Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches zur Folge gehabt hat, so ist für Deutschland doch ganz und gar kein Grund vor¬ Wäre Frankreichs Verhalten Deutschland gegenüber in der marokkanischen Maßgebliches und Unmaßgebliches zur Folge gehabt hat, so ist für Deutschland doch ganz und gar kein Grund vor¬ Wäre Frankreichs Verhalten Deutschland gegenüber in der marokkanischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0749" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/88227"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_3252" prev="#ID_3251"> zur Folge gehabt hat, so ist für Deutschland doch ganz und gar kein Grund vor¬<lb/> handen, den Unterschied zu übersehen, der zwischen Tunis und Marokko für unsre<lb/> Interessen besteht. Was die Franzosen in Tunis machten, konnte uns gleichgiltiger<lb/> sein als den Engländern und den Italienern; der französische Kriegshafen von Biserta<lb/> bedrohte uns nicht. Aber in Marokko haben wir vertragsmäßige Rechte, und wenn¬<lb/> gleich unsre Ausfuhr nach Marokko hinter England und Frankreich erst an dritter<lb/> Stelle steht, so ist doch die Annahme berechtigt, daß sie bei sorgfältigerer Pflege,<lb/> auch durch die Regierung, noch recht steigerungsfähig sein würde. Da kann es<lb/> denn für Deutschland doch nicht so gleichgiltig sein, ob wir in Marokko nur einer<lb/> französischen Handelskonkurrenz oder einem französischen Handelsmonopol gegenüber-<lb/> stehn, das bei allen Konzessionen, Lieferungen usw. den deutschen Wettbewerb völlig<lb/> verhindern würde. Kommt nun noch dazu, daß der Vertreter Frankreichs in<lb/> Marokko die scherifische Regierung direkt in die Lage brachte, sich an den deutscheu<lb/> Vertreter mit der Frage zu wenden, ob es richtig sei, daß Frankreich in Marokko<lb/> ein Mandat der Mächte, also anch Deutschlands habe, eine Frage, die selbstver¬<lb/> ständlich rundweg verneint werden mußte, so ist es wohl ganz in der Ordnung,<lb/> wenn die französische Regierung von Berlin aus daran erinnert wird, daß wir<lb/> Marokko nicht als französisches Departement ansehen oder angesehen wissen wollen.<lb/> In diesem Sinne bedeutet der Besuch Kaiser Wilhelms in Tanger die Abgabe<lb/> einer Visitenkarte bei dem Sultan als dem Souverän des Landes, mit dem wir<lb/> vertragsmäßige Beziehungen haben. Die Franzosen haben darauf verzichtet, dem<lb/> deutschen Kaiser in Tanger die Honneurs als Herren des Hauses zu machen. Der<lb/> Sultan läßt als Landesherr hoch erfreut den Kaiser begrüßen — das ist der<lb/> deutsche Gegenzug für die Rücksichtslosigkeiten, die Delcasse uns gegenüber in der<lb/> marokkanischen Sache bekundet hat. Wir suchen keinerlei Besitzerwerb in Marokko,<lb/> noch einen Konflikt mit Frankreich in dieser Angelegenheit. Aber es war an der<lb/> Zeit, den Franzosen klar zu machen, daß Deutschland sich nirgends als c-namens<lb/> uöFligMblo beiseite schieben läßt. Herrn Delcassös Politik hat nicht nur in Marokko<lb/> und in Konstantinopel, sondern auch an andern Orten den Charakter heraus¬<lb/> fordernder Reibungen mit Deutschland angenommen — in Konstantinopel zum<lb/> Beispiel soeben wieder in der Geschützfrage trotz dem vom Sultan schon erlassenen<lb/> Jradö —, sodaß es für Deutschland an der Zeit ist, diesem Zustande ein Ende<lb/> zu macheu und den Fuß an das Mal zu setzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3253" next="#ID_3254"> Wäre Frankreichs Verhalten Deutschland gegenüber in der marokkanischen<lb/> Angelegenheit korrekt geblieben, so würde sich Herr Delcasse diese Schlappe erspart<lb/> haben, aber der Absichtlichkeit der Ignorierung Deutschlands, in der er sich gefiel,<lb/> mußte ein Ziel gesetzt werden, dazu wird man im ganzen Deutschen Reiche freudig<lb/> Ja und Amen sagen. Wir wollen in Marokko nichts nehmen, als was wir ver¬<lb/> tragsmäßig haben, aber wenn man glaubt, uus dort ohne weiteres beiseite schieben<lb/> zu können, so ist es nur in der Ordnung, daß sich der deutsche Michel deutlicher<lb/> bemerkbar macht: mit Verlaub, wir sind auch noch da. Ein Teil der französischen<lb/> Presse selbst sieht darin für Herrn Delcasse eine wohlverdiente Lektion, um so<lb/> weniger brauchen wir uns in Deutschland graue Haare darüber wachsen zu lassen,<lb/> daß die Franzosen die langeutwöhnte Sprache der Norddeutschen Allgemeinen<lb/> Zeitung etwa übel nehmen könnten. Befremdend dabei ist die Haltung der Ham¬<lb/> burger Nachrichten, die unter der Überschrift „Konflikt mit Frankreich?" vor einem<lb/> solchen warnen zu müssen glauben und dabei zu dem seltsamen Satze gelangein<lb/> „Es kommt uus nur auf den Schutz unsrer Handelsinteressen dort an; wer ihn<lb/> ausübt, kann uns ziemlich gleichgiltig sein." Diese Ansicht dürfte in der öffent¬<lb/> lichen Meinung Deutschlands mit Recht Widerspruch begegnen. Nicht wer den<lb/> Schutz ausübt, sondern wie er ausgeübt wird, darauf kommt es an, und das wie<lb/> ist im vorliegenden Falle von dem wer unzertrennlich. Wir haben mit Marokko<lb/> einen Meistbegünstigungsvertrag, dessen Artikel 1 sagt: „Es soll dauernde und un¬<lb/> wandelbare Freundschaft bestehn zwischen Seiner Majestät dem Deutschen Kaiser und</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0749]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
zur Folge gehabt hat, so ist für Deutschland doch ganz und gar kein Grund vor¬
handen, den Unterschied zu übersehen, der zwischen Tunis und Marokko für unsre
Interessen besteht. Was die Franzosen in Tunis machten, konnte uns gleichgiltiger
sein als den Engländern und den Italienern; der französische Kriegshafen von Biserta
bedrohte uns nicht. Aber in Marokko haben wir vertragsmäßige Rechte, und wenn¬
gleich unsre Ausfuhr nach Marokko hinter England und Frankreich erst an dritter
Stelle steht, so ist doch die Annahme berechtigt, daß sie bei sorgfältigerer Pflege,
auch durch die Regierung, noch recht steigerungsfähig sein würde. Da kann es
denn für Deutschland doch nicht so gleichgiltig sein, ob wir in Marokko nur einer
französischen Handelskonkurrenz oder einem französischen Handelsmonopol gegenüber-
stehn, das bei allen Konzessionen, Lieferungen usw. den deutschen Wettbewerb völlig
verhindern würde. Kommt nun noch dazu, daß der Vertreter Frankreichs in
Marokko die scherifische Regierung direkt in die Lage brachte, sich an den deutscheu
Vertreter mit der Frage zu wenden, ob es richtig sei, daß Frankreich in Marokko
ein Mandat der Mächte, also anch Deutschlands habe, eine Frage, die selbstver¬
ständlich rundweg verneint werden mußte, so ist es wohl ganz in der Ordnung,
wenn die französische Regierung von Berlin aus daran erinnert wird, daß wir
Marokko nicht als französisches Departement ansehen oder angesehen wissen wollen.
In diesem Sinne bedeutet der Besuch Kaiser Wilhelms in Tanger die Abgabe
einer Visitenkarte bei dem Sultan als dem Souverän des Landes, mit dem wir
vertragsmäßige Beziehungen haben. Die Franzosen haben darauf verzichtet, dem
deutschen Kaiser in Tanger die Honneurs als Herren des Hauses zu machen. Der
Sultan läßt als Landesherr hoch erfreut den Kaiser begrüßen — das ist der
deutsche Gegenzug für die Rücksichtslosigkeiten, die Delcasse uns gegenüber in der
marokkanischen Sache bekundet hat. Wir suchen keinerlei Besitzerwerb in Marokko,
noch einen Konflikt mit Frankreich in dieser Angelegenheit. Aber es war an der
Zeit, den Franzosen klar zu machen, daß Deutschland sich nirgends als c-namens
uöFligMblo beiseite schieben läßt. Herrn Delcassös Politik hat nicht nur in Marokko
und in Konstantinopel, sondern auch an andern Orten den Charakter heraus¬
fordernder Reibungen mit Deutschland angenommen — in Konstantinopel zum
Beispiel soeben wieder in der Geschützfrage trotz dem vom Sultan schon erlassenen
Jradö —, sodaß es für Deutschland an der Zeit ist, diesem Zustande ein Ende
zu macheu und den Fuß an das Mal zu setzen.
Wäre Frankreichs Verhalten Deutschland gegenüber in der marokkanischen
Angelegenheit korrekt geblieben, so würde sich Herr Delcasse diese Schlappe erspart
haben, aber der Absichtlichkeit der Ignorierung Deutschlands, in der er sich gefiel,
mußte ein Ziel gesetzt werden, dazu wird man im ganzen Deutschen Reiche freudig
Ja und Amen sagen. Wir wollen in Marokko nichts nehmen, als was wir ver¬
tragsmäßig haben, aber wenn man glaubt, uus dort ohne weiteres beiseite schieben
zu können, so ist es nur in der Ordnung, daß sich der deutsche Michel deutlicher
bemerkbar macht: mit Verlaub, wir sind auch noch da. Ein Teil der französischen
Presse selbst sieht darin für Herrn Delcasse eine wohlverdiente Lektion, um so
weniger brauchen wir uns in Deutschland graue Haare darüber wachsen zu lassen,
daß die Franzosen die langeutwöhnte Sprache der Norddeutschen Allgemeinen
Zeitung etwa übel nehmen könnten. Befremdend dabei ist die Haltung der Ham¬
burger Nachrichten, die unter der Überschrift „Konflikt mit Frankreich?" vor einem
solchen warnen zu müssen glauben und dabei zu dem seltsamen Satze gelangein
„Es kommt uus nur auf den Schutz unsrer Handelsinteressen dort an; wer ihn
ausübt, kann uns ziemlich gleichgiltig sein." Diese Ansicht dürfte in der öffent¬
lichen Meinung Deutschlands mit Recht Widerspruch begegnen. Nicht wer den
Schutz ausübt, sondern wie er ausgeübt wird, darauf kommt es an, und das wie
ist im vorliegenden Falle von dem wer unzertrennlich. Wir haben mit Marokko
einen Meistbegünstigungsvertrag, dessen Artikel 1 sagt: „Es soll dauernde und un¬
wandelbare Freundschaft bestehn zwischen Seiner Majestät dem Deutschen Kaiser und
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