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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Menschenfrühling

Es war eine so schreckliche Geschichte und eine Schande für die Familie Falken¬
berg gewesen. Es war ja gut, daß der alte Herr von Falkenberg schon tot war,
aber für die gnädige Frau, die immer den Kopf so hoch getragen hatte, und für Herrn
Bodo. der damals schon eine Stellung bei der Gesandtschaft bekleidete -- für die
zwei war es gewesen, als stürzte die Welt ein.

Auch Anneli schämte sich, wenn sie Mutter Waren so aufgeregt sah. Es kam
ihr vor, als trüge auch sie Schuld daran, daß die alte Frau von Falkenberg nachher
so krank gewesen war, daß sie hart geworden und unversöhnlich war, daß sie ihrer
Tochter niemals hatte verzeihen wollen. Auch dann nicht, als das Unglück zu der
schönen Annaluise gekommen war. die bis jetzt nur das Glück gekannt hatte.

Nachdem sich Harald Pankow verheiratet hatte, war es nichts mehr mit dem
Studieren gewesen. Er war mit seiner jungen Frau in die Welt gezogen, nach
Süddeutschland, oder Gott weiß, wohin. Das Unglück reiste mit ihnen. Annaluise
war immer krank gewesen, ihre Kinder starben, eins nach dem andern, nur ein armes
kleines Mädchen blieb am Leben, und dann legte sich die Mutter selbst zum Sterben.
Nun war auch Harald Pankow tot, und wenn die Leute Recht hatten, die ehemals
behauptet hatten, Annaluise Falkenberg hätte ihn geheiratet, und er nicht sie, dann
war die Geschichte noch wunderlicher.

Auf den Schluß achtete Anneli niemals. Sie mußte nur daran denken, daß
sie das arme kleine Mädchen war, das nicht starb wie seine ältern Geschwister,
das weiterleben und wahrscheinlich Gouvernante werden mußte. Warum war sie
nicht tot und lag still in der steinigen Kirchhofecke bei Vater und Mutter, warum
lebte sie und mußte sich schämen, ans der Welt zu sein?

Mit düsterm Blick stand sie eines Tages vor dem Ölgemälde, das ein kleines
Mädchen mit goldbraunem Haar und einem trotzigen Gesicht darstellte. Das Bild
hing in einem der Gesellschaftszimmer hinter einer Portiere; wer es nicht sehen
wollte, der brauchte es nicht. Aber Bernb zeigte es seiner Cousine.

Das ist deine Mutter. Großmutter hat das Bild nicht in ihren Zimmern
haben wollen. Deshalb hängt es hier. Papa ist nicht so arg böse, setzte er wohl¬
wollend hinzu, und ich bin auch nicht so.

Diese Gesellschaftsräume wurden nicht immer geöffnet; aber gelegentlich kam
doch Besuch, und Anneli schlich sich zu dem Bilde und betrachtete es vorwurfsvoll.
Wenn sie dann ihr Gedächtnis abmühte, bis die Gestalt einer blassen, zarten Frau
vor ihr erstand, dann konnte sie wieder nicht begreifen, daß dieses trotzige Kind
und die blasse Frau ein und dieselbe Persönlichkeit sein sollten.

Aber nicht immer schämte sich Anneli der Sünden ihrer Eltern. Der Sommer
wurde warm, der Garten war herrlich, und Onkel Bodo zeigte sich immer gütig.

Er erlaubte, daß Anneli vom Kutscher Reitstunden erhielt, er sorgte dafür,
daß Herr Lindemann sie täglich ein wenig unterrichtete, damit sie nicht alle Weisheit
vergesse, und als sie ihn ernsthaft fragte, ob sie schon wirklich daran denken müßte,
Gouvernante zu werden, lachte er und klopfte sie auf die Wange.

Zuerst wollen wir noch vergnügt sein, liebes Kind!

Sie sah ihn ernsthaft an.

Es tut mir leid, daß meine Mutter euch so viel Kummer gemacht hat; aber
ich kann wahrhaftig nichts dafür. Und wenn du meinen Vater gesehen hättest, Onkel
Bodo -- er war wirklich gut und ist immer so fleißig gewesen --, du hättest
ihn gern gehabt. Die Frau Bäckermeisterin sagte, er hätte für mich bis zu seiner
letzten Stunde gearbeitet. Und wenn er auch nicht adlich war -- Aureus Stimme
begann zu zittern, aber sie brachte ihren Satz tapfer zu Ende --, Onkel Bodo, ich
glaube, dem lieben Gott macht es nichts aus, ob man Falkenberg heißt oder
Pankow. Und ich habe meinen Vater schrecklich lieb, wo er ist, da will ich
anch hin!

Herr von Falkenberg rückte an seinem Augenglas, küßte Anneli auf die Stirn
und ging dann mit einigen Worten davon, die die Kleine nicht verstand. Aber an
diesen. Tage noch ließ die schöne schlanke Frau Lilli von Falkenberg das kleine


Menschenfrühling

Es war eine so schreckliche Geschichte und eine Schande für die Familie Falken¬
berg gewesen. Es war ja gut, daß der alte Herr von Falkenberg schon tot war,
aber für die gnädige Frau, die immer den Kopf so hoch getragen hatte, und für Herrn
Bodo. der damals schon eine Stellung bei der Gesandtschaft bekleidete — für die
zwei war es gewesen, als stürzte die Welt ein.

Auch Anneli schämte sich, wenn sie Mutter Waren so aufgeregt sah. Es kam
ihr vor, als trüge auch sie Schuld daran, daß die alte Frau von Falkenberg nachher
so krank gewesen war, daß sie hart geworden und unversöhnlich war, daß sie ihrer
Tochter niemals hatte verzeihen wollen. Auch dann nicht, als das Unglück zu der
schönen Annaluise gekommen war. die bis jetzt nur das Glück gekannt hatte.

Nachdem sich Harald Pankow verheiratet hatte, war es nichts mehr mit dem
Studieren gewesen. Er war mit seiner jungen Frau in die Welt gezogen, nach
Süddeutschland, oder Gott weiß, wohin. Das Unglück reiste mit ihnen. Annaluise
war immer krank gewesen, ihre Kinder starben, eins nach dem andern, nur ein armes
kleines Mädchen blieb am Leben, und dann legte sich die Mutter selbst zum Sterben.
Nun war auch Harald Pankow tot, und wenn die Leute Recht hatten, die ehemals
behauptet hatten, Annaluise Falkenberg hätte ihn geheiratet, und er nicht sie, dann
war die Geschichte noch wunderlicher.

Auf den Schluß achtete Anneli niemals. Sie mußte nur daran denken, daß
sie das arme kleine Mädchen war, das nicht starb wie seine ältern Geschwister,
das weiterleben und wahrscheinlich Gouvernante werden mußte. Warum war sie
nicht tot und lag still in der steinigen Kirchhofecke bei Vater und Mutter, warum
lebte sie und mußte sich schämen, ans der Welt zu sein?

Mit düsterm Blick stand sie eines Tages vor dem Ölgemälde, das ein kleines
Mädchen mit goldbraunem Haar und einem trotzigen Gesicht darstellte. Das Bild
hing in einem der Gesellschaftszimmer hinter einer Portiere; wer es nicht sehen
wollte, der brauchte es nicht. Aber Bernb zeigte es seiner Cousine.

Das ist deine Mutter. Großmutter hat das Bild nicht in ihren Zimmern
haben wollen. Deshalb hängt es hier. Papa ist nicht so arg böse, setzte er wohl¬
wollend hinzu, und ich bin auch nicht so.

Diese Gesellschaftsräume wurden nicht immer geöffnet; aber gelegentlich kam
doch Besuch, und Anneli schlich sich zu dem Bilde und betrachtete es vorwurfsvoll.
Wenn sie dann ihr Gedächtnis abmühte, bis die Gestalt einer blassen, zarten Frau
vor ihr erstand, dann konnte sie wieder nicht begreifen, daß dieses trotzige Kind
und die blasse Frau ein und dieselbe Persönlichkeit sein sollten.

Aber nicht immer schämte sich Anneli der Sünden ihrer Eltern. Der Sommer
wurde warm, der Garten war herrlich, und Onkel Bodo zeigte sich immer gütig.

Er erlaubte, daß Anneli vom Kutscher Reitstunden erhielt, er sorgte dafür,
daß Herr Lindemann sie täglich ein wenig unterrichtete, damit sie nicht alle Weisheit
vergesse, und als sie ihn ernsthaft fragte, ob sie schon wirklich daran denken müßte,
Gouvernante zu werden, lachte er und klopfte sie auf die Wange.

Zuerst wollen wir noch vergnügt sein, liebes Kind!

Sie sah ihn ernsthaft an.

Es tut mir leid, daß meine Mutter euch so viel Kummer gemacht hat; aber
ich kann wahrhaftig nichts dafür. Und wenn du meinen Vater gesehen hättest, Onkel
Bodo — er war wirklich gut und ist immer so fleißig gewesen —, du hättest
ihn gern gehabt. Die Frau Bäckermeisterin sagte, er hätte für mich bis zu seiner
letzten Stunde gearbeitet. Und wenn er auch nicht adlich war — Aureus Stimme
begann zu zittern, aber sie brachte ihren Satz tapfer zu Ende —, Onkel Bodo, ich
glaube, dem lieben Gott macht es nichts aus, ob man Falkenberg heißt oder
Pankow. Und ich habe meinen Vater schrecklich lieb, wo er ist, da will ich
anch hin!

Herr von Falkenberg rückte an seinem Augenglas, küßte Anneli auf die Stirn
und ging dann mit einigen Worten davon, die die Kleine nicht verstand. Aber an
diesen. Tage noch ließ die schöne schlanke Frau Lilli von Falkenberg das kleine


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[0225] Menschenfrühling Es war eine so schreckliche Geschichte und eine Schande für die Familie Falken¬ berg gewesen. Es war ja gut, daß der alte Herr von Falkenberg schon tot war, aber für die gnädige Frau, die immer den Kopf so hoch getragen hatte, und für Herrn Bodo. der damals schon eine Stellung bei der Gesandtschaft bekleidete — für die zwei war es gewesen, als stürzte die Welt ein. Auch Anneli schämte sich, wenn sie Mutter Waren so aufgeregt sah. Es kam ihr vor, als trüge auch sie Schuld daran, daß die alte Frau von Falkenberg nachher so krank gewesen war, daß sie hart geworden und unversöhnlich war, daß sie ihrer Tochter niemals hatte verzeihen wollen. Auch dann nicht, als das Unglück zu der schönen Annaluise gekommen war. die bis jetzt nur das Glück gekannt hatte. Nachdem sich Harald Pankow verheiratet hatte, war es nichts mehr mit dem Studieren gewesen. Er war mit seiner jungen Frau in die Welt gezogen, nach Süddeutschland, oder Gott weiß, wohin. Das Unglück reiste mit ihnen. Annaluise war immer krank gewesen, ihre Kinder starben, eins nach dem andern, nur ein armes kleines Mädchen blieb am Leben, und dann legte sich die Mutter selbst zum Sterben. Nun war auch Harald Pankow tot, und wenn die Leute Recht hatten, die ehemals behauptet hatten, Annaluise Falkenberg hätte ihn geheiratet, und er nicht sie, dann war die Geschichte noch wunderlicher. Auf den Schluß achtete Anneli niemals. Sie mußte nur daran denken, daß sie das arme kleine Mädchen war, das nicht starb wie seine ältern Geschwister, das weiterleben und wahrscheinlich Gouvernante werden mußte. Warum war sie nicht tot und lag still in der steinigen Kirchhofecke bei Vater und Mutter, warum lebte sie und mußte sich schämen, ans der Welt zu sein? Mit düsterm Blick stand sie eines Tages vor dem Ölgemälde, das ein kleines Mädchen mit goldbraunem Haar und einem trotzigen Gesicht darstellte. Das Bild hing in einem der Gesellschaftszimmer hinter einer Portiere; wer es nicht sehen wollte, der brauchte es nicht. Aber Bernb zeigte es seiner Cousine. Das ist deine Mutter. Großmutter hat das Bild nicht in ihren Zimmern haben wollen. Deshalb hängt es hier. Papa ist nicht so arg böse, setzte er wohl¬ wollend hinzu, und ich bin auch nicht so. Diese Gesellschaftsräume wurden nicht immer geöffnet; aber gelegentlich kam doch Besuch, und Anneli schlich sich zu dem Bilde und betrachtete es vorwurfsvoll. Wenn sie dann ihr Gedächtnis abmühte, bis die Gestalt einer blassen, zarten Frau vor ihr erstand, dann konnte sie wieder nicht begreifen, daß dieses trotzige Kind und die blasse Frau ein und dieselbe Persönlichkeit sein sollten. Aber nicht immer schämte sich Anneli der Sünden ihrer Eltern. Der Sommer wurde warm, der Garten war herrlich, und Onkel Bodo zeigte sich immer gütig. Er erlaubte, daß Anneli vom Kutscher Reitstunden erhielt, er sorgte dafür, daß Herr Lindemann sie täglich ein wenig unterrichtete, damit sie nicht alle Weisheit vergesse, und als sie ihn ernsthaft fragte, ob sie schon wirklich daran denken müßte, Gouvernante zu werden, lachte er und klopfte sie auf die Wange. Zuerst wollen wir noch vergnügt sein, liebes Kind! Sie sah ihn ernsthaft an. Es tut mir leid, daß meine Mutter euch so viel Kummer gemacht hat; aber ich kann wahrhaftig nichts dafür. Und wenn du meinen Vater gesehen hättest, Onkel Bodo — er war wirklich gut und ist immer so fleißig gewesen —, du hättest ihn gern gehabt. Die Frau Bäckermeisterin sagte, er hätte für mich bis zu seiner letzten Stunde gearbeitet. Und wenn er auch nicht adlich war — Aureus Stimme begann zu zittern, aber sie brachte ihren Satz tapfer zu Ende —, Onkel Bodo, ich glaube, dem lieben Gott macht es nichts aus, ob man Falkenberg heißt oder Pankow. Und ich habe meinen Vater schrecklich lieb, wo er ist, da will ich anch hin! Herr von Falkenberg rückte an seinem Augenglas, küßte Anneli auf die Stirn und ging dann mit einigen Worten davon, die die Kleine nicht verstand. Aber an diesen. Tage noch ließ die schöne schlanke Frau Lilli von Falkenberg das kleine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/225>, abgerufen am 24.07.2024.