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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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persönliches über Johannes Grunow

das bestimmteste abgelehnt, zuweilen scharf bekämpft. Daß sie dabei so manchen
Abonnenten verloren, störte Johannes Grunow niemals; er war sicher, daß er
wenigstens ebenso viele neue gewann. Denn er war nicht wesentlich Geschäfts¬
mann, dazu war er viel zu sehr Idealist; er wollte seine Grenzboten, sein
Lieblingskind, den Gegenstand seiner unablässigen Sorge und einer unermüd¬
lichen Arbeit, zu einem führenden Organ der nationalen Presse machen, vor
allem zu einem Organ unabhängiger Leute, die etwas Selbständiges, Gedachtes
und Erlebtes zu sagen hatten.

Nun ist er dahingegangen, vor der Zeit. Den stattlichen, aufrechten
Mann, aus dessen blauen Augen unter buschigen Brauen, der hohen freien
Stirn und dem aufstrebenden vollen weißen Haar seine ganze energische
Persönlichkeit sprach, hat eine tückische schleichende Krankheit gefällt. Er hat
auch gegen sie gekämpft, er wollte sich nicht werfen lassen, er rang auch hier
gegen den Strom. Bis in seine letzten Wochen kümmerte er sich um die Ge¬
staltung der Hefte und um manche Einzelheiten; erst der Tod nahm ihm die
Leitung aus der Hand. Die Grenzboten sind in den 65 Jahren ihres Be¬
stehens treue Führer und Begleiter der Gebildeten des deutschen Volkes ge¬
wesen, und sie werden es auch ferner bleiben. Die Grundlage und die Tendenz
sind ihnen gegeben, aber die schließen nicht aus, daß die Grenzboten fernerhin
auch Gebieten ihre besondre Aufmerksamkeit zuwenden werden, die bis dahin
wegen der überwiegenden Berücksichtigung der politischen und der wirtschaftlichen
F Gelo Aaemmel ragen manchmal zu kurz gekommen sind.




Persönliches über Johannes Grunow

er letzte Brief, den ich von unserm verewigten Freunde erhielt
-- er war vom 2. März und nach längerer Unterbrechung ge¬
schrieben --, hatte folgenden Anfang: "Ich bin sehr krank ge¬
wesen, vor allem mutlos und kraftlos; man hat mir so oft
gesagt, ich müsse mich schonen und dürfe gewisse Arbeiten nicht
mehr tun, daß ich mir schließlich habe sagen müssen, meine Arbeit sei über¬
haupt überflüssig -- selbstverständlich, denn jedes Leben hat sein Ende, einmal
reißt der Faden ab, und dann lebt die Menschheit weiter, ohne daß der
Einzelne weitern Einfluß auf ihr Wirken Hütte. Es ist ganz eigentümlich,
wenn man sich diese Dinge klar macht, und ich spürs, wie man aus dem
lebendigen Leben herauswelkt, ohne daß dieses in seiner Totalität eine Ver¬
änderung erleidet." Nicht in seiner Totalität, konnte ich ihm darauf nur
antworten, aber in sehr wesentlichen Teilen. Denn soviel war doch klar, daß
das Abscheiden dieses außerordentlichen Mannes in seinem Kreise noch lange,
lange nachgefühlt werden mußte.

Eine seltene Begabung machte ihn in gleicher Weise geschickt zu schrift¬
stellerischer Tätigkeit wie zum Gedankenaustausch mit Menschen. Als Geschäfts¬
mann, der er zunächst sein mußte, hatte er zur Lektüre immer nur wenig


persönliches über Johannes Grunow

das bestimmteste abgelehnt, zuweilen scharf bekämpft. Daß sie dabei so manchen
Abonnenten verloren, störte Johannes Grunow niemals; er war sicher, daß er
wenigstens ebenso viele neue gewann. Denn er war nicht wesentlich Geschäfts¬
mann, dazu war er viel zu sehr Idealist; er wollte seine Grenzboten, sein
Lieblingskind, den Gegenstand seiner unablässigen Sorge und einer unermüd¬
lichen Arbeit, zu einem führenden Organ der nationalen Presse machen, vor
allem zu einem Organ unabhängiger Leute, die etwas Selbständiges, Gedachtes
und Erlebtes zu sagen hatten.

Nun ist er dahingegangen, vor der Zeit. Den stattlichen, aufrechten
Mann, aus dessen blauen Augen unter buschigen Brauen, der hohen freien
Stirn und dem aufstrebenden vollen weißen Haar seine ganze energische
Persönlichkeit sprach, hat eine tückische schleichende Krankheit gefällt. Er hat
auch gegen sie gekämpft, er wollte sich nicht werfen lassen, er rang auch hier
gegen den Strom. Bis in seine letzten Wochen kümmerte er sich um die Ge¬
staltung der Hefte und um manche Einzelheiten; erst der Tod nahm ihm die
Leitung aus der Hand. Die Grenzboten sind in den 65 Jahren ihres Be¬
stehens treue Führer und Begleiter der Gebildeten des deutschen Volkes ge¬
wesen, und sie werden es auch ferner bleiben. Die Grundlage und die Tendenz
sind ihnen gegeben, aber die schließen nicht aus, daß die Grenzboten fernerhin
auch Gebieten ihre besondre Aufmerksamkeit zuwenden werden, die bis dahin
wegen der überwiegenden Berücksichtigung der politischen und der wirtschaftlichen
F Gelo Aaemmel ragen manchmal zu kurz gekommen sind.




Persönliches über Johannes Grunow

er letzte Brief, den ich von unserm verewigten Freunde erhielt
— er war vom 2. März und nach längerer Unterbrechung ge¬
schrieben —, hatte folgenden Anfang: „Ich bin sehr krank ge¬
wesen, vor allem mutlos und kraftlos; man hat mir so oft
gesagt, ich müsse mich schonen und dürfe gewisse Arbeiten nicht
mehr tun, daß ich mir schließlich habe sagen müssen, meine Arbeit sei über¬
haupt überflüssig — selbstverständlich, denn jedes Leben hat sein Ende, einmal
reißt der Faden ab, und dann lebt die Menschheit weiter, ohne daß der
Einzelne weitern Einfluß auf ihr Wirken Hütte. Es ist ganz eigentümlich,
wenn man sich diese Dinge klar macht, und ich spürs, wie man aus dem
lebendigen Leben herauswelkt, ohne daß dieses in seiner Totalität eine Ver¬
änderung erleidet." Nicht in seiner Totalität, konnte ich ihm darauf nur
antworten, aber in sehr wesentlichen Teilen. Denn soviel war doch klar, daß
das Abscheiden dieses außerordentlichen Mannes in seinem Kreise noch lange,
lange nachgefühlt werden mußte.

Eine seltene Begabung machte ihn in gleicher Weise geschickt zu schrift¬
stellerischer Tätigkeit wie zum Gedankenaustausch mit Menschen. Als Geschäfts¬
mann, der er zunächst sein mußte, hatte er zur Lektüre immer nur wenig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/239>, abgerufen am 27.12.2024.