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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Menscheiifrühling

nach ihrem warmen Bett. Das Doktorhrius war noch offen, weil die Dienstmädchen
noch vor der Tür standen, und Sudecks wahrscheinlich auch beim Feuer waren.
Anneli schlüpfte die Treppe hinauf, und als sie die Tür des Giebelzimmers öffnete,
fiel ihr ein, daß sie noch nicht an Christel gedacht hatte. Wo war sie beim Feuer
gewesen? Doch sie vergaß das Fragen, als sie Christel beim Schein der Kerze vor
Cäsars Korb knien und an ihm hantieren sah. Der Hund war in Watte gewickelt
und wimnierte leise.

Was ist mit Cäsar? Anneli kniete schon vor dem Korb und sah in ein paar
erloschne Hundeaugen. Christel zuckte die Achseln.

Et muß beim Feuer gewesen sein und sich verbrannt haben. Eben fand ich
ihn vor der Haustür und habe ihn verbunden.

Ihre Stimme klang gepreßt, aber Anneli achtete nicht darauf. Sie konnte
nicht begreifen, wie der Hund an das Feuer gekommen sein mochte. Mit ihr war
er nicht gelaufen, und er war überhaupt nicht im Zimmer gewesen.

Wo warst du denn, Christel, und hattest du ihn nicht bei dir? fragte sie,
wahrend die andre nur den Kopf schüttelte und frisches Öl auf das weiche braune
Fell träufelte, das im Schmerz zuckte.

Sie legten das arme kleine Tier in Christels Bett, sie kühlten seine Brand¬
wunden und gaben ihm Wasser zu trinken. Aber der Hund mochte nicht mehr
trinken, nur manchmal wedelte er noch mit seinem Teckelschwänzchen und spitzte die
Pinscherohren. Aber seine Augen wurden immer gläserner, und nur einmal noch
leckte er Aureus Hand. Dann reckte er sich, seufzte tief auf und ging dann aus
dieser Welt, die ihm eigentlich nur Gutes und Lustiges gegeben hatte, bis sie ihm
endlich die Lust nicht mehr gönnte und ihn einen bittern Lcideuskelch trinken ließ.
Die Sonne stieg schon am Himmel empor, als Cäsar seinen letzten Seufzer tat.
Beide Mädchen waren nicht zu Bett gegangen, sondern hatten bet ihm ausgehalten.
Nun brach Anneli in bittre Tränen ans, und Christel wickelte die noch warme
Leiche in ihr eignes Betttuch.

Wir wollen ihn schnell begraben, Anneli, die Eltern brauchen nichts davon
zu wissen.

Weshalb nicht? Bei aller Trauer konnte sich Anneli des Erstaunens nicht ent¬
halten. Mein lieber Cäsar hat doch nichts Böses getan, und weshalb ist er so
verbrannt worden?

In alles konnte sie sich nicht finden; aber Christel zeigte ihr, daß sie tu"
müßte, was sie wollte. Ihr blasses Gesicht war noch blasser geworden, ihr Mund
legte sich in trotzige Falten, und ihre Stimme wurde hart und befehlend.

Da mußte Anneli wohl oder übel gehorchen und stand dann sehr bald mit
ihrem toten kleinen Freund im Garten. Dicht bei dem häßlichen Schuppen unter
lauter dunkeln Bäumen warf Christel rin dem Spaten ein kleines Grab aus, in
das Cäsar gelegt wurde. Derselbe Cäsar, der noch vor wenig Stunden gesprungen
und gebellt hatte, von dem kein Mensch denken konnte, daß er jemals sterben könnte.
Und nun kam die nasse schwere Erde über ihn, und er mußte still liegen bis --
ja bis wann? Heute konnte sich Anneli nicht trösten. Sie verschmähte, ihre Milch
zu trinken und Brot dazu zu essen. Als sie nachher bei Rike Blüthen nähte,
weinte sie so bitterlich, daß die stille kleine Lehrerin etwas mitleidig wurde, dann
aber, nachdem sie alles, zwar recht verworren, gehört hatte, abweisend den Kopf
schüttelte. '

Um einen Hund muß mau sich nicht so anstellen, sagte sie. Viele Menschen
sind schlimmer daran, und um die bekümmert sich keine Seele.

, Das war weise gesprochen, aber kein Trost für Anneli, die rin ihrem Leid
überall hin hätte hausieren gehn mögen und doch nirgends Verständnis fand.

- ^ Herr Gebhardt ermahnte sie, sich zusammenzunehmen, und ihr Onkel konnte
nicht verstehn, daß man um ein kleines Tier so arg weinte.


Menscheiifrühling

nach ihrem warmen Bett. Das Doktorhrius war noch offen, weil die Dienstmädchen
noch vor der Tür standen, und Sudecks wahrscheinlich auch beim Feuer waren.
Anneli schlüpfte die Treppe hinauf, und als sie die Tür des Giebelzimmers öffnete,
fiel ihr ein, daß sie noch nicht an Christel gedacht hatte. Wo war sie beim Feuer
gewesen? Doch sie vergaß das Fragen, als sie Christel beim Schein der Kerze vor
Cäsars Korb knien und an ihm hantieren sah. Der Hund war in Watte gewickelt
und wimnierte leise.

Was ist mit Cäsar? Anneli kniete schon vor dem Korb und sah in ein paar
erloschne Hundeaugen. Christel zuckte die Achseln.

Et muß beim Feuer gewesen sein und sich verbrannt haben. Eben fand ich
ihn vor der Haustür und habe ihn verbunden.

Ihre Stimme klang gepreßt, aber Anneli achtete nicht darauf. Sie konnte
nicht begreifen, wie der Hund an das Feuer gekommen sein mochte. Mit ihr war
er nicht gelaufen, und er war überhaupt nicht im Zimmer gewesen.

Wo warst du denn, Christel, und hattest du ihn nicht bei dir? fragte sie,
wahrend die andre nur den Kopf schüttelte und frisches Öl auf das weiche braune
Fell träufelte, das im Schmerz zuckte.

Sie legten das arme kleine Tier in Christels Bett, sie kühlten seine Brand¬
wunden und gaben ihm Wasser zu trinken. Aber der Hund mochte nicht mehr
trinken, nur manchmal wedelte er noch mit seinem Teckelschwänzchen und spitzte die
Pinscherohren. Aber seine Augen wurden immer gläserner, und nur einmal noch
leckte er Aureus Hand. Dann reckte er sich, seufzte tief auf und ging dann aus
dieser Welt, die ihm eigentlich nur Gutes und Lustiges gegeben hatte, bis sie ihm
endlich die Lust nicht mehr gönnte und ihn einen bittern Lcideuskelch trinken ließ.
Die Sonne stieg schon am Himmel empor, als Cäsar seinen letzten Seufzer tat.
Beide Mädchen waren nicht zu Bett gegangen, sondern hatten bet ihm ausgehalten.
Nun brach Anneli in bittre Tränen ans, und Christel wickelte die noch warme
Leiche in ihr eignes Betttuch.

Wir wollen ihn schnell begraben, Anneli, die Eltern brauchen nichts davon
zu wissen.

Weshalb nicht? Bei aller Trauer konnte sich Anneli des Erstaunens nicht ent¬
halten. Mein lieber Cäsar hat doch nichts Böses getan, und weshalb ist er so
verbrannt worden?

In alles konnte sie sich nicht finden; aber Christel zeigte ihr, daß sie tu»
müßte, was sie wollte. Ihr blasses Gesicht war noch blasser geworden, ihr Mund
legte sich in trotzige Falten, und ihre Stimme wurde hart und befehlend.

Da mußte Anneli wohl oder übel gehorchen und stand dann sehr bald mit
ihrem toten kleinen Freund im Garten. Dicht bei dem häßlichen Schuppen unter
lauter dunkeln Bäumen warf Christel rin dem Spaten ein kleines Grab aus, in
das Cäsar gelegt wurde. Derselbe Cäsar, der noch vor wenig Stunden gesprungen
und gebellt hatte, von dem kein Mensch denken konnte, daß er jemals sterben könnte.
Und nun kam die nasse schwere Erde über ihn, und er mußte still liegen bis —
ja bis wann? Heute konnte sich Anneli nicht trösten. Sie verschmähte, ihre Milch
zu trinken und Brot dazu zu essen. Als sie nachher bei Rike Blüthen nähte,
weinte sie so bitterlich, daß die stille kleine Lehrerin etwas mitleidig wurde, dann
aber, nachdem sie alles, zwar recht verworren, gehört hatte, abweisend den Kopf
schüttelte. '

Um einen Hund muß mau sich nicht so anstellen, sagte sie. Viele Menschen
sind schlimmer daran, und um die bekümmert sich keine Seele.

, Das war weise gesprochen, aber kein Trost für Anneli, die rin ihrem Leid
überall hin hätte hausieren gehn mögen und doch nirgends Verständnis fand.

- ^ Herr Gebhardt ermahnte sie, sich zusammenzunehmen, und ihr Onkel konnte
nicht verstehn, daß man um ein kleines Tier so arg weinte.


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[0344] Menscheiifrühling nach ihrem warmen Bett. Das Doktorhrius war noch offen, weil die Dienstmädchen noch vor der Tür standen, und Sudecks wahrscheinlich auch beim Feuer waren. Anneli schlüpfte die Treppe hinauf, und als sie die Tür des Giebelzimmers öffnete, fiel ihr ein, daß sie noch nicht an Christel gedacht hatte. Wo war sie beim Feuer gewesen? Doch sie vergaß das Fragen, als sie Christel beim Schein der Kerze vor Cäsars Korb knien und an ihm hantieren sah. Der Hund war in Watte gewickelt und wimnierte leise. Was ist mit Cäsar? Anneli kniete schon vor dem Korb und sah in ein paar erloschne Hundeaugen. Christel zuckte die Achseln. Et muß beim Feuer gewesen sein und sich verbrannt haben. Eben fand ich ihn vor der Haustür und habe ihn verbunden. Ihre Stimme klang gepreßt, aber Anneli achtete nicht darauf. Sie konnte nicht begreifen, wie der Hund an das Feuer gekommen sein mochte. Mit ihr war er nicht gelaufen, und er war überhaupt nicht im Zimmer gewesen. Wo warst du denn, Christel, und hattest du ihn nicht bei dir? fragte sie, wahrend die andre nur den Kopf schüttelte und frisches Öl auf das weiche braune Fell träufelte, das im Schmerz zuckte. Sie legten das arme kleine Tier in Christels Bett, sie kühlten seine Brand¬ wunden und gaben ihm Wasser zu trinken. Aber der Hund mochte nicht mehr trinken, nur manchmal wedelte er noch mit seinem Teckelschwänzchen und spitzte die Pinscherohren. Aber seine Augen wurden immer gläserner, und nur einmal noch leckte er Aureus Hand. Dann reckte er sich, seufzte tief auf und ging dann aus dieser Welt, die ihm eigentlich nur Gutes und Lustiges gegeben hatte, bis sie ihm endlich die Lust nicht mehr gönnte und ihn einen bittern Lcideuskelch trinken ließ. Die Sonne stieg schon am Himmel empor, als Cäsar seinen letzten Seufzer tat. Beide Mädchen waren nicht zu Bett gegangen, sondern hatten bet ihm ausgehalten. Nun brach Anneli in bittre Tränen ans, und Christel wickelte die noch warme Leiche in ihr eignes Betttuch. Wir wollen ihn schnell begraben, Anneli, die Eltern brauchen nichts davon zu wissen. Weshalb nicht? Bei aller Trauer konnte sich Anneli des Erstaunens nicht ent¬ halten. Mein lieber Cäsar hat doch nichts Böses getan, und weshalb ist er so verbrannt worden? In alles konnte sie sich nicht finden; aber Christel zeigte ihr, daß sie tu» müßte, was sie wollte. Ihr blasses Gesicht war noch blasser geworden, ihr Mund legte sich in trotzige Falten, und ihre Stimme wurde hart und befehlend. Da mußte Anneli wohl oder übel gehorchen und stand dann sehr bald mit ihrem toten kleinen Freund im Garten. Dicht bei dem häßlichen Schuppen unter lauter dunkeln Bäumen warf Christel rin dem Spaten ein kleines Grab aus, in das Cäsar gelegt wurde. Derselbe Cäsar, der noch vor wenig Stunden gesprungen und gebellt hatte, von dem kein Mensch denken konnte, daß er jemals sterben könnte. Und nun kam die nasse schwere Erde über ihn, und er mußte still liegen bis — ja bis wann? Heute konnte sich Anneli nicht trösten. Sie verschmähte, ihre Milch zu trinken und Brot dazu zu essen. Als sie nachher bei Rike Blüthen nähte, weinte sie so bitterlich, daß die stille kleine Lehrerin etwas mitleidig wurde, dann aber, nachdem sie alles, zwar recht verworren, gehört hatte, abweisend den Kopf schüttelte. ' Um einen Hund muß mau sich nicht so anstellen, sagte sie. Viele Menschen sind schlimmer daran, und um die bekümmert sich keine Seele. , Das war weise gesprochen, aber kein Trost für Anneli, die rin ihrem Leid überall hin hätte hausieren gehn mögen und doch nirgends Verständnis fand. - ^ Herr Gebhardt ermahnte sie, sich zusammenzunehmen, und ihr Onkel konnte nicht verstehn, daß man um ein kleines Tier so arg weinte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/344>, abgerufen am 27.12.2024.