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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen an Johannes Grunom

daß seine Krastnatur schließlich siegen werde. Erst ein kurzer Bericht seines
Kompagnons vom 26. März hat mir ernstliche Besorgnis eingeflößt; ohne
diesen würde mich die Todesnachricht völlig unerwartet getroffen und ganz
außer Fassung gebracht haben. Den erwähnten einen Brief zu vernichten,
konnte ich nicht übers Herz bringen, weil er ein ganz besonders rührender
Beweis seiner freundschaftlichen Gesinnung war. Er ist vom 19. Juni 1893
datiert und im Krankenbett mit Bleistift geschrieben. Ich hatte drei Wochen
lang keine Zeile von seiner Hand bekommen und die Vermutung geäußert, daß
er böse sei. Er erzählt nun in dem vier Seiten langen Briefe mit scherzenden
Humor -- an Humor fehlte es seinen Briefen nie -- die Geschichte seiner Er¬
krankung (Ursache war die Erkältung, die er sich auf einer mit seiner Gattin
unternommuen Harzpartie zugezogen hatte) und erklärt meine Vermutung für
unbegründet. Übelnehmisch sei er nicht. "Sie sollten hören, was für Schmeichel-
haftigkeiten wir uns manchmal sagen am Stammtisch -- wenn Sie mich wirklich
einmal ärgerten, kriegten sie gleich was im Stammtischton. Aber es ist ja über¬
haupt keine Möglichkeit dazu vorhanden." Nicht bloß Möglichkeit; leider habe ich
ihn in den folgenden Jahren wirklich manchmal geärgert. Er schließt: "Das
Lesen wird Ihnen wohl ebenso sauer werden jdurchans nichtj wie mir das
Schreiben. Ich habe es als Schwitzkur benützt, aber nun bin ich fertig und
wie gebadet!" Frau Grunow hat an den Rand geschrieben, sie habe sehr gezankt,
als sie, von einem Ausgang zurückgekommen, das lange Schriftstück erblickt habe;
ich möge daraus ersehen, wie sehr ihn meine irrige Vermutung betrübt habe. Er
hat sich, bis in seinen letzten Brief vom vorigen Oktober hinein, immer als den mir
zu Dank Verpflichteten hingestellt, während die Dankesschuld ganz auf meiner
Seite ist. Denn wenn ich auch in einer kritischen Übergangszeit den Grenz¬
boten einen vielleicht nicht unwichtigen Dienst geleistet habe, hat sich doch die
Lage seitdem in der oben angegebnen Weise geändert. Was dagegen mich als
Empfangenden betrifft, so hat mir erst Gruuow zu einer aufkündigen und ver¬
hältnismäßig gesicherten Existenz verholfen, hat mich durch den Verlag meiner
Bücher im Publikum bekannt gemacht, und ohne die reiche Fülle von Rezen¬
sionsexemplaren, die mir von den Grenzboten in regelmäßigen Abständen zu-
gehn, wäre meine Schriftstellerei in einer aller literarischen Hilfsmittel ent¬
behrenden Kleinstadt gar nicht möglich.

Daß nun dieser edle Mensch, den der liebreichste und gewissenhafteste
Familiensinn beseelte, von schrecklichen Erkrankungen der geliebten Gattin und
teurer Kinder heimgesucht werden, daß ihn selbst, den zartfühlenden und schuld¬
losen, ein grausames Leiden jahrelang Plagen, der Tod den kraftvollen Mann
lange vor dem natürlichen Endziel des Menschenlebens, und ehe er seine Auf¬
gaben in der Familie und in seinem Unternehmen völlig gelöst hatte, hinweg¬
raffen mußte, das gehört zu den Rätseln, deren das Leben voll ist. Ihm sind
sie jetzt gelöst; möge ich nach nicht zu langer Frist mich mit ihm der Lösung
Carl Ientsch freuen dürfen.




Erinnerungen an Johannes Grunom

daß seine Krastnatur schließlich siegen werde. Erst ein kurzer Bericht seines
Kompagnons vom 26. März hat mir ernstliche Besorgnis eingeflößt; ohne
diesen würde mich die Todesnachricht völlig unerwartet getroffen und ganz
außer Fassung gebracht haben. Den erwähnten einen Brief zu vernichten,
konnte ich nicht übers Herz bringen, weil er ein ganz besonders rührender
Beweis seiner freundschaftlichen Gesinnung war. Er ist vom 19. Juni 1893
datiert und im Krankenbett mit Bleistift geschrieben. Ich hatte drei Wochen
lang keine Zeile von seiner Hand bekommen und die Vermutung geäußert, daß
er böse sei. Er erzählt nun in dem vier Seiten langen Briefe mit scherzenden
Humor — an Humor fehlte es seinen Briefen nie — die Geschichte seiner Er¬
krankung (Ursache war die Erkältung, die er sich auf einer mit seiner Gattin
unternommuen Harzpartie zugezogen hatte) und erklärt meine Vermutung für
unbegründet. Übelnehmisch sei er nicht. „Sie sollten hören, was für Schmeichel-
haftigkeiten wir uns manchmal sagen am Stammtisch — wenn Sie mich wirklich
einmal ärgerten, kriegten sie gleich was im Stammtischton. Aber es ist ja über¬
haupt keine Möglichkeit dazu vorhanden." Nicht bloß Möglichkeit; leider habe ich
ihn in den folgenden Jahren wirklich manchmal geärgert. Er schließt: „Das
Lesen wird Ihnen wohl ebenso sauer werden jdurchans nichtj wie mir das
Schreiben. Ich habe es als Schwitzkur benützt, aber nun bin ich fertig und
wie gebadet!" Frau Grunow hat an den Rand geschrieben, sie habe sehr gezankt,
als sie, von einem Ausgang zurückgekommen, das lange Schriftstück erblickt habe;
ich möge daraus ersehen, wie sehr ihn meine irrige Vermutung betrübt habe. Er
hat sich, bis in seinen letzten Brief vom vorigen Oktober hinein, immer als den mir
zu Dank Verpflichteten hingestellt, während die Dankesschuld ganz auf meiner
Seite ist. Denn wenn ich auch in einer kritischen Übergangszeit den Grenz¬
boten einen vielleicht nicht unwichtigen Dienst geleistet habe, hat sich doch die
Lage seitdem in der oben angegebnen Weise geändert. Was dagegen mich als
Empfangenden betrifft, so hat mir erst Gruuow zu einer aufkündigen und ver¬
hältnismäßig gesicherten Existenz verholfen, hat mich durch den Verlag meiner
Bücher im Publikum bekannt gemacht, und ohne die reiche Fülle von Rezen¬
sionsexemplaren, die mir von den Grenzboten in regelmäßigen Abständen zu-
gehn, wäre meine Schriftstellerei in einer aller literarischen Hilfsmittel ent¬
behrenden Kleinstadt gar nicht möglich.

Daß nun dieser edle Mensch, den der liebreichste und gewissenhafteste
Familiensinn beseelte, von schrecklichen Erkrankungen der geliebten Gattin und
teurer Kinder heimgesucht werden, daß ihn selbst, den zartfühlenden und schuld¬
losen, ein grausames Leiden jahrelang Plagen, der Tod den kraftvollen Mann
lange vor dem natürlichen Endziel des Menschenlebens, und ehe er seine Auf¬
gaben in der Familie und in seinem Unternehmen völlig gelöst hatte, hinweg¬
raffen mußte, das gehört zu den Rätseln, deren das Leben voll ist. Ihm sind
sie jetzt gelöst; möge ich nach nicht zu langer Frist mich mit ihm der Lösung
Carl Ientsch freuen dürfen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/247>, abgerufen am 24.07.2024.