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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Menschenfrühling

genanntem Tage Hans Rödel, ein Aschenbrenner von Bischofsgrün, mit seinem
Weibe zum Ochsenkopf hinan, um für seinen Zweck geeignete Bäume auszu¬
suchen, und gelangte von ungefähr in eine mit gleißenden Schätzen angefüllte
Kammer. Aber ein grimmiger schwarzer Hund hielt Wache dabei. Erschrocken
eilte er zurück an das Tageslicht, um sein Weib herbeizurufen. Als er mit
diesem zurückkehrte, konnte er den Eingang zur Schatzkammer uicht mehr finden.
Geister spielen auch in dem Walenbüchlein eine große Rolle. Klaus Gindel
von Venedig -- "oder woher er sonsten von der nächsten Stauden gewesen,"
setzt Will im Hinblick auf die echt germanische Namensform hinzu -- besuchte
nach den von ihm hinterlassenen Aufzeichnungen zweimal mit seinem Bruder
den Fichtelberg und fand an zahlreichen Stellen, die er einzeln namhaft macht,
gediegnes Gold und Silber, Diamanten und Rubinen, warnt aber die Leute
vor den höllischen Geistern, die die Schätze bewachten und schon manchem den
Tod gebracht hätten. Will schwört übrigens durchaus nicht ohne weiteres auf
diese Walenbüchlein. Er gibt zwar zu, daß in frühern Zeiten als Hausierer
verkleidete venezianische Goldsucher den Fichtelbergern wohl Hecheln und Mause¬
fallen gebracht und heimlich edles Erz dafür weggetragen haben mögen, aber
ob die von ihnen herrührenden geheimen Aufzeichnungen irgendwelchen Wert
hätten, darauf müsse, so meint er, doch erst die Probe gemacht werden.




Menschenfrühling
Charlotte Niese von(Fortsetzung)

nei erklärte jetzt das Kaffeetrinken fiir langweilig und verlangte den
Garten zu sehen. Sie bewunderte ihn aber nicht, obgleich er schöne
alte Bäume und Rasenplätze hatte, sondern erzählte gleich von den
Hamburger Gärten an der Elbe und an der Älster. Und dann be¬
richtete sie andre Dinge. Von Theater und Konzerten, von Schau¬
spielern, die "süß" waren, und von andern jungen Herren, mit denen
sie Briefe wechselte, vom Heiraten und von andern Dingen, die sie nur geheimnis¬
voll flüsternd mitteilen konnte, während sich die jüngern Kleinstädterinnen um sie
drängten und begierig jedes Wort einsogen.

Nur Anneli stand wieder abseits unter den Bäumen, betrachtete die blühenden
Büsche und Rosen, sah in den grauen, bleiernen Himmel über sich und wünschte
zum erstenmal in der kleinen versteckten Nische bei ihres Onkels Zimmer zu sitzen
und nur seine leise Stimme zu hören. Keins der Mädchen bekümmerte sich um sie.
Die gingen jetzt alle Arm in Arm um den Nasen, lachten manchmal gellend aus
und versanken dann in andachtvolles Schweigen, bis es Rita Makler von neuem
einfiel, nach der kleinen buutgekleideten Gestalt in der Ferne zu schaue", worauf
sie Christel leichthin fragte, ob man sich nicht mit diesem Kinde, das doch nicht
zu ihnen paßte, einen Spaß machen könnte. Einen Spaß? Christel dachte nach,
und dann blitzte es in ihren Augen auf. Für einen Spaß war sie immer zu
haben, auch wenn er schlecht war. Und Rita war außerdem augenblicklich ihre liebste
Freundin, der man schon einen Gefallen tun mußte.


Menschenfrühling

genanntem Tage Hans Rödel, ein Aschenbrenner von Bischofsgrün, mit seinem
Weibe zum Ochsenkopf hinan, um für seinen Zweck geeignete Bäume auszu¬
suchen, und gelangte von ungefähr in eine mit gleißenden Schätzen angefüllte
Kammer. Aber ein grimmiger schwarzer Hund hielt Wache dabei. Erschrocken
eilte er zurück an das Tageslicht, um sein Weib herbeizurufen. Als er mit
diesem zurückkehrte, konnte er den Eingang zur Schatzkammer uicht mehr finden.
Geister spielen auch in dem Walenbüchlein eine große Rolle. Klaus Gindel
von Venedig — „oder woher er sonsten von der nächsten Stauden gewesen,"
setzt Will im Hinblick auf die echt germanische Namensform hinzu — besuchte
nach den von ihm hinterlassenen Aufzeichnungen zweimal mit seinem Bruder
den Fichtelberg und fand an zahlreichen Stellen, die er einzeln namhaft macht,
gediegnes Gold und Silber, Diamanten und Rubinen, warnt aber die Leute
vor den höllischen Geistern, die die Schätze bewachten und schon manchem den
Tod gebracht hätten. Will schwört übrigens durchaus nicht ohne weiteres auf
diese Walenbüchlein. Er gibt zwar zu, daß in frühern Zeiten als Hausierer
verkleidete venezianische Goldsucher den Fichtelbergern wohl Hecheln und Mause¬
fallen gebracht und heimlich edles Erz dafür weggetragen haben mögen, aber
ob die von ihnen herrührenden geheimen Aufzeichnungen irgendwelchen Wert
hätten, darauf müsse, so meint er, doch erst die Probe gemacht werden.




Menschenfrühling
Charlotte Niese von(Fortsetzung)

nei erklärte jetzt das Kaffeetrinken fiir langweilig und verlangte den
Garten zu sehen. Sie bewunderte ihn aber nicht, obgleich er schöne
alte Bäume und Rasenplätze hatte, sondern erzählte gleich von den
Hamburger Gärten an der Elbe und an der Älster. Und dann be¬
richtete sie andre Dinge. Von Theater und Konzerten, von Schau¬
spielern, die „süß" waren, und von andern jungen Herren, mit denen
sie Briefe wechselte, vom Heiraten und von andern Dingen, die sie nur geheimnis¬
voll flüsternd mitteilen konnte, während sich die jüngern Kleinstädterinnen um sie
drängten und begierig jedes Wort einsogen.

Nur Anneli stand wieder abseits unter den Bäumen, betrachtete die blühenden
Büsche und Rosen, sah in den grauen, bleiernen Himmel über sich und wünschte
zum erstenmal in der kleinen versteckten Nische bei ihres Onkels Zimmer zu sitzen
und nur seine leise Stimme zu hören. Keins der Mädchen bekümmerte sich um sie.
Die gingen jetzt alle Arm in Arm um den Nasen, lachten manchmal gellend aus
und versanken dann in andachtvolles Schweigen, bis es Rita Makler von neuem
einfiel, nach der kleinen buutgekleideten Gestalt in der Ferne zu schaue», worauf
sie Christel leichthin fragte, ob man sich nicht mit diesem Kinde, das doch nicht
zu ihnen paßte, einen Spaß machen könnte. Einen Spaß? Christel dachte nach,
und dann blitzte es in ihren Augen auf. Für einen Spaß war sie immer zu
haben, auch wenn er schlecht war. Und Rita war außerdem augenblicklich ihre liebste
Freundin, der man schon einen Gefallen tun mußte.


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[0109] Menschenfrühling genanntem Tage Hans Rödel, ein Aschenbrenner von Bischofsgrün, mit seinem Weibe zum Ochsenkopf hinan, um für seinen Zweck geeignete Bäume auszu¬ suchen, und gelangte von ungefähr in eine mit gleißenden Schätzen angefüllte Kammer. Aber ein grimmiger schwarzer Hund hielt Wache dabei. Erschrocken eilte er zurück an das Tageslicht, um sein Weib herbeizurufen. Als er mit diesem zurückkehrte, konnte er den Eingang zur Schatzkammer uicht mehr finden. Geister spielen auch in dem Walenbüchlein eine große Rolle. Klaus Gindel von Venedig — „oder woher er sonsten von der nächsten Stauden gewesen," setzt Will im Hinblick auf die echt germanische Namensform hinzu — besuchte nach den von ihm hinterlassenen Aufzeichnungen zweimal mit seinem Bruder den Fichtelberg und fand an zahlreichen Stellen, die er einzeln namhaft macht, gediegnes Gold und Silber, Diamanten und Rubinen, warnt aber die Leute vor den höllischen Geistern, die die Schätze bewachten und schon manchem den Tod gebracht hätten. Will schwört übrigens durchaus nicht ohne weiteres auf diese Walenbüchlein. Er gibt zwar zu, daß in frühern Zeiten als Hausierer verkleidete venezianische Goldsucher den Fichtelbergern wohl Hecheln und Mause¬ fallen gebracht und heimlich edles Erz dafür weggetragen haben mögen, aber ob die von ihnen herrührenden geheimen Aufzeichnungen irgendwelchen Wert hätten, darauf müsse, so meint er, doch erst die Probe gemacht werden. Menschenfrühling Charlotte Niese von(Fortsetzung) nei erklärte jetzt das Kaffeetrinken fiir langweilig und verlangte den Garten zu sehen. Sie bewunderte ihn aber nicht, obgleich er schöne alte Bäume und Rasenplätze hatte, sondern erzählte gleich von den Hamburger Gärten an der Elbe und an der Älster. Und dann be¬ richtete sie andre Dinge. Von Theater und Konzerten, von Schau¬ spielern, die „süß" waren, und von andern jungen Herren, mit denen sie Briefe wechselte, vom Heiraten und von andern Dingen, die sie nur geheimnis¬ voll flüsternd mitteilen konnte, während sich die jüngern Kleinstädterinnen um sie drängten und begierig jedes Wort einsogen. Nur Anneli stand wieder abseits unter den Bäumen, betrachtete die blühenden Büsche und Rosen, sah in den grauen, bleiernen Himmel über sich und wünschte zum erstenmal in der kleinen versteckten Nische bei ihres Onkels Zimmer zu sitzen und nur seine leise Stimme zu hören. Keins der Mädchen bekümmerte sich um sie. Die gingen jetzt alle Arm in Arm um den Nasen, lachten manchmal gellend aus und versanken dann in andachtvolles Schweigen, bis es Rita Makler von neuem einfiel, nach der kleinen buutgekleideten Gestalt in der Ferne zu schaue», worauf sie Christel leichthin fragte, ob man sich nicht mit diesem Kinde, das doch nicht zu ihnen paßte, einen Spaß machen könnte. Einen Spaß? Christel dachte nach, und dann blitzte es in ihren Augen auf. Für einen Spaß war sie immer zu haben, auch wenn er schlecht war. Und Rita war außerdem augenblicklich ihre liebste Freundin, der man schon einen Gefallen tun mußte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/109>, abgerufen am 24.07.2024.