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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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persönliches über Johannes Grunow

Aber auch das rein "künstlerische" Tändeln mit inhaltlosen Nichtigkeiten
mochte er nicht. Andrerseits befriedigte ihn ebensowenig die bloße Absicht, der
Wille zum Guten, ohne die künstlerische Wirkung. Dafür hatte er die Rubrik
"Schwächlich", bei der er ganze Gruppen von Schriftstellern unterbrachte. Bei
der Zerfahrenheit unsrer heutigen sogenannten schönen Literatur war sein fester
Geschmack in literarischen Dingen eine wahre Wohltat für die Grenzboten.
Sein Kunstgeschmack war für mein persönliches Gefühl zu klassizistisch, womit
auch das zusammenhing, daß es ihm für die Grenzboten niemals zuviel werde"
konnte mit den stark ins Kraut geschossenen Reisebeschreibungen über Stätten
antiker Kultur. Aber diese niemals aus dem Konzept zu bringende, warme
Verehrung der klassischen Bildung in jederlei Gestalt hatte doch auch etwas
ungemein rührendes. Das war die Macht einer großen Idee über ihn.
Denn an seine Gymnasiastenzeit konnte er unmöglich allzuviel freundliche Er¬
innerungen bewahrt haben, wie ich aus seinen Erzählungen wußte. Er schrieb
selbst nicht häufig, und er bedauerte das: er müsse aller acht Tage ein grünes
Heft fertig machen, was seine Zeit ganz ausfüllte. Nahm er die Feder in
die Hand, so ging es leicht und schnell. Er beherrschte unsre Sprache wie
wenige. Alles Wustmcmnsche Erziehung und etwas guter Wille, Pflegte er
zu sagen. Aber die Korrektheit tat es nicht allein. Alles, was er schrieb,
war von einer natürlichen Anmut, einer ungesuchten Einfachheit und Klarheit.
Darin übertraf er nach meinem Gefühl alle seine Mitarbeiter. Man fühlte
den Menschen, die ganze Person.

Das machte auch den mündlichen Verkehr mit ihm so ertragreich. Aus
jeder Unterhaltung gewann er Belehrung, und er wußte das Gespräch un¬
merkbar so zu lenken, daß es für ihn fruchtbar wurde. Im größern Kreise
verhielt er sich gern zuhörend, und dann war es ein Genuß, die stillredenden
Züge dieses schönen Kopfes zu beobachten und der Richtung seiner sinnenden
lichtblauen Augen zu folgen, denen doch nichts entging. Trat eine Pause ein,
so nahm er eine fremde Äußerung, die sonst wohl hätte verloren gehn können,
auf und verhalf ihr zu ihrem Recht, indem er die Unterhaltung daran weiter¬
führte. Diese Kunst habe ich oft an ihm bewundern müssen. Er war kein
Unterhaltungstyrann, wollte nicht immer das Wort haben und monologisierte
niemals. Ergriff er aber das Wort, so sprach ein kluger Mann, und in so
verbindlicher Weise, daß er einem die Meinung aus der Seele zu nehmen
schien. Dieses Gefühl wird mancher gehabt haben, der Gelegenheit hatte, mit
ihm zusammenzukommen. Wenn man mit Möser spricht, so fängt man an zu
glauben, man wisse etwas und sei etwas, sagte einst Lichtenberg. Bei Grunow
war diese Gabe kein bloßes Naturgeschenk, sondern eine Frucht seiner Herzens¬
bildung und seiner Selbsterziehung. Er hatte einen bis zum Eigensinn steigerungs¬
fähigen Willen, und ohne den würde er sicher nicht soviel im Leben geleistet
haben, dazu eine lebhafte, warme, ja kochende Empfindung, aber er wußte sich
meisterhaft zusammenzunehmen. Bei heftigen Meinungsdifferenzen konnte er
äußerlich ruhig erscheinen, und man mußte ihn schon recht genau kennen, wenn
man ihm etwas von innerlicher Erregung anmerken wollte. Ihr höchster Grad
gab sich in ganz akuten Fällen darin für den Näherstehenden zu erkennen,
daß er stillschwieg.


persönliches über Johannes Grunow

Aber auch das rein „künstlerische" Tändeln mit inhaltlosen Nichtigkeiten
mochte er nicht. Andrerseits befriedigte ihn ebensowenig die bloße Absicht, der
Wille zum Guten, ohne die künstlerische Wirkung. Dafür hatte er die Rubrik
„Schwächlich", bei der er ganze Gruppen von Schriftstellern unterbrachte. Bei
der Zerfahrenheit unsrer heutigen sogenannten schönen Literatur war sein fester
Geschmack in literarischen Dingen eine wahre Wohltat für die Grenzboten.
Sein Kunstgeschmack war für mein persönliches Gefühl zu klassizistisch, womit
auch das zusammenhing, daß es ihm für die Grenzboten niemals zuviel werde»
konnte mit den stark ins Kraut geschossenen Reisebeschreibungen über Stätten
antiker Kultur. Aber diese niemals aus dem Konzept zu bringende, warme
Verehrung der klassischen Bildung in jederlei Gestalt hatte doch auch etwas
ungemein rührendes. Das war die Macht einer großen Idee über ihn.
Denn an seine Gymnasiastenzeit konnte er unmöglich allzuviel freundliche Er¬
innerungen bewahrt haben, wie ich aus seinen Erzählungen wußte. Er schrieb
selbst nicht häufig, und er bedauerte das: er müsse aller acht Tage ein grünes
Heft fertig machen, was seine Zeit ganz ausfüllte. Nahm er die Feder in
die Hand, so ging es leicht und schnell. Er beherrschte unsre Sprache wie
wenige. Alles Wustmcmnsche Erziehung und etwas guter Wille, Pflegte er
zu sagen. Aber die Korrektheit tat es nicht allein. Alles, was er schrieb,
war von einer natürlichen Anmut, einer ungesuchten Einfachheit und Klarheit.
Darin übertraf er nach meinem Gefühl alle seine Mitarbeiter. Man fühlte
den Menschen, die ganze Person.

Das machte auch den mündlichen Verkehr mit ihm so ertragreich. Aus
jeder Unterhaltung gewann er Belehrung, und er wußte das Gespräch un¬
merkbar so zu lenken, daß es für ihn fruchtbar wurde. Im größern Kreise
verhielt er sich gern zuhörend, und dann war es ein Genuß, die stillredenden
Züge dieses schönen Kopfes zu beobachten und der Richtung seiner sinnenden
lichtblauen Augen zu folgen, denen doch nichts entging. Trat eine Pause ein,
so nahm er eine fremde Äußerung, die sonst wohl hätte verloren gehn können,
auf und verhalf ihr zu ihrem Recht, indem er die Unterhaltung daran weiter¬
führte. Diese Kunst habe ich oft an ihm bewundern müssen. Er war kein
Unterhaltungstyrann, wollte nicht immer das Wort haben und monologisierte
niemals. Ergriff er aber das Wort, so sprach ein kluger Mann, und in so
verbindlicher Weise, daß er einem die Meinung aus der Seele zu nehmen
schien. Dieses Gefühl wird mancher gehabt haben, der Gelegenheit hatte, mit
ihm zusammenzukommen. Wenn man mit Möser spricht, so fängt man an zu
glauben, man wisse etwas und sei etwas, sagte einst Lichtenberg. Bei Grunow
war diese Gabe kein bloßes Naturgeschenk, sondern eine Frucht seiner Herzens¬
bildung und seiner Selbsterziehung. Er hatte einen bis zum Eigensinn steigerungs¬
fähigen Willen, und ohne den würde er sicher nicht soviel im Leben geleistet
haben, dazu eine lebhafte, warme, ja kochende Empfindung, aber er wußte sich
meisterhaft zusammenzunehmen. Bei heftigen Meinungsdifferenzen konnte er
äußerlich ruhig erscheinen, und man mußte ihn schon recht genau kennen, wenn
man ihm etwas von innerlicher Erregung anmerken wollte. Ihr höchster Grad
gab sich in ganz akuten Fällen darin für den Näherstehenden zu erkennen,
daß er stillschwieg.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/241>, abgerufen am 27.12.2024.