abendessen nicht scharf genug gebraten waren.

Dann kam die Nacht, eine Mondscheinnacht, in der Anneli ihren schmerzenden
Kopf auf die Kissen legte, nicht schlafen konnte und doch zu müde war. als daß
W Hütte denken mögen. Gelegentlich wunderte sie sich, daß Christel Feuer anze¬
igt hatte, und über ihren Cäsar hätte sie am liebsten immer geweint, aber dann
^f sie durch Virneburgs enge Gassen, die Frau Bäckermeister lachte hinter ihr
^r. und um die Straßenecke, gerade dort, wo das Heiligenbild mit dem ewigen
Lichte stand, kam ihr Vater gegangen und reichte ihr die Hand. Er war nicht
"'ehr blaß und müde, er hatte rote Wangen und glänzende Augen. Hinter ihm
"ver stand ein Engel mit schneeweißen Flügeln. Sie schillerten in der Sonne und


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[0395] Menschenfrühling Vieh und Schafen weiden das kurze junge Gras ab. Schloß Finckenstein macht einen so guten Eindruck, als man hierzulande nur erwarte» kann. Das Dorf ist in bestem Zustande; doch ist alles überfüllt. Der Kronprinz von Bayern wohnt in der Schule. Peres hat hier eine längere Audienz bei dem Kaiser, mit dem er in einem großen Saale in der Diagonale auf und ab wandelt. Das Gespräch dreht sich um militürchirurgische Dinge, die Zahl der Verwundeten von Preußisch-Eylau und ähnliche Themata. Bei einem zweiten Besuche in Finckenstein findet Percy dort den persischen Gesandten, und es ist noch voller dort im Schlosse geworden. Den Kaiser kann er diesesmal nicht sprechen. Menschensrühling Charlotte Niese von (Fortsetzung) red war durch die Hecke verschwunden, und Christel stieß einen schrillen Schrei aus. Dann sah sie Anneli, die noch immer neben ihrem kleinen Grabe kniete und der schnellen Unterhaltung halb im Traum gefolgt war. Ihr Kopf schmerzte von neuem, und sie mußte mehr an Virneburg und an die Kirchhofecke denken als an das Feuer hier. Nun stand Christel neben ihr und strich über ihren schweren Kopf. Cäsar hat es gut. Er ist tot, und ich lebe noch. Und nun kommt das Ge¬ fängnis, und alle Leute werden von mir schwatzen. Frau Bürgermeisterin wird einen Kaffee geben, und Karoline wird mich nicht mehr grüßen. Und wenn ich wieder frei bin, wird kein Mensch etwas mit mir zu tun haben wollen. Nicht einmal Fred. Anneli, was fange ich an? Ihre Stimme war sonderbar geworden, und ihre Augen hatten einen gläsernen Blick. Anneli wußte keinen Rat. Sie hatte nur verstanden, daß Cäsar von Christel getötet worden war, und sie strich mit den Händen über sein kleines Grab und schluchzte. Eine Zeit lang stand Christel »eben ihr, dann lief sie durch den Garten, starrte vor sich hin, flüsterte halblaute Worte und fuhr zusammen, wenn sie ein Geräusch auf der Straße hörte. Frau Doktor Sudeck lag noch im Bett, sie durfte niemand sehen, und Anneli erhielt ihr Abendbrot in der Küche. Später kam der Doktor von einer anstrengenden Fahrt nach Hause, und Christel stand auf der Treppe und horchte auf seine Stimme. Aber er schalt nur, weil die Kartoffeln zu seinem Abendessen nicht scharf genug gebraten waren. Dann kam die Nacht, eine Mondscheinnacht, in der Anneli ihren schmerzenden Kopf auf die Kissen legte, nicht schlafen konnte und doch zu müde war. als daß W Hütte denken mögen. Gelegentlich wunderte sie sich, daß Christel Feuer anze¬ igt hatte, und über ihren Cäsar hätte sie am liebsten immer geweint, aber dann ^f sie durch Virneburgs enge Gassen, die Frau Bäckermeister lachte hinter ihr ^r. und um die Straßenecke, gerade dort, wo das Heiligenbild mit dem ewigen Lichte stand, kam ihr Vater gegangen und reichte ihr die Hand. Er war nicht "'ehr blaß und müde, er hatte rote Wangen und glänzende Augen. Hinter ihm "ver stand ein Engel mit schneeweißen Flügeln. Sie schillerten in der Sonne und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/395>, abgerufen am 24.07.2024.