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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Menschenfrüliling

Solche und ähnliche Reden hielt Christel täglich, und Anneli hörte ans sie,
wie man auf das Rauschen des Wassers hört: sie konnte nicht alles verstehn, was
das größere Mädchen sagte, aber es war ihr gleich. Der Sommer lag still und
friedlich über der kleinen Stadt. Wie ausgestorben waren ihre Gassen, und nur
Abends saßen die Leute vor den Haustüren und erzählten sich alte, vergangne Ge¬
schichten. Anneli hörte sie noch plaudern, wenn sie oben im Giebelstübchen im Bett
lag und ihre Träume sie zu umspinnen begannen. Die Träume von der grauen
Stadt in den Eifelbergen wurden blasser, aber wenn sie die Augen schloß, dann
sah sie Falkenhorst vor sich liegen und hörte seine Bäume flüstern. Mutter Maren
saß am Spinnrade und erzählte die Geschichte von dem eigenwilligen gnädigen
Fräulein, die sie eigentlich nicht erzählen durfte, und im Gesellschaftszimmer an der
Wand hing das Bild des kleinen Mädchens mit den trotzigen Augen.

Onkel Willi wurde wieder gesunder. Von Tante Fritze hörte er nicht gern
reden, wenigstens sagte das Schwester Lene, die noch immer bei ihm war und auch
keine Anstalten machte, ihn zu verlassen. Es ging auch wohl nicht anders: irgend
jemand mußte für ihn sorgen, weil er immer noch schwach war, aber Anneli konnte
Schwester Lene nicht leiden, und wenn Christel Frau Peters etwas Schlechtes
wünschte, dann gingen Aureus Gedanken zu Schwester Lene, und sie konnte den
lieben Gott nicht verstehn, daß er gerade sie auf die Welt gesetzt hatte.

Anneli wäre gern wieder auf das Schloß gezogen und in ihr kleines behag¬
liches Zimmer. Aber in diesem Zimmer wohnte Schwester Lene und versicherte
einmal über das andre, daß Anneli sehr gut bei Sudecks aufgehoben wäre.

Anneli mußte sich damit begnügen, täglich zu ihrem Onkel zu gehn und auf
dem gewohnten Platz in der Nische zu sitzen. Onkel Willi gab ihr dann auf. etwas
Französisch zu lernen oder ein Buch zu lesen. Er saß wieder an seinem Schreib¬
tisch, beschrieb einige Blätter oder saß untätig und schaute vor sich hin. Er war
noch oft müde, seine Nichte konnte es an seinem Gesicht sehen, aber er klagte nicht
und versuchte zu arbeiten.

Die Kleine dachte in dieser Zeit niemals an die alte Demoiselle; doch einmal,
als sie am Schloßhof vorüberging, sah sie sie in der warmen Sonne sitzen. Über
ihr blies der Triton an seiner zerbrochnen Muschel und sah dabei ganz fröhlich
aus. Die Sommertage waren auch zu schön, als daß er hätte an sein Alter und
an seine zerbrochnen Glieder denken können. Sangen nicht die Vögel lustige Weisen,
und hatte sich nicht Cäsar eine kleine lächerliche Kläffstimme zugelegt, die er überall
erschallen ließ? Er war reizend, konnte schon apportieren und beinahe auf den
Hinterbeinen sitzen und in den Vorderpfoten eine Rose halten. Eine Rose, die
Christel hinten im Garten von einem der hohen Stämme gepflückt hatte, und die
sie dem Hunde dann ins Halsband steckte.

Christel liebte den Hund, und er liebte sie. Anneli war es manchmal etwas krän¬
kend, wenn Cäsar eben so eilfertig hinter Christel herlief wie hinter ihr und ebenso süß
in Christels Bett schlief wie in dem ihren. Aber den Tieren kann man nicht ge¬
bieten, sie verschenken ihre Liebe, an wen sie wollen.

Doktor Sudeck behauptete, daß Christel den Hund lieber hätte als ihre Eltern,
eine Bemerkung, auf die seine Tochter nur ein Achselzucken hatte.

Alte Leute sagen oft etwas Verrücktes, äußerte sie nachher zu Anneli, während
sie vor ihrem Spiegel stand und sich aufmerksam betrachtete. Ihr schmales Gesicht
war voller geworden und ihre Augen glänzender. Rita Makler hatte ihr schon
gesagt, daß sie hübsch werden würde, und deshalb trug sie jetzt auch ein Weißes
Kleid, einen weißen Hut mit roten Rosen darauf und freute sich auf eine kleine
Kaffeegesellschaft, die bei Rita Makler stattfinden sollte, und wo sie die Hübscheste
sein wollte. Rita hatte Besuch von einem jungen Mädchen aus Lübeck erhalten.
Sie sollte dumm sein, aber es war doch schön, jemand Fremdes kennen zu lernen.

Wenn hier doch nur einmal etwas passierte! setzte Christel hinzu. Totschlag.
Feuersbrunst oder dergleichen. Aber so etwas gibt es ja nicht, wir haben


Menschenfrüliling

Solche und ähnliche Reden hielt Christel täglich, und Anneli hörte ans sie,
wie man auf das Rauschen des Wassers hört: sie konnte nicht alles verstehn, was
das größere Mädchen sagte, aber es war ihr gleich. Der Sommer lag still und
friedlich über der kleinen Stadt. Wie ausgestorben waren ihre Gassen, und nur
Abends saßen die Leute vor den Haustüren und erzählten sich alte, vergangne Ge¬
schichten. Anneli hörte sie noch plaudern, wenn sie oben im Giebelstübchen im Bett
lag und ihre Träume sie zu umspinnen begannen. Die Träume von der grauen
Stadt in den Eifelbergen wurden blasser, aber wenn sie die Augen schloß, dann
sah sie Falkenhorst vor sich liegen und hörte seine Bäume flüstern. Mutter Maren
saß am Spinnrade und erzählte die Geschichte von dem eigenwilligen gnädigen
Fräulein, die sie eigentlich nicht erzählen durfte, und im Gesellschaftszimmer an der
Wand hing das Bild des kleinen Mädchens mit den trotzigen Augen.

Onkel Willi wurde wieder gesunder. Von Tante Fritze hörte er nicht gern
reden, wenigstens sagte das Schwester Lene, die noch immer bei ihm war und auch
keine Anstalten machte, ihn zu verlassen. Es ging auch wohl nicht anders: irgend
jemand mußte für ihn sorgen, weil er immer noch schwach war, aber Anneli konnte
Schwester Lene nicht leiden, und wenn Christel Frau Peters etwas Schlechtes
wünschte, dann gingen Aureus Gedanken zu Schwester Lene, und sie konnte den
lieben Gott nicht verstehn, daß er gerade sie auf die Welt gesetzt hatte.

Anneli wäre gern wieder auf das Schloß gezogen und in ihr kleines behag¬
liches Zimmer. Aber in diesem Zimmer wohnte Schwester Lene und versicherte
einmal über das andre, daß Anneli sehr gut bei Sudecks aufgehoben wäre.

Anneli mußte sich damit begnügen, täglich zu ihrem Onkel zu gehn und auf
dem gewohnten Platz in der Nische zu sitzen. Onkel Willi gab ihr dann auf. etwas
Französisch zu lernen oder ein Buch zu lesen. Er saß wieder an seinem Schreib¬
tisch, beschrieb einige Blätter oder saß untätig und schaute vor sich hin. Er war
noch oft müde, seine Nichte konnte es an seinem Gesicht sehen, aber er klagte nicht
und versuchte zu arbeiten.

Die Kleine dachte in dieser Zeit niemals an die alte Demoiselle; doch einmal,
als sie am Schloßhof vorüberging, sah sie sie in der warmen Sonne sitzen. Über
ihr blies der Triton an seiner zerbrochnen Muschel und sah dabei ganz fröhlich
aus. Die Sommertage waren auch zu schön, als daß er hätte an sein Alter und
an seine zerbrochnen Glieder denken können. Sangen nicht die Vögel lustige Weisen,
und hatte sich nicht Cäsar eine kleine lächerliche Kläffstimme zugelegt, die er überall
erschallen ließ? Er war reizend, konnte schon apportieren und beinahe auf den
Hinterbeinen sitzen und in den Vorderpfoten eine Rose halten. Eine Rose, die
Christel hinten im Garten von einem der hohen Stämme gepflückt hatte, und die
sie dem Hunde dann ins Halsband steckte.

Christel liebte den Hund, und er liebte sie. Anneli war es manchmal etwas krän¬
kend, wenn Cäsar eben so eilfertig hinter Christel herlief wie hinter ihr und ebenso süß
in Christels Bett schlief wie in dem ihren. Aber den Tieren kann man nicht ge¬
bieten, sie verschenken ihre Liebe, an wen sie wollen.

Doktor Sudeck behauptete, daß Christel den Hund lieber hätte als ihre Eltern,
eine Bemerkung, auf die seine Tochter nur ein Achselzucken hatte.

Alte Leute sagen oft etwas Verrücktes, äußerte sie nachher zu Anneli, während
sie vor ihrem Spiegel stand und sich aufmerksam betrachtete. Ihr schmales Gesicht
war voller geworden und ihre Augen glänzender. Rita Makler hatte ihr schon
gesagt, daß sie hübsch werden würde, und deshalb trug sie jetzt auch ein Weißes
Kleid, einen weißen Hut mit roten Rosen darauf und freute sich auf eine kleine
Kaffeegesellschaft, die bei Rita Makler stattfinden sollte, und wo sie die Hübscheste
sein wollte. Rita hatte Besuch von einem jungen Mädchen aus Lübeck erhalten.
Sie sollte dumm sein, aber es war doch schön, jemand Fremdes kennen zu lernen.

Wenn hier doch nur einmal etwas passierte! setzte Christel hinzu. Totschlag.
Feuersbrunst oder dergleichen. Aber so etwas gibt es ja nicht, wir haben


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[0289] Menschenfrüliling Solche und ähnliche Reden hielt Christel täglich, und Anneli hörte ans sie, wie man auf das Rauschen des Wassers hört: sie konnte nicht alles verstehn, was das größere Mädchen sagte, aber es war ihr gleich. Der Sommer lag still und friedlich über der kleinen Stadt. Wie ausgestorben waren ihre Gassen, und nur Abends saßen die Leute vor den Haustüren und erzählten sich alte, vergangne Ge¬ schichten. Anneli hörte sie noch plaudern, wenn sie oben im Giebelstübchen im Bett lag und ihre Träume sie zu umspinnen begannen. Die Träume von der grauen Stadt in den Eifelbergen wurden blasser, aber wenn sie die Augen schloß, dann sah sie Falkenhorst vor sich liegen und hörte seine Bäume flüstern. Mutter Maren saß am Spinnrade und erzählte die Geschichte von dem eigenwilligen gnädigen Fräulein, die sie eigentlich nicht erzählen durfte, und im Gesellschaftszimmer an der Wand hing das Bild des kleinen Mädchens mit den trotzigen Augen. Onkel Willi wurde wieder gesunder. Von Tante Fritze hörte er nicht gern reden, wenigstens sagte das Schwester Lene, die noch immer bei ihm war und auch keine Anstalten machte, ihn zu verlassen. Es ging auch wohl nicht anders: irgend jemand mußte für ihn sorgen, weil er immer noch schwach war, aber Anneli konnte Schwester Lene nicht leiden, und wenn Christel Frau Peters etwas Schlechtes wünschte, dann gingen Aureus Gedanken zu Schwester Lene, und sie konnte den lieben Gott nicht verstehn, daß er gerade sie auf die Welt gesetzt hatte. Anneli wäre gern wieder auf das Schloß gezogen und in ihr kleines behag¬ liches Zimmer. Aber in diesem Zimmer wohnte Schwester Lene und versicherte einmal über das andre, daß Anneli sehr gut bei Sudecks aufgehoben wäre. Anneli mußte sich damit begnügen, täglich zu ihrem Onkel zu gehn und auf dem gewohnten Platz in der Nische zu sitzen. Onkel Willi gab ihr dann auf. etwas Französisch zu lernen oder ein Buch zu lesen. Er saß wieder an seinem Schreib¬ tisch, beschrieb einige Blätter oder saß untätig und schaute vor sich hin. Er war noch oft müde, seine Nichte konnte es an seinem Gesicht sehen, aber er klagte nicht und versuchte zu arbeiten. Die Kleine dachte in dieser Zeit niemals an die alte Demoiselle; doch einmal, als sie am Schloßhof vorüberging, sah sie sie in der warmen Sonne sitzen. Über ihr blies der Triton an seiner zerbrochnen Muschel und sah dabei ganz fröhlich aus. Die Sommertage waren auch zu schön, als daß er hätte an sein Alter und an seine zerbrochnen Glieder denken können. Sangen nicht die Vögel lustige Weisen, und hatte sich nicht Cäsar eine kleine lächerliche Kläffstimme zugelegt, die er überall erschallen ließ? Er war reizend, konnte schon apportieren und beinahe auf den Hinterbeinen sitzen und in den Vorderpfoten eine Rose halten. Eine Rose, die Christel hinten im Garten von einem der hohen Stämme gepflückt hatte, und die sie dem Hunde dann ins Halsband steckte. Christel liebte den Hund, und er liebte sie. Anneli war es manchmal etwas krän¬ kend, wenn Cäsar eben so eilfertig hinter Christel herlief wie hinter ihr und ebenso süß in Christels Bett schlief wie in dem ihren. Aber den Tieren kann man nicht ge¬ bieten, sie verschenken ihre Liebe, an wen sie wollen. Doktor Sudeck behauptete, daß Christel den Hund lieber hätte als ihre Eltern, eine Bemerkung, auf die seine Tochter nur ein Achselzucken hatte. Alte Leute sagen oft etwas Verrücktes, äußerte sie nachher zu Anneli, während sie vor ihrem Spiegel stand und sich aufmerksam betrachtete. Ihr schmales Gesicht war voller geworden und ihre Augen glänzender. Rita Makler hatte ihr schon gesagt, daß sie hübsch werden würde, und deshalb trug sie jetzt auch ein Weißes Kleid, einen weißen Hut mit roten Rosen darauf und freute sich auf eine kleine Kaffeegesellschaft, die bei Rita Makler stattfinden sollte, und wo sie die Hübscheste sein wollte. Rita hatte Besuch von einem jungen Mädchen aus Lübeck erhalten. Sie sollte dumm sein, aber es war doch schön, jemand Fremdes kennen zu lernen. Wenn hier doch nur einmal etwas passierte! setzte Christel hinzu. Totschlag. Feuersbrunst oder dergleichen. Aber so etwas gibt es ja nicht, wir haben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/289>, abgerufen am 04.07.2024.