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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Menschenfrühling

Dieser Sttftsdame zu Ehren wurden täglich Kciffee- und Teegesellschaften ge¬
geben, und niemand hatte Muße, sich um die zwei kleinen Mädchen zu bekümmern.

Christel war in dieser Zeit innerlich sehr beschäftigt. Was sie hatte, wußte
Anneli nicht. Aber sie saß oft ganz still, sah auf einen Fleck und lachte dann
triumphierend vor sich hin. Manchmal kam auch Rita Makler zu ihr, und beide
Mädchen flüsterten eifrig miteinander. Rita behandelte Anneli noch immer von
oben herab und sprach von kleinen Kindern, sobald sie sie sah. Deshalb ging ihr
die Kleine eilig und beleidigt aus dem Wege und freute sich, ihre freie Zeit bei
Peters im Garten zubringen zu dürfen. Dort war es immer still und behaglich,
und wenn es regnete, gab es an der Hinterseite des Hauses noch einen alten Holz¬
stall, worin Herr Peters bedächtig einige Scheite sägte, um sich Bewegung zu ver¬
schaffen, wo es nach Sägespänen roch, und von dessen kleinen Fenstern man über
das Gartenstaket weg auf die Straße sehen konnte. Es war dumm, daß Christel
eines Nachmittags am Petersschen Hause vorübergehn mußte, gerade in dem Augen¬
blick, wo sich Anneli durch das Holzstaket zwängte, Um wieder auf die Straße zu
kommen. Hier war nämlich keine Tür, aber die Holzlatten waren so freundlich, sich
auseinanderzubiegen und Anneli durchzulassen.

Was tust du hier? erkundigte sich Christel, und Anneli hatte eine Lüge auf
der Zunge. Dann aber schämte sie sich und sagte die Wahrheit.

Ich bin manchmal bei Peters. Es sind nette Leute.

Zu ihrem Erstaunen sagte Christel nicht viel. Sie hob nur die Schultern
und lächelte vor sich hin.

Das Maß ist voll. Nun haben sie mir dich auch weggenommen.

Was haben sie getan? fragte Anneli erstaunt, aber die andre antwortete erst
nach einer Weile und dann etwas halb verständliches. Rita sagt auch, sie müssen
bestraft werden.

Anneli war ein wenig beschämt, daß sie mit Leuten verkehrte, die Christel
nicht leiden konnte, und als diese sie nachher zu einem ganz abseits wohnenden
Krämer schickte, damit sie dort zwei Weinflaschen voll Petroleum hole, tat sie es,
obgleich sie sonst nicht dafür war, mit vollen Weinflaschen im Arm auf der Straße
umher zu laufen. Besonders, da ihr dann wahrscheinlich Fred Roland begegnen
würde, den sie jetzt fast niemals sah, und mit dem sie doch so gern einmal wieder
gesprochen hätte. Aber sie scheute sich auch vor Christel, die noch gelegentlich die
Absicht aussprach, Fred Roland heiraten zu wollen, und die böse wurde, wenn
jemand anders ihn gern hatte. Ihre Angst war unbegründet, ohne Begegnung kam
sie mit den zwei vollen Flaschen nach Hause, und Cäsar lief lustig neben ihr her.
Er war jetzt viel klüger als ein Mensch, verstand jedes Wort und konnte die
schönsten Kunststücke machen. Es war nur schade, daß er oft lieber mit Christel
ging als mit Anneli. Aber heute war er ohne Befehl mit ihr gegangen und hatte
beim Krämer ein Stück Zucker erhalten.

Anneli dachte noch an ihren Hund, als sie schon im Bett lag. Sudecks waren
aus, der Doktor auf Praxis, seine Frau in einer Teegesellschaft. Eigentlich hatte
Anneli heute noch nicht zu Bett gehn wollen, weil sie ein Buch aufgestöbert hatte,
in das sie sich vertiefte, und von dem die Trennung schwer war. Aber Christel
machte ihre Autorität geltend und schickte sie nach oben, obgleich sie selbst einen
alten Hut aufsetzte und eilig aus der Haustür schlüpfte. Trug sie ein Paket im
Arm? Anneli glaubte es zu sehen, aber dann ärgerte sie sich am meisten darüber,
daß der dumme Cäsar wieder hinter Christel herlief und sie allein ließ. Sie
weinte fast ein wenig, als sie einsam oben im Bett lag, aber dann glitten aller¬
hand bunte Bilder an ihrer Seele vorüber, von dem Buche her, das sie gelesen
hatte. Rita Makler hatte es Christel geliehen, und es handelte von viel Aben¬
teuern und von noch mehr Liebe. Die Liebesgeschichten hatte Anneli überschlagen,
weil sie sie nicht verstehn konnte, aber die Abenteuer, eine Feuersbrunst, ein Schiff¬
bruch und dann Mord und Totschlag beschäftigten ihre Gedanken. Konnte man


Menschenfrühling

Dieser Sttftsdame zu Ehren wurden täglich Kciffee- und Teegesellschaften ge¬
geben, und niemand hatte Muße, sich um die zwei kleinen Mädchen zu bekümmern.

Christel war in dieser Zeit innerlich sehr beschäftigt. Was sie hatte, wußte
Anneli nicht. Aber sie saß oft ganz still, sah auf einen Fleck und lachte dann
triumphierend vor sich hin. Manchmal kam auch Rita Makler zu ihr, und beide
Mädchen flüsterten eifrig miteinander. Rita behandelte Anneli noch immer von
oben herab und sprach von kleinen Kindern, sobald sie sie sah. Deshalb ging ihr
die Kleine eilig und beleidigt aus dem Wege und freute sich, ihre freie Zeit bei
Peters im Garten zubringen zu dürfen. Dort war es immer still und behaglich,
und wenn es regnete, gab es an der Hinterseite des Hauses noch einen alten Holz¬
stall, worin Herr Peters bedächtig einige Scheite sägte, um sich Bewegung zu ver¬
schaffen, wo es nach Sägespänen roch, und von dessen kleinen Fenstern man über
das Gartenstaket weg auf die Straße sehen konnte. Es war dumm, daß Christel
eines Nachmittags am Petersschen Hause vorübergehn mußte, gerade in dem Augen¬
blick, wo sich Anneli durch das Holzstaket zwängte, Um wieder auf die Straße zu
kommen. Hier war nämlich keine Tür, aber die Holzlatten waren so freundlich, sich
auseinanderzubiegen und Anneli durchzulassen.

Was tust du hier? erkundigte sich Christel, und Anneli hatte eine Lüge auf
der Zunge. Dann aber schämte sie sich und sagte die Wahrheit.

Ich bin manchmal bei Peters. Es sind nette Leute.

Zu ihrem Erstaunen sagte Christel nicht viel. Sie hob nur die Schultern
und lächelte vor sich hin.

Das Maß ist voll. Nun haben sie mir dich auch weggenommen.

Was haben sie getan? fragte Anneli erstaunt, aber die andre antwortete erst
nach einer Weile und dann etwas halb verständliches. Rita sagt auch, sie müssen
bestraft werden.

Anneli war ein wenig beschämt, daß sie mit Leuten verkehrte, die Christel
nicht leiden konnte, und als diese sie nachher zu einem ganz abseits wohnenden
Krämer schickte, damit sie dort zwei Weinflaschen voll Petroleum hole, tat sie es,
obgleich sie sonst nicht dafür war, mit vollen Weinflaschen im Arm auf der Straße
umher zu laufen. Besonders, da ihr dann wahrscheinlich Fred Roland begegnen
würde, den sie jetzt fast niemals sah, und mit dem sie doch so gern einmal wieder
gesprochen hätte. Aber sie scheute sich auch vor Christel, die noch gelegentlich die
Absicht aussprach, Fred Roland heiraten zu wollen, und die böse wurde, wenn
jemand anders ihn gern hatte. Ihre Angst war unbegründet, ohne Begegnung kam
sie mit den zwei vollen Flaschen nach Hause, und Cäsar lief lustig neben ihr her.
Er war jetzt viel klüger als ein Mensch, verstand jedes Wort und konnte die
schönsten Kunststücke machen. Es war nur schade, daß er oft lieber mit Christel
ging als mit Anneli. Aber heute war er ohne Befehl mit ihr gegangen und hatte
beim Krämer ein Stück Zucker erhalten.

Anneli dachte noch an ihren Hund, als sie schon im Bett lag. Sudecks waren
aus, der Doktor auf Praxis, seine Frau in einer Teegesellschaft. Eigentlich hatte
Anneli heute noch nicht zu Bett gehn wollen, weil sie ein Buch aufgestöbert hatte,
in das sie sich vertiefte, und von dem die Trennung schwer war. Aber Christel
machte ihre Autorität geltend und schickte sie nach oben, obgleich sie selbst einen
alten Hut aufsetzte und eilig aus der Haustür schlüpfte. Trug sie ein Paket im
Arm? Anneli glaubte es zu sehen, aber dann ärgerte sie sich am meisten darüber,
daß der dumme Cäsar wieder hinter Christel herlief und sie allein ließ. Sie
weinte fast ein wenig, als sie einsam oben im Bett lag, aber dann glitten aller¬
hand bunte Bilder an ihrer Seele vorüber, von dem Buche her, das sie gelesen
hatte. Rita Makler hatte es Christel geliehen, und es handelte von viel Aben¬
teuern und von noch mehr Liebe. Die Liebesgeschichten hatte Anneli überschlagen,
weil sie sie nicht verstehn konnte, aber die Abenteuer, eine Feuersbrunst, ein Schiff¬
bruch und dann Mord und Totschlag beschäftigten ihre Gedanken. Konnte man


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[0342] Menschenfrühling Dieser Sttftsdame zu Ehren wurden täglich Kciffee- und Teegesellschaften ge¬ geben, und niemand hatte Muße, sich um die zwei kleinen Mädchen zu bekümmern. Christel war in dieser Zeit innerlich sehr beschäftigt. Was sie hatte, wußte Anneli nicht. Aber sie saß oft ganz still, sah auf einen Fleck und lachte dann triumphierend vor sich hin. Manchmal kam auch Rita Makler zu ihr, und beide Mädchen flüsterten eifrig miteinander. Rita behandelte Anneli noch immer von oben herab und sprach von kleinen Kindern, sobald sie sie sah. Deshalb ging ihr die Kleine eilig und beleidigt aus dem Wege und freute sich, ihre freie Zeit bei Peters im Garten zubringen zu dürfen. Dort war es immer still und behaglich, und wenn es regnete, gab es an der Hinterseite des Hauses noch einen alten Holz¬ stall, worin Herr Peters bedächtig einige Scheite sägte, um sich Bewegung zu ver¬ schaffen, wo es nach Sägespänen roch, und von dessen kleinen Fenstern man über das Gartenstaket weg auf die Straße sehen konnte. Es war dumm, daß Christel eines Nachmittags am Petersschen Hause vorübergehn mußte, gerade in dem Augen¬ blick, wo sich Anneli durch das Holzstaket zwängte, Um wieder auf die Straße zu kommen. Hier war nämlich keine Tür, aber die Holzlatten waren so freundlich, sich auseinanderzubiegen und Anneli durchzulassen. Was tust du hier? erkundigte sich Christel, und Anneli hatte eine Lüge auf der Zunge. Dann aber schämte sie sich und sagte die Wahrheit. Ich bin manchmal bei Peters. Es sind nette Leute. Zu ihrem Erstaunen sagte Christel nicht viel. Sie hob nur die Schultern und lächelte vor sich hin. Das Maß ist voll. Nun haben sie mir dich auch weggenommen. Was haben sie getan? fragte Anneli erstaunt, aber die andre antwortete erst nach einer Weile und dann etwas halb verständliches. Rita sagt auch, sie müssen bestraft werden. Anneli war ein wenig beschämt, daß sie mit Leuten verkehrte, die Christel nicht leiden konnte, und als diese sie nachher zu einem ganz abseits wohnenden Krämer schickte, damit sie dort zwei Weinflaschen voll Petroleum hole, tat sie es, obgleich sie sonst nicht dafür war, mit vollen Weinflaschen im Arm auf der Straße umher zu laufen. Besonders, da ihr dann wahrscheinlich Fred Roland begegnen würde, den sie jetzt fast niemals sah, und mit dem sie doch so gern einmal wieder gesprochen hätte. Aber sie scheute sich auch vor Christel, die noch gelegentlich die Absicht aussprach, Fred Roland heiraten zu wollen, und die böse wurde, wenn jemand anders ihn gern hatte. Ihre Angst war unbegründet, ohne Begegnung kam sie mit den zwei vollen Flaschen nach Hause, und Cäsar lief lustig neben ihr her. Er war jetzt viel klüger als ein Mensch, verstand jedes Wort und konnte die schönsten Kunststücke machen. Es war nur schade, daß er oft lieber mit Christel ging als mit Anneli. Aber heute war er ohne Befehl mit ihr gegangen und hatte beim Krämer ein Stück Zucker erhalten. Anneli dachte noch an ihren Hund, als sie schon im Bett lag. Sudecks waren aus, der Doktor auf Praxis, seine Frau in einer Teegesellschaft. Eigentlich hatte Anneli heute noch nicht zu Bett gehn wollen, weil sie ein Buch aufgestöbert hatte, in das sie sich vertiefte, und von dem die Trennung schwer war. Aber Christel machte ihre Autorität geltend und schickte sie nach oben, obgleich sie selbst einen alten Hut aufsetzte und eilig aus der Haustür schlüpfte. Trug sie ein Paket im Arm? Anneli glaubte es zu sehen, aber dann ärgerte sie sich am meisten darüber, daß der dumme Cäsar wieder hinter Christel herlief und sie allein ließ. Sie weinte fast ein wenig, als sie einsam oben im Bett lag, aber dann glitten aller¬ hand bunte Bilder an ihrer Seele vorüber, von dem Buche her, das sie gelesen hatte. Rita Makler hatte es Christel geliehen, und es handelte von viel Aben¬ teuern und von noch mehr Liebe. Die Liebesgeschichten hatte Anneli überschlagen, weil sie sie nicht verstehn konnte, aber die Abenteuer, eine Feuersbrunst, ein Schiff¬ bruch und dann Mord und Totschlag beschäftigten ihre Gedanken. Konnte man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/342>, abgerufen am 24.07.2024.